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Oliver

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Beitrag von Oliver »

Hallo,

ich wollte mich eigentlich direkt registrieren als das neue Forum online gegangen ist. Naja, besser spät als nie.

Ich schreibe hier, weil es mir - wie so vielen in diesem Forum- im Moment ziemlich schlecht geht. Dies ist nun das dritte Mal in meinem Leben, dass die Zwänge mich im Würgegriff haben und dieses Mal ist es am schlimmsten. Meine erste Zwangsphase hatte ich in der Grundschule. Damals war es ein Handwaschzwang gewesen. Glücklicherweise hat der sich mit dem Wechsel auf das Gymnasium von alleine wieder gelegt. Danach hatte ich zwangstechnisch ziemlich lange Ruhe. Als Jugendlicher hatte ich mehr mit depressiven Phasen zu kämpfen. Mit Anfang zwanzig kam der Zwang dann sehr plötzlich wieder in mein Leben zurück. Dieses Mal in Form des "Autofahrerzwangs", also immer wiederkehrenden Vorstellungen, dass ich Menschen mit meinem Auto angefahren haben könnte. Mit der Zeit wurde es so schlimm, dass ich das Fahren schließlich ganz aufgegeben und mein Auto verkauft habe. Leider wusste ich damals nicht, dass Vermeidung bei Zwängen die Schlechteste aller möglichen Strategien ist. Der Zwang hat sich dann auf das Radfahren und am Ende sogar auf ganz normales Gehen ausgedehnt. Zum Glück habe ich schließlich eine ambulante Verhaltenstherapie gemacht, die mir sehr gut geholfen hat. Durch die Therapie habe ich mein Vertrauen in meine Wahrnehmung und in mich selbst zurückgewonnen. Es folgten über 15 Jahre, in denen ich wieder fast vollständig zwangsfrei war. Ich hatte nur noch den kleinen "Rest"-zwang, bei Verlassen der Wohnung vor Urlaubsreisen Herd, Fenster, Wasser etc. kontrollieren zu müssen. Aber das haben ja auch viele Menschen, die sich selbst nicht als zwangskrank bezeichnen würden.
Letztes Jahr im Herbst hat sich der Zwang dann langsam in mein Leben zurückgeschlichen und ist Anfang diesen Jahres nach einem Todesfall in der Familie sehr schlimm geworden. Meine Zwangsvorstellungen, ich könnte Menschen versehentlich verletzen, sind in vollem Umfang wieder da. Darüber hinaus habe ich nun auch wieder einen Waschzwang, der mit meiner Angst vor einer Hepatitis C Infektion zu tun hat. Und meine Kontrollzwänge bei Elektrogeräten und Wasserhähnen sind auch wieder stärker geworden. Die Zwänge begleiten mich nun fast rund um die Uhr. Zuhause und auf der Arbeit sind es die Kontaminationsängste, wenn ich die Wohnung oder die Arbeit verlassen will, die Kontrollzwänge, und draußen auf dem Weg zur oder von der Arbeit die Ängste, andere verletzen zu können. Ich kämpfe verbissen darum, den Status Quo aufrecht zu erhalten, also den Zwängen nicht noch mehr Raum zu opfern. Ich fahre beispielsweise immer noch mit dem Fahrrad zur Arbeit oder mache am Wochenende einen Spaziergang. Trotzdem fängt der Zwang mich langsam an, zu zermürben.
Einigermaßen wohl fühle ich mich nur noch, wenn ich abends erschöpft ins Bett falle und schlafen kann. Im Juli habe ich einen Therapieplatz in einer Tagesklinik. Das ist im Moment sozusagen mein Silberstreifen am Horizont. Bis dahin hoffe ich irgendwie durchzuhalten.
So viel erst Mal von meiner Seite.

Danke fürs Lesen und liebe Grüße
Oliver
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michael_m
Beiträge: 613
Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Neu im Forum

Beitrag von michael_m »

Hallo Oliver,

das hört sich wirklich aktuell bei dir nicht gut an. :(

Umso toller finde ich es, dass du bereits einen Therapieplatz organisiert hast! :)
Ich denke, das war eine sehr gute Entscheidung, die auch die Chance hat, dir dauerhaft zu helfen.

Natürlich musst du noch die Zeit bis dahin überbrücken. Allerdings ist es ja doch zumindest zeitlich einigermaßen in greifbarer Nähe.
Falls du weitere Unterstützung in der Zwischenzeit brauchst, können dir evtl. eine Selbsthilfegruppe, der Hausarzt, ein Psychiater oder ggf. eine Notfallambulanz weiterhelfen. Aber natürlich auch Freunde und Familie, soweit hier das Vertrauen da ist.

Grüße

Michael
Miranda_L

Re: Neu im Forum

Beitrag von Miranda_L »

Hallo Oliver,

ich stecke in einer sehr ähnlichen Situation und kann mir sehr gut vorstellen, was in dir vorgeht.

Du hast genau wie ich die Kombination alter Zwang + Stress + Trauma.

Ich kann dir vielleicht einen Tipp geben, der zwar nicht aus den Zwängen raus führt, aber vielleicht das Ängstekarussell nicht so stark in Schwung bringt.

Ich habe, wenn ich mit Kontaminationsängsten konfrontiert wurde, immer das jeweilige Thema gegoogled. Das hat mir oft bei der jeweiligen Angst geholfen und dazu geführt, dass ich diese abbauen konnte. Aber leider enthalten die meisten Erklärungen Sätze wie:
"Der Stoff "AAA" ist gar nicht so gefährlich und du brauchst eine extrem große Menge um dich damit zu vergiften. BBB ist um ein Vielfaches gefährlicher. Also keine Panik!"
Der Normalo nickt und sagt: "OK AAA ist ungefährlich.
Der Zwängler sagt das vielleicht auch. Aber bei Gelegenteit zerrt der Zwang den Nebensatz "BBB ist um ein Vielfaches gefährlicher" wieder aus der Versenkung hervor und eine neue Angst ist geboren.
Also lieber nicht so viel googlen.
Oliver

Re: Neu im Forum

Beitrag von Oliver »

Hallo Miranda,

leider ist Google nicht immer dein Freund. Diese Fixierung auf HCV habe ich mir letztlich durch Google eingehandelt. Ich bin so auf einen Artikel gestoßen, der mich sehr beunruhigt hat. Ich sage nicht, was drin stand ;)

Ich vermute die Intention des Artikels war es, dass man HCV nicht unterschätzen sollte. Gerade in Krankenhäusern wird ja tendenziell zu lax mit Hygiene umgegangen. Bei Zwänglern ist es umgekehrt. Wir sind eher übervorsichtig. Trotzdem sind solche Artikel für Menschen mit Zwangsstörung gefährlich.

Ansonsten habe ich natürlich meine Risikokalkulationen schon gemacht. Etwa 0,3%-0,4% der Bevölkerung in Deutschland sind an Hepatitis C erkrankt.
Bei einer Nadelstichverletzung mit einer kontaminierten Spritze liegt das Risiko einer Infektion bei 2% bis 3%. Würde man sich also beispielsweise mit einer Nadel stechen, mit der bei einem anderen Menschen Blut abgenommen worden ist, läge das Gesamtrisiko also gerade mal bei 6 bis 12 zu 100.000 (solange die Person nicht zu einer Hochrisikogruppe gehört hat). Alle anderen Möglichkeiten, sich anzustecken, dürften ein geringeres Risiko haben. Rational betrachtet, ist das Risiko also nicht so hoch, als dass man sich verrückt machen sollte.
Aber ihr wisst ja wie das ist. Bei einer "nur theoretischen" Ansteckungsgefahr denkt der Gesunde: "Puh, na dann wird es schon gut gehen", während der Zwängler denkt "Oh, mein Gott, also ist es möglich. Ich habe mich bestimmt angesteckt" :shock:

LG
Oliver
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PeterAlleinzuhaus
Beiträge: 21
Registriert: Mi 2. Mai 2018, 20:36

Re: Neu im Forum

Beitrag von PeterAlleinzuhaus »

Hallo Oliver,
ich kann gut nachvollziehen, dass es Dir im Moment nicht gut geht, weil ich mich aktuell in einer sehr ähnlichen Situation befinde, was die Zwänge angeht. Bei mir hat es vor Jahren mit Kontrollzwängen angefangen, dann kam auch der "Autofahrer-Zwang" und aktuell kann ich kaum noch zu Fuß gehen, ohne Angst zu haben, jemanden verletzt oder gar getötet zu haben.
Eine Kontaminationsangst habe ich zum Glück zwar nicht, aber ich wollte etwas zu Deiner zuletzt geäußerten Befürchtung oder Überzeugung sagen, dass Du befürchtest, wie bei Zwänglern üblich, dass Du Dich bestimmt angesteckt hast, solange es eine auch noch so geringe Chance oder Wahrscheinlichkeit dazu gibt.
Diese Denkweise ist mir als Zwängler natürlich auch bekannt. Solange ich nicht 100% sicher bin, dass ich niemanden beim Gehen verletzt habe, dann schließe ich daraus, dass ich es bestimmt getan habe. Dies ist das für Zwängler typische schwarz-weiß Denken, das aber falsch ist. Wir Zwängler vergessen immer wieder, dass es zwischen schwarz und weiß noch unendlich viele Grautöne gibt. Wenn also etwas eine geringe Wahrscheinlichkeit hat, dann hat es eine geringe Wahrscheinlichkeit und es bedeutet nicht, dass es uns aber bestimmt ganz sicher erwischt hat. Oder andersherum, nur weil es keine 100%ige Sicherheit gibt, dass alles in Ordnung ist, heißt das nicht, dass ganz bestimmt zu 100% etwas Schlimmes eingetreten ist.
Ich weiß natürlich aus eigener Erfahrung, dass es nicht einfach ist, dieses schwarz-weiß Denken abzulegen und auch mal die Grautöne zu sehen. Aber es ist vielleicht auch ein Ansatz für Dich. Und es ist sicherlich nur einer von vielen möglichen Ansätzen.
Vielleicht kannst Du ja etwas damit anfangen :)
Gruß Peter
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