Zwangsgedanken

Sternschnuppe94
Beiträge: 2
Registriert: Fr 10. Jul 2020, 22:47

Zwangsgedanken

Beitrag von Sternschnuppe94 »

Hallo,
ich bin noch ganz neu hier im Forum aber dachte ich versuche es einfach mal.
Ich leide schon seit Jahren an Zwängen und seit ungefähr 3 Jahren an aggressiven Zwangsgedanken..
Ganz schlimm habe ich es, wenn ich alleine bin.
Wenn ich zum Beispiel draußen spazieren gehe und mir jemand entgegen kommt, denke ich aus heiterem Himmel dass ich der Person was antue oder sie auf die Straße schubse.
Das habe ich auch ganz oft beim einkaufen, dass immer wieder der Gedanke kommt, dass ich jemanden etwas antue.
Ganz oft brauche ich dann immer eine Ewigkeit, wieder aus dem Laden zu kommen weil ich immer wieder die Gänge durchlaufe um zu sehen dass die Menschen noch da sind und ich ihnen nichts getan habe ...
Ich komme dann immer traurig nach Hause und belaste meinen Freund mit diesen ganzen blöden Gedanken und habe Angst dass erblich irgendwann deswegen verlassen könnte ..
Ich nehme mir immer wieder vor, ihm nichts zu erzählen aber ich schaffe es einfach nicht.
Ganz oft habe ich das Gefühl, ich kann meine Gedanken nicht von der Realität unterscheiden und denke dass ich diese schlimmen Sachen wirklich mache..
Hat jemand Ähnliches durchlebt oder hat Tipps für mich?
Liebste Grüße
Jessi
Beiträge: 313
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Jessi »

Hey !
Ich habe auch ausschließlich Zwangsgedanken. Man traut sich selbst nicht mehr und weiß nicht was sind meine eigenen Gedanken und was ist nur der Zwang, der einem versucht etwas einzureden. Meine Zwänge sind zwar nicht aggressiver Natur aber im Grunde funktionieren alle Zwangsgedanken gleich.
Dass du mit deinem Freund darüber sprechen musst, ist wahrscheinlich die Rückversicherung und ein Versuch deinerseits dich zu beruhigen.
Allerdings ist es doch schon sehr stark, dass du dich weiterhin den zwangsbesetzten Situationen aussetzt.
Bist du denn in Therapie? Vielleicht hilft es dir einen Ansprechpartner zu haben, sodass dein Freund aus der Verantwortung genommen wird ;)

LG Jessi
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von welltemperedmind »

Hi,

bist du denn in Therapie bzw. hast du mal eine Therapie mit Exposition und Reaktionsmanagement gemacht? Wenn nicht, wäre das die Therapie der ersten Wahl.

In dieser Therapie würdest du lernen, wie man sich diesen angstauslösenden Situationen und Gedanken stellt ohne, dass man den Zwangshandlungen / Rückversicherungen nachgeht. Du scheinst dahingehend ja schon zu versuchen, vieles richtig zu machen (bspw. trotzdem noch in den Laden gehen und versuchen, deinem Freund nicht davon zu erzählen).

Was bei dir evtl. ein fehlendes Element sein könnte (das ist aber reine Spekulation meinerseits), ist die fehlende Akzeptanz der Unsicherheit. Am Ende des Tages ist Zwang ein Problem der Überkontrolle und er zwingt uns dazu, auf Angst und andere negative Emotionen mit noch mehr Kontrolle zu reagieren. Die therapeutische Reaktion wäre dann die Konfrontation mit dem Gegenteil: Die Akzeptanz der Möglichkeit, dass du jemandem im Supermarkt etwas angetan haben könntest. Ich weiß, das ist das letzte, was du tun willst, aber du wirst es niemals zu 100% ausschließen können. Und je mehr du es versuchst (indem du den Zwang folgst), desto stärker werden die Zwangsgedanken.

Vielleicht solltest du darüber mal mit deinem Therapeuten sprechen. Falls du spezifische Fragen dazu hast, kann ich gerne auch noch etwas weiter ausholen.

Gute Besserung!
Sternschnuppe94
Beiträge: 2
Registriert: Fr 10. Jul 2020, 22:47

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Sternschnuppe94 »

Vielen Danke für die Antworten :)
Nein, ich bin leider noch nicht in Therapie. Das wäre allerdings für mich der nächste Schritt. Aber ist bestimmt auch nicht so leicht jemanden zu finden oder? Die Wartezeiten sind ja meistens sehr lange..
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von welltemperedmind »

Ich würde dir empfehlen, dich an die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. zu wenden und nach einer Liste an Therapeuten zu fragen, die in deiner Nähe sind und auf Zwänge spezialisiert sind. Die Wartezeiten sind aktuell vermutlich lange, aber es ist aus meiner Sicht auf jeden Fall Priorität Nummer 1, keinen Therapeuten zu sehen, der alles therapiert, sondern definitiv jemanden, der sich auf Zwang spezialisiert hat.

Ansonsten gibt es eine lange Liste an Selbsthilfeliteratur. Falls du englisch ausreichend beherrscht, würde ich dir das Buch von Jonathan Grayson empfehlen: Freedom from Obsessive Compulsive Disorder: A Personalized Recovery Program for Living with Uncertainty.
In der deutschen Literatur kenne ich mich derzeitig leider nicht so gut aus, überlege dort aber auch mal ausführlicher reinzuschauen.

Man muss als Zwangspatient sowieso Spezialist seiner eigenen Erkrankung werden. Wenn man das selbst macht mit den richtigen Büchern, spart man sich die Zeit dafür in der Therapie.
Jessi
Beiträge: 313
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Jessi »

Dem schließe ich mich ebenfalls an.
Einen Therapeuten an der Seite zu haben ist unfassbar wichtig im Kampf gegen die Zwangsstörung.
Wartezeiten sind häufig sehr lang, lasse dich am besten mal beraten. Soweit ich weiß gibt es auch Möglichkeiten schneller an Hilfe zu kommen um die Zeit zu überbrücken. Eventuell gibt es bei dir vor Ort eine Selbsthilfegruppe o.Ä. ?

Ergänzend kann ich das Buch "Kobold im Kopf" wirklich sehr empfehlen.

LG Jessi
Alex
Beiträge: 22
Registriert: Di 23. Jul 2019, 16:30

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Alex »

Hallo zusammen,

ich habe eine Frage zu Euren Buchempfehlungen.
"Kobold im Kopf": lt. den Rezensionen, die ich gelesen habe, behandelt dieses Buch v.a. aggressive Zwangsgedanken, die sich auf die Zukunft beziehen, also z.B. "ich könnte jemandem etwas antun". Stimmt das oder werden auch andere Zwangsgedanken bzw. Zwangsgedanken generell erfasst?
Jonathan Grayson, "Freedom from Obsessive Compulsive Disorder: A Personalized Recovery Program for Living with Uncertainty": falls Du "Brain Lock" von Jeffrey Schwartz kennst, welches von beiden würdest Du eher empfehlen?

Ich finde die 4 Schritte Methode von Jeffrey Schwartz sehr hilfreich. Hierzu kann ich sein Buch "Du bist mehr als Dein Gehirn" empfehlen.

Freue mich über Eure Antwort.
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von welltemperedmind »

Ich persönlich finde Jonathan Graysons "Freedom from Obsessive Compulsive Disorder: A Personalized Recovery Program for Living with Uncertainty" das mit Abstand beste Buch über Zwang, das ich gelesen habe (und ich habe einige gelesen inklusive Brain Lock). Jonathan Grayson ist einer von nur zwei Menschen, die den Lifetime Achievement Award von der International OCD Foundation bekommen haben https://iocdf.org/past-award-winners/.
Stimmt das oder werden auch andere Zwangsgedanken bzw. Zwangsgedanken generell erfasst?
Was genau meinst du mit anderen Zwangsgedanken? Es ist beispielsweise auch möglich, dass sich Zwangsgedanken auf tatsächlich passierte Dinge in der Vergangenheit beziehen.
Jessi
Beiträge: 313
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Jessi »

Hey :)

Wie sieht denn diese Methode aus ?

In dem Buch "Kobold im Kopf" werden tatsächlich viele Beispiele der Art beschrieben aber grundsätzlich bezieht sich das Buch auf jede Art von Zwangsgedanken.
Die Methoden, die dort angewendet werden sind schließlich auch auf jegliche Gedanken umzulegen.
Mir hat das Buch sehr geholfen um ein Verständnis für diese Krankheit zu bekommen und mich selbst zu motivieren.

LG Jessi
Alex
Beiträge: 22
Registriert: Di 23. Jul 2019, 16:30

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Alex »

Vielen Dank für Eure Antworten.

Mit "anderen Zwangsgedanken" meine ich die Zwangsgedanken, die sich auf vergangenes Tun oder Unterlassen beziehen und diesbzgl. Zweifel erzeugen, z.B. "Habe ich den Herd ausgeschaltet, das Fenster geschlossen, etc., bevor ich die Wohnung verlassen habe?" oder "Habe ich evtl. ohne es bewusst zu merken den Herd eingeschaltet und anschließend die Wohnung verlassen?" Das ist die Art von Zwangsgedanken, mit denen ich zu tun habe.

Hier eine kurze Zusammenfassung der 4 Schritte Methode von Jeffrey Schwartz:
1. Neu-Benennen:
Bewusste Wahrnehmung, dass es sich bei den lästigen Gedanken um Zwangsgedanken als Ausdruck einer Erkrankung handelt. „Ich habe jetzt wieder einen Zwangsgedanken, dass meine Hände schmutzig sind und fühle mich unwohl.“
2. Neu-Zuordnen:
Die Intensität der Zwangsgedanken erklärt sich durch die Tatsache, dass es sich um eine Zwangsstörung („Falschmeldungen überaktiver Gehirnregionen“) handelt. „Das bin nicht ich, das ist nur meine Zwangsstörung/mein Gehirn.“
3. Neu-Einstellen:
Die Aufmerksamkeit wenigstens einige Minuten lang auf eine gesunde Aktivität (Lesen, Sport, Spazierengehen, einen Freund anrufen, etc.) richten und dabei die negativen Empfindungen präsent sein lassen. „Nicht das tun, was der Zwangsgedanke mir aufträgt, sondern das tun, was ich zu tun entschieden habe.“
4. Neu-Bewerten:
Als neutraler Beobachter die negativen Empfindungen / Gedanken als bedeutungslose Zwangsgedanken bzw. Fehlmeldungen des Gehirns aktiv erleben.

Bei Schritt 3 ist wichtig, dass man die gesunde Aktivität nicht mit der Absicht aufnimmt, den Zwangsgedanken / die unangenehmen Gefühle zu beseitigen. Entscheidend ist, dass man trotz der vorhandenen negativen Gefühle/Gedanken die gesunde Aktivität fortsetzt, ohne dabei dem Zwangsgedanken Aufmerksamkeit zu schenken. Meine Erfahrung ist, dass der Zwangsgedanke bereits nach wenigen Minuten verblasst.
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