Zwangsgedanken

welltemperedmind
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von welltemperedmind »

Alex hat geschrieben: Mo 8. Mär 2021, 20:20 Mit "anderen Zwangsgedanken" meine ich die Zwangsgedanken, die sich auf vergangenes Tun oder Unterlassen beziehen und diesbzgl. Zweifel erzeugen, z.B. "Habe ich den Herd ausgeschaltet, das Fenster geschlossen, etc., bevor ich die Wohnung verlassen habe?" oder "Habe ich evtl. ohne es bewusst zu merken den Herd eingeschaltet und anschließend die Wohnung verlassen?" Das ist die Art von Zwangsgedanken, mit denen ich zu tun habe.
Diese Art von Zwang ist auf jeden Fall ein Teil von Jonathan Graysons Buch.

Dazu würde ich aber noch ergänzen, dass die meisten Zwangsexperten das "Thema" der Zwangs (bei dir bspw. Zweifel bzgl. von Dingen in der Wohnung) als weniger wichtig erachten als das generelle Verständnis, wie Zwang und die Therapie funktionieren. Das macht der Grayson aus meiner Sicht so gut wie kein anderer und damit ist man dann auch gewappnet, wenn der Zwang mal das Thema wechseln sollte.

Nichtsdestotrotz haben Kontrollzwänge und entsprechende Zwangsgedanken in Graysons Buch ein eigenes Kapitel.
Bei Schritt 3 ist wichtig, dass man die gesunde Aktivität nicht mit der Absicht aufnimmt, den Zwangsgedanken / die unangenehmen Gefühle zu beseitigen. Entscheidend ist, dass man trotz der vorhandenen negativen Gefühle/Gedanken die gesunde Aktivität fortsetzt, ohne dabei dem Zwangsgedanken Aufmerksamkeit zu schenken. Meine Erfahrung ist, dass der Zwangsgedanke bereits nach wenigen Minuten verblasst.
Diese Erkenntnis hat bei mir den Durchbruch in der Therapie gebracht. Ich habe mich immer gefragt: "Was soll ich jetzt tun - ablenken oder grübeln?". Der richtige Weg ist aber: Ablenken ohne wegzudrücken und bestenfalls sogar noch während des Ablenkens "triggernde" Therapie-Skripte im Hintergrund abzuspielen und dabei auf jeden Fall nicht zu grübeln. Also der Inbegriff von Exposition (Skript hören) und Reaktionsmanagement (nicht grübeln oder anderen Zwangshandlungen nachgehen). Wer Interesse hat, wie ich das in der Praxis umgesetzt habe, kann mir gerne eine PN schreiben :).
Jessi
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Jessi »

Hey :)

Solche Gedanken werden auch in dem Buch Kobold im Kopf behandelt, es ist relativ breit gefächert aber auch hier wird deutlich, dass der Fokus auf dem Mechanismus des Zwangs liegen sollte. Der Inhalt der Zwänge ist im Grunde völlig irrelevant.

Die Methode klingt echt gut, ich würde sogar sagen dass ich einen Teil derer intuitiv anwende. Der Knackpunkt ist allerdings das Ablenken. Wie wendest du diesen Schritt an ? Ich verfalle sehr leicht ins Grübeln, sobald mich ein Gedanke gepackt hat. Dann komme ich da kaum noch raus, außer durch Abwarten. Das kann aber einige Tage dauern.

LG Jessi
Alex
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Alex »

Hallo Jessi,

wenn ich nach dem Auftreten eines Zwangsgedanken merke, dass ich mit dem Grübeln beginne, führe ich mir bewusst folgendes vor Augen:
Wenn ich weiter grübele, also versuche, die durch den Zwangsgedanken verursachte Unsicherheit bzw. die negativen Gefühle zu neutralisieren, verschlimmere ich meine Zwangsstörung.
Wichtig ist m.E., dass man das Grübeln nicht einfach als automatisierte Reaktion auf den Zwangsgedanken ablaufen lässt, sondern sich bewusst macht, dass man zu grübeln begonnen hat. Dadurch schafft man eine gewisse Unterbrechung in der ungesunden Reaktion auf den Zwangsgedanken. Hier kann dann die Entscheidung gegen die vom Zwangsgedanken geforderte Handlung (Grübeln) und für eine gesunde Handlung (Lesen, Sport, Kreuzworträtsel, etc.) getroffen werden.
Lt. Jeffrey Schwartz muss seine Methode täglich angewendet werden, um die durch die bisherigen ungesunden Reaktionen auf die Zwangsgedanken geschaffenen negativen "Verdrahtungen" im Gehirn dauerhaft zu schwächen. Mir hilft es, wenn ich immer einen Zettel mit der Zusammenfassung der 4 Schritte bei mir habe.
Jessi
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Jessi »

Hey Alex !

Danke für die Antwort, das hat mich grade echt ein wenig motiviert.
Hast du damit denn gute Fortschritte erzielen können?
Ich werde mich dahingehend mal belesen, ich freue mich immer wenn ich neue Strategien ausprobieren kann.

LG Jessi
Triangel
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Triangel »

Hi zusammen,

ich habe gerade mal die Antworten quergelesen und bin bei Schritt 3 hängen geblieben.
@Alex: Kannst du mir erklären, die das funktionieren kann/ soll?

Wenn ich eine Grübel-/Z-Phase habe, dann versuche ich bisher immer alles mögliche, um diese abzustellen. Also TV schauen, Lesen, im Internet nach neuen Klamotten suchen - aber offen gestanden alles unter der Prämisse: Ich tue das jetzt, damit der Gedanke verfliegt.
Aber wie schafft man es das nicht zu forcieren? Das gibt gerade irgendwie einen Knoten in meinem Kopf :?: :D

Viele Grüße :)
Alex
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Alex »

Hallo Jessi, hallo Triangel,

als Fortschritt mit der 4 Schritte Methode würde ich folgendes verbuchen:
Wenn ich im Rahmen des 3. Schrittes einer gesunden Tätigkeit nachgehe, merke ich, dass bereits nach wenigen Minuten die durch den Zwangsgedanken verursachten negativen Gefühle verblassen und der Zwangsgedanke auch nicht wieder auftaucht.
Allerdings kommt es vor, dass besonders hartnäckige Zwangsgedanken auch nach längerer gesunder Tätigkeit noch vorhanden sind. Dann versetzen sie mich aber nicht mehr in Angst und Schrecken, sondern ich nehme sie quasi als neutraler Beobachter wahr und kann die begonnene gesunde Tätigkeit fortsetzen oder zu einer anderen übergehen.

Sehr wichtig ist m.E., dass man seine volle Aufmerksamkeit auf die gesunde Tätigkeit richtet und nicht währenddessen angstvoll „prüft“, ob der Zwangsgedanke evtl. schon verblasst ist. Würde man das tun, würde man ihm Aufmerksamkeit schenken, was ihn stärkt. Jeffrey Schwartz betont deshalb, dass man niemals versuchen soll, den Zwangsgedanken bzw. die durch ihn verursachten negativen Gefühle zum Verschwinden zu bringen.

Für den Einstieg in den 3. Schritt führe ich mir folgendes vor Augen: wenn ein Zwangsgedanke auftaucht, fühle ich mich schlecht, habe Angst, bin voller Zweifel. Dennoch habe ich die Wahl, wie ich darauf reagiere. Entweder ich folge dem Zwangsgedanken, indem ich z.B. anfange zu Grübeln, um die Ängste zu lindern oder aufgekommene Zweifel zu zerstreuen. (Wie wir wissen, führt das nur zu einer Endlosschleife). Oder ich entscheide mich für eine gesunde Tätigkeit, auch wenn die negativen Gefühle präsent sind. Entscheidend ist nicht, was man fühlt, sondern was man als Reaktion auf den Zwangsgedanken tut.

Um die Gefahr zu vermeiden, dass man die gesunde Tätigkeit nur deswegen ausführt, um den Zwangsgedanken bzw. die durch ihn verursachten negativen Gefühle zum Verschwinden zu bringen, ist es ggf. hilfreich, eine Tätigkeit zu wählen, die einem viel Freude bereitet und ein gewisses Maß an Konzentration erfordert. Dadurch wird den Teilen des Gehirns, die den Zwangsgedanken aufrechterhalten, die dafür nötige Energie entzogen.
Jessi
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Jessi »

Hey !

Die Frage hatte ich mir tatsächlich auch bereits gestellt. :lol:
Jetzt taucht für mich aber ein weiteres Fragezeichen auf.
Vielleicht hast du diesbezüglich auch einen Tipp?

Und zwar: Wenn bei mir diese negativen Gefühle vorhanden sind, setzt das Grübeln automatisiert ein. Ich habe in den vergangenen Tagen mal versucht darauf zu achten solche Schritte nacheinander durchzugehen und bin immer daran "gescheitert", dass ich bei der gesunden Tätigkeit im Hintergrund immer wieder ins Grübeln verfallen bin. Das ist allerdings nur in geringem Maße passiert und hat mich nicht so stark beeinflusst, da es mir schnell bewusst wurde aber es hindert mich sehr mich vollkommen auf andere Tätigkeiten zu konzentrieren.

LG Jessi
Triangel
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Triangel »

Hi zusammen,

sagt mal, kennt ihr das Buch von Sally M. Winston und Martin N. Seif - Tyrannen in meinem Kopf [...]?
Ich habe das zufällig bei Spotify gefunden, gestern angefangen zu hören und bin echt baff! :o
Was mir bisher bei der ganzen Zwangsthematik gefehlt hat, was der theoretische/ wissenschaftliche Background. Zugegeben, ich war schon immer sehr "theoretisch" unterwegs - Mein Tennis hat sich immer schlagartig verbessert, wenn ich mich mir der perfekten Flugbahn des Balls, mit den physikalischen Kräften beim Schlagen, etc. beschäftigt habe. Und bei den ZG habe ich immer nicht verstanden, was da oben in der Schaltzentrale eigentlich passiert (natürlich fühlt man sich dann so, als würde man durchdrehen...)
Nachdem ich jetzt ca. die Hälfte von dem Hörbuch durchgehört habe, habe ich ein einigermaßen gutes Verständnis von der "Natur" der ZG, wieso sie heften bleiben und warum es daher wichtig ist "sie einfach Gedanken sein zu lassen" bzw. sich dazu zu entscheiden, ihnen nicht weiter zu folgen und sie damit zu stärken.

Zudem habe ich eine Idee bekommen, wieso man ständig mit diesem panischen Hintergrundrundrauschen durch die Welt läuft und wieso man sich so unfassbar schnell vor einem Gedanken fürchtet - Stichwort Amygdala.
Super spannend, sehr erhellend und mich hat das auf eine neue Ebene gehoben!
In diesem Moment habe ich keine Angst mehr vor meinen Gedanken, weil ich (gefühlt) den Prozess verstanden habe.

@Jessi: Du schreibst: Wenn bei mir diese negativen Gefühle vorhanden sind, setzt das Grübeln ein.
Wenn ich das aus dem Buch richtig verstanden habe, ist es genau anders herum. Die Prozesse im Gehirn verlaufen so unfassbar schnell, dass du sie nur nicht "aktiv" mitbekommst. Der von der Amygdala ausgelöste Alarm ist (wahrscheinlich evolutionsbedingt) rasend schnell. D.h. noch ehe du aktiv wahrnimmst, was passiert, hat dein Gehirn bereits den Alarm ausgelöst, sodass es in der Folge sofort zu dem Angstgefühl kommt. Und das begleitet dich dann, wenn du es denn zulässt, was unsereins gerne mal tut.
Ich bin kein Experte - aber für mich war es sehr gut, die Prozesse mal zu verstehen. Mir hat das viel Angst genommen.

Vielleicht ist das ja auch was für dich Jessi?
Bei Alex gehe ich irgendwie davon aus, dass er das Hör-/Buch schon kennt ;)

Viele Grüße und startet gut ins Wochenende ;)
Jessi
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Jessi »

Hey :)

Davon habe ich zwar schonmal gehört, es aber noch nicht weiter verfolgt. Ich werde definitiv mal reinschauen.

Dieser unbewusste Prozess bezüglich des "Alarms", der diese Gefühle auslöst klingt einleuchtend. Bei mir ist es nur so, sobald es einmal da ist, habe ich zwar die Möglichkeit mich mit anderen Dingen zu beschäftigen aber meine Konzentrationsfähigkeit lässt sehr zu wünschen übrig.
Ich kann also funktionieren, bin aber gedanklich weiterhin beschäftigt und drifte immer wieder in das Grübeln ab.
Wie Zwangsgedanken funktionieren hat mir tatsächlich zu Beginn der Therapie auch sehr geholfen.

LG Jessi
Triangel
Beiträge: 23
Registriert: Mi 9. Dez 2020, 13:58

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Triangel »

Hi,

hm, über was grübelst du denn so nach bzw. wie?
Ich kenne das von mir grundsätzlich auch - Neulich hatte ich eine sehr anstrengende Woche, ich war gestresst, mein Kopf war total voll, ich konnte nicht so recht abschalten. Eigentlich eine Situation, die wir alle schonmal erlebt haben. Dann setzte aber mein Alarm ein und ich hatte Angst, dass ich diese Ruhe im Kopf nicht mehr herstellen könnte und damit wahrscheinlich eines Tages verrückt werden könnte. Auch wenn meine "Panik" schnell wieder abflachte, begleitete mich das, ich sage jetzt mal, belastende Gefühl den Rest des Tages. Das ist ungefähr vergleichbar damit wenn man einen schlimmen Alptraum hatte.

Meinst du das so in etwa?
Das heißt, du hältst dein schlechtes Gefühl und damit auch den ZG lange am leben und kannst gedanklich auch längerfristig nicht loslassen?
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