Ein Satz für den Zwang!

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fabian123
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Ein Satz für den Zwang!

Beitrag von fabian123 »

Hallo zusammen,
mir geht es zur Zeit mal besser mal schlechter. Ich arbeite in meiner Therapie sehr intensiv. Mein Kontrollzwang wird zur Zeit wieder regelmäßig von allen mögliche Themen willkürlich getriggert. Die Phasen sind aber glücklicherweise meistens auszuhalten. Aber ich sitze mit meinem Kaffee an einen schönen, ruhigen und sonnigen Samstag Morgen gerade auf der Couch und empfinde starke Angst.

Ich habe mich gerade gefragt, ob es möglich ist, meinen Zwang in einem Satz zu beschreiben? Natürlich kann man in einem Satz die ganze Komplexität eines Leidens, verbunden mit einer Vita nicht darstellen. Aber was ist das, was mich seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommen lässt? Ich habe spontan das geschrieben:

Ich habe mich vor langer Zeit daran gewöhnt, dass der Zwang meinen Gefühlen eine vermeidliche Sicherheit dort gibt, wo scheinbar ein großes Defizit an Vertrauen, Liebe und Aufmerksamkeit herrscht.

Wir würdet Ihr in einem Satz den Zwang bei euch beschreiben bzw. umschreiben? Ich fände das sehr interessant von euch zu erfahren.

Beste Grüße,
Fabian
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SHG
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Ansätze

Beitrag von SHG »

Mit dem Zwang konserviere ich das Leben, aber auch die Haltbarkeit von Konserven läuft ab.

Als kleine Anregung zu deinem Beitrag möchte ich dir rückmelden: Du schreibst, dass du in derTherapie sehr intensiv arbeitest - andererseits, das, woran es dir mangelt -Vertrauen, Liebe, Aufmerksamkeit -das können wir kaum erarbeiten. Das passiert uns eher, wenn wir es zulassen, uns darauf einlassen. Das was du erarbeitest, ist es bestimmt auch wert - und zusätzlich könnte es dir gut tun, noch mehr zu lernen, es gut sein zu lassen und die Momente und das was uns das Leben schenkt zu genießen.

Ich möchte das Gefühl haben, dass das wie ich bin oder was ich tue "in Ordnung" ist, das erreiche ich mitunter nur mit dem Zwang.
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michael_m
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Re: Ein Satz für den Zwang!

Beitrag von michael_m »

Ein schönes Thema! :)

Mein Zwang verlangt von mir 100 %, wo aber keine 100 % möglich sind.
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SHG
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chillax

Beitrag von SHG »

Ich erlebe den Zwang als Beruhigungsmittel - so wie andere einfache Beruhigungsmittel, kann er allerdings bei unachtsamen Gebrauch schlimme Nebenwirkungen haben und abhängig machen. Ich bin dabei weitere Beruhigungsmöglichkeiten zu erlernen.
Orchidee
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Re: Ein Satz für den Zwang!

Beitrag von Orchidee »

Sehr spannende Antworten! Ich schliesse mich da Michael an :-) Mein Zwang will die 100%ige Sicherheit im Leben, wo es aber keine Sicherheit gibt.
JuliaMaria08
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Re: Ein Satz für den Zwang!

Beitrag von JuliaMaria08 »

Lieber Fabian,

deine Beschreibung rscheint mir schon sehr passend. Ich würde meine Zwangsstörung aber mehr in diese Richtung lenken:
"Der Zwang möchte mich vor Fehlern und Enttäuschungen beschützen, das aber in so einem Umfang, dass mich Angst und Verzweiflung beherrschen."

Liebe Grüße
Julia
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SHG
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Ein Satz

Beitrag von SHG »

Es ist schade, wieviel Lebendigkeit wir verlieren, auf der Suche nach der unerreichbaren Sicherheit.

[Ich will aber auch dieses Bedürfnis nach Sicherheit nicht zu sehr verdammen. Ich versuche auch das anzuerkennen und damit - gerne auch mit etwas weniger davon - gut leben zu lernen.]
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SHG
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Einsatz dagegen

Beitrag von SHG »

Ich finde es grundsätzlich einen guten Vorschlag, es auf den Punkt, oder eben auf einen oder ein paar Sätze zu bringen, was den Zwang ausmacht. Allerdings was wir hier gemacht haben ist, insbesondere das Problem aufzuzeigen, was schon mal wichtig ist – aber was fehlt, ist dann auch eine entsprechende Lösung. Die Lösung ist eben mal nicht so einfach, kann man sagen, aber ist das nicht schon wieder Teil des Problems. Was passiert, wenn wir mit dem Zwang „kämpfen“? Kämpfen, finde ich ja schon mal nicht so gut, weil meist recht viel Energie aufgewendet wird und dabei auch viel zerstört werden kann, also besser wäre eine etwas gelassenere konstruktive Auseinandersetzung. Also, wenn wir mit dem Zwang zu tun haben, dann „gewinnt“ oft der Zwang auch deswegen, weil er eine relativ einfache „Lösung“ hat, im Sinne von: Ungutes Gefühl (was immer es sei Angst, Schuld, Ekel, ...) – Ritual (Waschen, Nachfragen, Grübeln, …). Unsere vermeintlich guten Lösungen sind allerdings in hunderten Seiten von Büchern oder vielen Therapiestunden zu finden. Sich das alles dann im Moment zu vergegenwärtigen ist schier unmöglich und damit ist der Zwang schon wieder im Vorteil. Also, sollten wir uns nicht auch mit etwas, was einfacher ist, rüsten um Zwängen entgegenzuwirken? Und da sind mir in letzter Zeit beim Lesen in den Büchern „Ärztliche Seelsorge“ von Viktor Frankl und im OCD Mindfulness Workbook von Hershfield und Corboy Haltungen untergekommen, die es für mich gut auf den Punkt bringen (z.T. etwas frei übersetzt):

EINE FÜR MICH PASSENDE ENTSCHEIDUNG
„Ich empfinde einen Drang zum Zwang. Aber dabei gibt es eigentlich kein absolutes Müssen. Ich kann wählen und flexibel sein in meiner Entscheidung. So, wie es für mich wirklich passt.“

ZUR SICHERHEIT NICHT ZU VORSICHTIG
„Das Allervernünftigste ist, nicht allzu vernünftig sein zu wollen.“

Habt ihr Vorschläge zur "Vereinfachung"?
Zwang1
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Registriert: Mo 4. Jan 2021, 12:49

Ungutes Gefühl - Gefühlsproblem

Beitrag von Zwang1 »

Mir ist hierzu was eingefallen. Ich finde, und habe es auch schon in einem Artikel gelesen, der Zwang ist ein Gefühlsproblem, kein Gedankenproblem. Viele glauben ja, dass es die Zwangsgedanken sind, die einen am meisten beunruhigen. In Wirklichkeit ist es aber dieses ungute Gefühl. Ich kann es kaum beschreiben, nicht mal genau lokalisieren. Es ist plötzlich da, mal vor und mal nach und mal während einem Zwangsgedanken und sagt mir entweder:
a) passt jetzt auf! Es ist eine gefährliche Situation. Kontrolliere Dich, damit ja nichts passiert. oder ...
b) geh in Gedanken alles was eben war durch, um zu kontrollieren, dass nichts Schlimmes passiert ist.

Es ist dieses Gefühl, dass einen verzweifeln lässt und auch generell zweifeln lässt. Und im Grunde wäre jedes überlegen über die Situation schon ein Grübeln und somit eine gedankliche Zwangshandlung. Das einzige was man tun kann und was so unglaublich schwer ist: sich zu sagen...

Ich habe dieses Gefühl und dieses Gefühl lässt mich nicht realistisch denken, also gehe ich davon aus, dass alles gut ist und grüble und kontrolliere nicht. Ich verlass mich darauf, dass (sage und schreibe 25 Jahre mit dem Zwang mir bewiesen haben, dass es der Zwang ist und) keine reelle Gefahr droht.

Und eben nicht, nur ein kleines bisschen überlege, kontrolliere, grüble. Nur ganz kurz vielleicht ;) Nein :!:

Kann ich das? Habe ich so viel Vertrauen in mich, in die Erfahrung? Eine Herausforderung!
Günter
Beiträge: 4
Registriert: Fr 8. Jan 2021, 17:50

Re: Ein Satz für den Zwang!

Beitrag von Günter »

Als betroffener Angehöriger fällt mir dazu nur ein.

Der Zwang ist dein Feind und du behandelst ihn wie einen Freund.
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