Erkältung und die Psyche

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Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Erkältung und die Psyche

Beitrag von Jessi »

Hey !

Ich war in den letzten Tagen ein wenig angeschlagen und habe währenddessen gemerkt, dass ich die Ruhe, welche mich sonst eher ins Grübeln versetzt, besser annehmen konnte.
Ich hatte insgesamt das Gefühl, dass ich nicht die Energie aufbringen konnte, meine Zwangsgedanken in den Vordergrund zu stellen. Allerdings bin ich durchgehend "auf der Lauer". Ich dachte bisher immer, dass körperliche Beschwerden eher triggern. Wie sieht das bei euch aus? Ich habe unfassbar Angst, dass dieses unbewusste Fokussieren der Angst dazu führt, dass ich in den nächsten Tagen wieder in eine Gedankenspirale rutsche.
Insgesamt merke ich momentan, dass ich häufig Angstgefühle empfinde, welche rational völlig unnötig sind. Durch das Grübeln und die Verknüpfung zur Zwangsthematik verselbstständigt sich dieser Zwang dann.
Ich bin allerdings sehr stolz auf mich, dass ich mittlerweile aufmerksam genug bin um die Angst vorab zu spüren und in diesem kurzen Zeitraum zu erkennen, dass der Bezug zu dem Zwang sozusagen fiktiv und völlig austauschbar ist.
Wie sieht es diesbezüglich bei euch so aus ? Was kann ich an diesem Punkt machen um irgendwann nicht mehr in den Gedanken zu rutschen sondern "nur" die Angst auszuhalten ?

LG Jessi
fabian123
Beiträge: 137
Registriert: So 20. Okt 2019, 14:06

Re: Erkältung und die Psyche

Beitrag von fabian123 »

Hallo Jessi,
das du immer schneller die Zwangsgedanken als Austauschbar empfindest ist doch super. Da kannst du wirklich sehr Stolz auf dich sein =)

Mir geht es ähnlich: Ich merke immer mehr wie absurd und unangebracht meine Ängste und Zwangsgedanken sind. Jedoch ist das Gefühl was ich dabei habe, losgelöst von der Erkenntnis immer noch sehr beängstigend. Die Angst bringt mich fast immer wieder dazu irgendwelche Dinge zu kontrollieren. Aber ich lasse es, auch wenn es mir unfassbar schwer fällt und gefühlt tausend mal die Welt jeden Tag bei und in mir untergeht.

Gestern habe ich das für mich so veranschaulicht: Wenn meine Zwangserkrangung ein Marathon wäre, wäre meine Logische-Wahrnehmung bzw. mein Verstand schon längst im Ziel. Mein Gefühl ist aber locker noch 30 km vom Ziel entfernt. Es will zwar auch mal ins Ziel kommen, aber findet es zu anstrengend sich beeilen zu müssen. Weil, warum was ändern? Langsam immer die gewohnten Rituale und Orte ablaufen, ist doch viel konfortabler. Da weiß man was man hat und wo man ist!

Mir helfen so komische Bilder dabei, mir sehr komplexe Dinge einfach zu machen =) Aber vielleicht liegt echt die Erkenntnis etwas darin das „antrainiertes fühlen und grübeln“, länger braucht als die „Akzeptanz und der Intellekt“, zu verstehen das die Zwangsgedanken völlig überflüßig sind?

Ich hatte vor ca. 30 Min. bei mir im Homeoffice auch wieder völlig unbegründet Panik und Zwangsattacke. Ich habe nichts kontrolliert. Ich bin aufgestanden, habe mir eine neue Platte/CD zum anhören rausgesucht, mir nen Kaffee gemacht und eben hier dir geantwortet.

Mein Angstgefühl ist immer noch etwas da, auch wenn ich weiß es das unangebracht ist. Ich denke es brauch halt noch etwas länger um ins Ziel zu kommen =)

Alles Gute und Grüße,
Fabian
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Erkältung und die Psyche

Beitrag von Jessi »

Hey :)

Danke für deine schnelle Antwort :)

Ich weiß, dass die Zwangsgedanken austauschbar und völlig absurd sind, doch sind es trotzdem noch immer zu die gleichen. Und das verunsichert mich ebenfalls. Allerdings weiß ich auch aus meiner Vergangenheit, dass das ein Teil des Zwangs ist.
Diese Metapher finde ich super. So etwas hilft mir auch enorm, leider bin ich diesbezüglich zu unkreativ. Ich kann die Dinge bildlich beschreiben, aber selten positiv und motivierend formulieren. Ich suche mir häufig Bilder mit motivierenden Sprüchen oder Karikaturen bezüglich der Zwangsdynamik heraus, welche mir in schwierigeren Zeiten Kraft geben.

Bei mir persönlich sind die Handlungen, wie ich durch das Forum hier lernen durfte, das Grübeln an sich. Ich bekomme ein Angstgefühl und realisiere mittlerweile "das ist Angst, das Gefühl kennst du, woher kommt das?" Und nachdem ich mich nach einem Auslöser umgeschaut habe, lande ich gedanklich immer wieder bei meinem Zwangsgedanken und prüfe dann durch emotionale Beweisführung.
Das ist ebenfalls ein sehr großes Problem meinerseits. Die emotionale Beweisführung ist auch das schmerzhafteste während der Rückfälle.
Aber wie heißt es so schön: 2 Schritte nach vorne und einen zurück, dann aber wieder 2 nach vorne, so kommt man auch ans Ziel 8-)

Ich finde es übrigens sehr bewundernswert wie reflektiert und achtsam du mit dir selbst in dieser Thematik umgehst. Einfach das Angstgefühl da sein zu lassen und darauf zu vertrauen, dass es vorbei gehen wird, ist wahrscheinlich ein riesen Schritt zum Erfolg :)


LG Jessi
fabian123
Beiträge: 137
Registriert: So 20. Okt 2019, 14:06

Re: Erkältung und die Psyche

Beitrag von fabian123 »

Hallo Jessi, danke für deine Antwort =)

Das klingt etwas absurd, aber ich würde meine Zwangsgedanken bzw. viele dieser Symptome als eine sehr kreative Leistung des Gehirnes mittlerweile beschreiben. Klar sind die meisten Gedanken völlig überflüssig, beängstigend bzw. Realitätsfern. Aber die Leistung die das Hirn dabei vollbringt, ist nicht zu unterschätzen =)
Um wieviele Ecken denkst du, wenn du Angst vor etwas z.B. hast, wenn ich Fragen darf? Wenn ich z.B. auf der Strasse ein Stück Glas auf dem Boden sehe, bin ich dazu in der Lage binnen von Sekunden Angst davor zu entwickeln. Was passiert wenn ich das Stück nicht aufhebe und wegwerfe? Meine Persönliche Apokalypse, komme ich vielleicht ins Gefängnis oder ist das dass Ende dieser Zivilisation? Das klingt absurd, aber für mich kann die Welt untergehen bei so etwas. Auf der einen Seite fällt mir immer mehr auf, dass es bei mir ein sehr kindliches und ängstliches Denken ist (was bei meiner Geschichte leider kein Wunder ist).
Aber das es absurd ist, sich für das Fehlverhalten eines „Anderen & Fremden Menschen“ in der Pflicht sieht die Verantwortung übernehmen zu müssen, dieser Gedanke kommt meistens erst, wenn ich vor Angst schwitzend und völlig fertig Zuhause angekommen bin. Aber mittlerweile weiß ich das ich als Kind schon für unfassbar viel Verantwortung übernehmen musste, was mich bis heute völlig fertig gemacht hat.

Ich hoffe das ich diese Leistung irgendwann Selbstständig für was gutes bzw. positives bei mir einsetzen kann =) Allgemein steht bei meinen Zwangsgedanken und Schleifen unterm Strich immer ein Fazit: Angst.

Ich versuche das Gefühl nicht mehr zu verdrängen oder mit was anderem zu übertrumpfen. Heute zum Beispiel geht es mir recht gut. Manchmal kommen bei meinen Handlungen Gedanken, aber die gehen direkt wieder weg und hinterlassen keine Spur von Angst. Gestern war das anders, da hat mich fast alles aus der Bahn geworfen. Aber ich versuche dann einfach es auszuhalten.

Durch meine Therapie kann ich mittlerweile konkret benennen was mich Krank gemacht hat. Über Jahrzehnte habe ich unwissend meine Art die Welt zu sehen und zu interpretieren mit Hilfe meiner Angst und meinem Zwang konstruiert. Bei mir liegt die Wurzel ganz klar in Familiären Konstruktionen + X (X = zu viele Schicksalsschläge für ein Ohnehin völlig verunsicherten, sensiblen und ängstlichen Menschen).

Daher denke ich das eine Therapie, Zeit und vor allem Verständnis für sich selbst wichtig ist. Wie gesagt wie bei dem Marathon Beispiel: Ich muss akzeptieren das im Gegensatz zu meinem Verstand meine Gefühle viel länger unterwegs sind, um es zu checken das sie völlig Falsch gelaufen sind, all die Jahre =)

Alles Gute,
Fabian
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Erkältung und die Psyche

Beitrag von welltemperedmind »

@Fabian: Sehr schöner Vergleich von dir mit dem Marathon. Gefällt mir :)

@Jessi: Super gut, wie genau du schon die Systematik deines Zwangs durchschaut hast (insbesondere mit der emotionalen Beweisführung). Im Vergleich zu vielen anderen Betroffenen hast du aus meiner Sicht bereits super viel Einsicht und Motivation - das ist eher selten und vermutlich sehr förderlich für deine langfristige Heilung.

Ich habe spontan zwei Ideen, die dir evtl. helfen könnten insbesondere beim "Auf der Lauer liegen".

1. Vielleicht klingt es etwas profan, aber bist du bereits sehr "tief" in der Exposition? Exponierst du dich bereits mit allen Dingen/Gedanken/Gefühlen, die dich triggern könnten? Falls nein (ich könnte mir das vorstellen), könnte es sein, dass du vor genau vor diesen angstauslösenden Trigger, mit denen du noch wenige Expositionserfahrungen hast, "auf der Lauer liegst". Am Ende ist es das Ziel, sich mit all diesen Dingen bewusst zu exponieren und selbst die Erfahrung zu machen, dass man die sehr hohe Angst/Anspannung aushalten kann. Das führt dann dazu, dass das Selbstbewusstsein steigt, diese negativen Emotionen auch aushalten zu können, wenn man gerade nicht bewusst Expositionen macht, sondern durch einen zufälligen Zwangsgedanken mit Wucht heimgesucht wird.

2. Ergänzend ist es sicher, ein sehr gutes Training, immer wieder zu üben, nicht auf die Gedankenspirale aufzuspringen. Kommt ein Gedanke oder kommt die Angst, könntest du versuchen, achtsam die Dinge zu tun, die dir eigentlich am Herzen liegen. Es lohnt sich auch, sich hier vorab eine Liste zu erstellen - bspw. Sport, Hobby, Freunde treffen, Arbeit. Auf jeden Fall: Nicht aufspringen. Es ist wie beim Abnehmen: Nicht zur Schokolade greifen! Inzwischen kann ich stolz behaupten, dass ich Grübeleien besser widerstehen kann als der Schokolade :D

Hoffe, es kann ein wenig helfen :). Alles Gute dir!
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Erkältung und die Psyche

Beitrag von Jessi »

Hey :)

Das klingt wirklich ermutigend, vielen Dank für den Zuspruch. :)
Ich bin immer wieder auch sehr optimistisch, allerdings nicht in den Phasen, in denen ein Rückfall ansteht. :lol: :roll:

Vielleicht ist das eine dumme Frage, aber kannst du mir vielleicht nochmal erklären, wie man gedankliche Exposition betreibt ohne auf die Spirale aufzuspringen?
Wie gesagt, mein Hauptproblem ist die emotionale Beweisführung und der Hyperfokus. Wenn ich mich meinen größten Ängsten stelle und eine befürchtete Situation eintreten würde, wäre ich gefangen in der Kontrolle meiner Emotionen. Bei mir ist es leider so, dass ich dann im Nachhinein nicht merke, dass die Angst abflacht. Ich mache mir dann Gedanken wieso ich welche Emotionen hatte und ob ich eventuell doch etwas anderes gefühlt oder bemerkt habe, usw. Ich hoffe, das ist halbwegs verständlich. :?
Gedankliche Exposition betreibe ich falsch, da ich immernoch eine emotionale Rückversicherung suche. Aber dabei weiß ich nicht genau, wo ich ansetzen sollte.
Reale Exposition ist aufgrund von Corona aktuell schwierig und ich merke, dass ich dadurch viel mehr mit Zwängen besetze als es vor Corona der Fall gewesen ist, auch wenn es mir damals mental schlechter ging als heute.
Meine Therapie geht auch bald zuende, das macht mir zusätzlich Sorgen.

LG Jessi
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Erkältung und die Psyche

Beitrag von welltemperedmind »

Jessi hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 20:26 Ich bin immer wieder auch sehr optimistisch, allerdings nicht in den Phasen, in denen ein Rückfall ansteht. :lol: :roll:
Ich weiß :? - daher Rückfälle immer gut planen :geek:
Jessi hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 20:26 Vielleicht ist das eine dumme Frage, aber kannst du mir vielleicht nochmal erklären, wie man gedankliche Exposition betreibt ohne auf die Spirale aufzuspringen?
Achtung Trigger!!

Keine dumme Frage :). Im Prinzip geht es darum, sich mit einem Satz/einem Skript emotional zu triggern und dann keine Zwangshandlungen auszuführen (=nicht auf die Spirale des Grübelns aufspringen). Beispiel: Angenommen, ich hätte Angst vor den Gedanken, meine Frau abzustechen (aggressive Zwangsgedanken). Dann wäre eine gedankliche Exposition folgendes Skript: "Ich stehe zusammen mit meiner Frau in der Küche und auf einmal überkommt mich der Impuls sie hier und jetzt abzustechen. Ich nehme das Messer und steche zu. Sie schreit und es breitet sich eine Blutlache aus..." (bei Bedarf weiter fortführen - je detaillierter, desto besser). Diese Skript liest man nun vor (gedanklich oder laut) oder man erstellt eine Audio-Aufnahme und spielt es sich ab. Und nun - wichtig - geht es eben darum, nicht auf die Gedankenspirale aufzuspringen. Also nicht versuchen, den Fragen nachzugehen wie "Was ist, wenn ich das wirklich tun würde...?", "Wie kann ich das verhindern...?", "Was ist, wenn ich das wirklich will...?" Der Versuch, diesen Fragen nachzugehen ist die mentale Zwangshandlung. Das ist der Zwang. Die reine Exposition ist noch nicht der Zwang. Das sind quasi normale Gedanken, die jeder andere Mensch auch hat (wissenschaftlich bewiesen).
Jessi hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 20:26 Wie gesagt, mein Hauptproblem ist die emotionale Beweisführung und der Hyperfokus. Wenn ich mich meinen größten Ängsten stelle und eine befürchtete Situation eintreten würde, wäre ich gefangen in der Kontrolle meiner Emotionen. Bei mir ist es leider so, dass ich dann im Nachhinein nicht merke, dass die Angst abflacht. Ich mache mir dann Gedanken wieso ich welche Emotionen hatte und ob ich eventuell doch etwas anderes gefühlt oder bemerkt habe, usw. Ich hoffe, das ist halbwegs verständlich. :?
Ja, das macht Sinn. Dieses Grübel darüber, wieso du welche Emotionen hattest etc. ist dann im Prinzip auch die mentale Zwangshandlung. Ziel sollte sollte es auch sein, das abzustellen. Dabei geht aber auch immer der Schritt der Akzeptanz voraus. Das ist immer sehr individuell, aber bei dir könnte das - wenn ich das richtig lese - bspw. sein, dass du akzeptierst, nicht genau zu wissen, was deine Emotionen wirklich bedeuten (Spoiler: Wir Menschen haben sowieso gegensätzliche, konkurrierende Gefühle und so richtig "klar" fühlt man sich als Zwängler durch die Störung unseres Gefühls für Gewissheit leider sowieso nie ).

Auch wenn du glaubst, dass du in der Kontrolle deiner Emotionen gefangen wärst: Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass du das schaffen kannst, Schritt für Schritt diese Kontrolle nach Expositionen abzubauen. Kognitiv hast du deinen Zwang schon komplett durchschaut und ich glaube auch, dass du die emotionale Stärke hast, das anzugehen. Ich habe selbst sehr darunter gelitten (tue es manchmal immer noch), daher glaube ich auch, dass du das kannst. Was ich vorschlagen würde, ist, dir einen guten Plan für nach der Exposition zu machen. Ziel ist es immer, dem Drang zu Kontrolle/Zwangshandlung/Grübeleien nicht nachzugeben, sondern ihn weiter in die Zukunft zu verschieben bzw. ihn auslaufen zu lassen. Da hilft auch gut und gerne Ablenkung bzw. "Refokussieren" (also sich auf etwas andere fokussieren). Ziel ist es nicht, diesen Drang nicht zu verspüren, sondern trotz dessen sein eigenes Ding zu machen und dort zu funktionieren, wo man es will. Trotz aller widrigen Umstände funktionieren zu können, stärkt das Selbstbewusstsein ggü. dem Zwang und die Motivation für folgende Expositionen.

Ich weiß natürlich, dass das alles extrem schwierig ist, aber ich glaube da wirklich an dich!
Jessi hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 20:26 Gedankliche Exposition betreibe ich falsch, da ich immernoch eine emotionale Rückversicherung suche. Aber dabei weiß ich nicht genau, wo ich ansetzen sollte.
Perfekt :). Rückversicherung aufgeben. Unwägbarkeiten und Ungewissheit akzeptieren. Emotionen lernen zu tolerieren. Leicht gesagt, hart in der Umsetzung. Viel Erfolg!
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