Arbeiten und Zwangserkrankung

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Tim
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Tim »

Hallo Jessi.

:)
Danke für deinen freundlichen Kommentar.

Ich versuche ebenso möglichst nicht jemand etwas vorzuwerfen. Manchmal fällt das schwer wenn man
emotionales beredet. Schön das du so fair darüber redest.

Schade dass du so viel Ablehnung erhalten hast.
Ich denke ich bin da ein wenig stur.
Ich habe mal einen schönen Satz gehört der lautet

"Nein hat man. Für ja muss man was tun".

Und so möche ich immer wenn ich merke das "wir" ungerecht behandelt werden mich da einmischen.
Natürlich nur dann wenn es Sinn macht. Wenn man merkt die Leute verstehen einen nicht oder wollen nicht verstehen
kann man sich jedes Gespräch sparen.

Schade das bei dir so eine Intoleranz im Unternehmen herscht.
Ich hoffe das ändert sich.

Ein schönes WE!

LG Tim
PetraPetra
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von PetraPetra »

Hallo Zusammen,

ich habe mich nun gerade hier durchgelesen. Ich selbst habe bisher in meiner Arbeit nichts gesagt. Ich bin in einer Leitungstätigkeit und kann es so sehr gut händeln. Wobei ich schon bemerke das mich die ein oder andere neue Kollege:innen etwas sonderbar empfindet. Ich habe auch viel Kontakt mit Kunden. Ich bin mir ziemlich sicher das die mich nicht mehr als gleichwertigen Partner anerkennen würden. Aber eure Texte haben mich gerad zum nachdenken angeregt. Im Grunde sehe ich ja erst seit kurzem selbst ein das ich eine Erkrankung habe und benenne es auch. Ich denke ich bin noch Meilen davon entfernt in die Öffentlichkeit damit zu gehen. Für mich war schon der Schritt, vor 4 Monaten, es meiner besten Freundin zu erzählen eine große Sache.
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Tim
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Tim »

Hallo Petra.

Ich denke so wie Dir geht es einigen Zwänglern.

Gerade wenn man noch nicht lange erkannt hat das es doch eine Krankheit ist , ist dieses sich "Outen" nicht leicht.
Ich habe sie nun bald 20 Jahre. :(
Mittlerweile akzeptiere ich Sie. Sie Sind ein Teil von mir. Der wohl nie richtig weg gehen wird.
Das schwerste ist immer noch mit dem wenigen was man kann zufrieden zu sein.

Dazu kann ich meine Zw. nicht verbergen.

Ich finde es eben sehr schade das man sich vor allem wegen dem Schamgefühl nicht traut diese Krankheit
bewusst zu benennen. Das geht sicher Depressiven und Angstpatienten ähnlich. Doch ich denke wir Zwängler
fühlen uns noch mehr "komisch angeguckt". Das versteht eben niemand mit den Ritualen.

Leider gibt es ja sogar zwischen Zwänglern noch Barrieren. Ich habe erlebt das gerade Zw. mit Gedanken und Handlungszwängen eher die Minderheit
in der Klinik waren. Das die anderen Zw. "nicht viel mit ihnen anfangen" konnten.
Das verstehe ich eben so.
Eine Angst vor Keimen ist eben noch irgendwo begreifbar. Wenn ich aber Rückwärts laufe oder auf eine Stufe stampfe denken die nur "Hä? Hat der sie noch alle?" ;)
Ich würde selber drüber lachen wenn ich da nicht so beschämt wäre.

Daher für mich das A und O. Aufklären wo es geht.
Im öffentlichen Dienst klappt das bei mir gut.
Durch den GDB 50 kann ich zudem ein Dokument vorlegen falls da doch mal der eine oder andere nachfragt.

Beste Grüße
Tim
PetraPetra
Beiträge: 57
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von PetraPetra »

Tim, ich bin Grundsätzlich ein Mensch der Leute nicht verurteilt. Herkunft, Erkrankung, Gesinnung usw.! Aber ich gebe dir recht, viele Menschen sind schnell mit Verurteilungen. Es gibt ja auch das Tourette Syndrom, was auch stark auffällt. Wir trafen mal so jemanden, mein Mann musste lachen.....ich habe ihm erklärt das es eine Krankheit sei und er soll das gefälligst unterlassen. Aufklärung ist sehr wichtig.....Bleib dran....ich finde es gut das du dich dafür einsetzt.
TeeCoffee
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von TeeCoffee »

Hi,

ein interessantes Thema.
Gibt es auch Leute unter Euch, die Job/Studium/Ausbildung vom Bereich her so anpassen mussten, damit das ZWangsthema nicht zu sehr getriggert wird? (also Vermeidung im klass. Sinne) Also z.b. jemand der wegen Kontrollzwägen nicht als Steuerberater arbeiten kann und dann auf Taxifahrer gewechselt ist? Oder jemand der wegen Angst vor Blut nicht im medizin. Bereich arbeiten kann und lieber Lehrer geworden ist? Und wie kommen Leute mit so einem "Knick" in der Biografie klar?

Bei mir ist es so:
- 100% arbeit, nicht geoutet. Angst vor Unverstanednis, evtl. auch ein Nachteil wenn andere Ruecksicht nehmen, weil ich dann den Zwang mehr einreissen lasse. Druch den Druck, es zu verstecken, kann ich nicht unbegrenzt nachgeben.
- In Kantine bemerken Kollegen manchmal "scherzhaft" meine Probleme mit Mülleimern (Waschzwang). ICh glaube, sie sehen das in Richtung "macke" wie bei Prominenten die sagen sie haben OCD. Welches Leid und Ausmass bei mir dahintersteckt, wissen sie glücklicherweise nicht.
- Ich musste aus Waschzwangs-Anegsten mein Arbeitsgebiet in Richtung Büro steuern. Ich bin dankbar, dass ich dort funktionsfähig bin, aber auch traurig, weil es ein Kompromiss mit dem Zwang ist. So gesehen geht es mir gut und schlecht: ein Gesunder macht, was ihn interessiert und was er kann. Als Zwangserkrankter ist man froh arbeiten zu können, aber bekommt den Bereich vom Zwang diktiert, unfrei, keine freie Wahl (zmundest in meinem Fall). Und man hat nur das eine Leben auf Erden, in dem man sich selbstverwirklichen kann/soll. Ist es besser, sich solchen Luxus als Zwangskranker abzuschminken? ODer hat man dann zu weit resigniert?

Ich frage mich also vom Schweregrad der ZWaenge der hier im Forum so herrscht ob Einschraenkung der Jobwahl oder (teilweise) Arbeitsunfähigkeit eher die REgel oder Ausnahme sind? Und fuer die mit Einschraenkungen -- wie bleibt ihr positiv? gibt euch das Leben neben der Arbeit viel zurück oder andere Quellen oder hadert ihr öfter mit der Einschränkung?

Gruss
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Tim
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Registriert: Di 28. Sep 2021, 15:47

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Tim »

Hallo Anka.

Du sprichst da mehrere wichtige Dinge an.

Erstmal habe ich meinen Beruf nicht vom Zwang diktieren lassen. Da ich Programmierer werden wollte.
Da meine Zwänge in dem Falle das Tippen betreffen kann ich wenn ich was "böses" gedacht habe diesen Gedanken
neutralisieren durch Löschen des eben getipptem. Nur ein Beispiel.

In die Kantine gehe ich schon lange nicht mehr. Da ich dort manchmal das Essen gleich nach dem Bestellen verflucht hatte.
Bzw. sehr wichtig - nicht ich sondern mein Kopf - habe ich dies dann gleich wieder weg getan.
Wenn man dann sofort wieder an der Schlange steht und die sich wundern beschämt das einen .
Dann habe ich oft mal was ausgespuckt was ich beim Kauen verfluchte.
Da kamen dann schon mal Kommentare.
TeeCoffee hat geschrieben: ein Gesunder macht, was ihn interessiert und was er kann. Als Zwangserkrankter ist man froh arbeiten zu können, aber bekommt den Bereich vom Zwang diktiert, unfrei, keine freie Wahl (zmundest in meinem Fall)
So geht es mir. Ich habe schon lange keine eigene Wahl mehr.
Mein Zwang bestimmt was ich tun darf. :(
Ob ich ein Eis esse oder nicht . Oder ob ich den film sehe oder nicht.
TeeCoffee hat geschrieben:Ist es besser, sich solchen Luxus als Zwangskranker abzuschminken? ODer hat man dann zu weit resigniert?
Ich denke für mich das der Zwang gekommen ist. Sehr langsam. Die ersten Jahre dachte ich das bekomme ich in den Griff. ist nur eine Phase.
Geht wieder weg. Doch nach 19 Jahren hat sich der Zwang so manifestiert das es schwer wird ihn richtig los zu bekommen.

Aber. Es ist theoretisch möglich. Bei mir ist es ein Wust von schlimmsten bösen Gedanken die ich mir selber angeeignet habe indem ich
mich gezwungen habe nicht diese Gedanken zu haben.
Da bin ich wieder bei dem Thema Logik. Ich weiss das seit Jahren das ich mir nur selber schade. Doch das hat fast keinen Einfluss.
Die negativen Emotionen sind bei Weitem stärker.

Der Zwang kann also wieder weg gehen. In dem man jeden Gedanken ignorieren würde. Nie mehr neutralisieren würde.
Dann würden die Gedanken weniger.
Da bin ich aber so weit von weg. Ich schaffe vielleicht 5-9% nicht zu neutralisieren.

Wichtig finde ich das man immer erkennt das der Zwang bzw. das was man tut was zu viel ist einem bewusst ist das dies zu viel ist.
Man sollte immer wissen dass man dies nur wegen dem Zwang macht. Solange man das versteht hat man nicht resigniert.
Weil wir uns ja alle dabei nicht wohl fühlen.
Derjenige der denkt so wie man sich verhält ist okay der hat resigniert.
Bzw. wenn man denkt das es sich doch nie mehr ändern wird.

Die letzte Frage ist die schwerste.
Ich finde es sehr schlimm und durch meine Einsamkeit noch trauriger das ich so eingeschränkt bin.
Zum Glück habe ich einen festen Halt im Leben.
Denn so wie es gerade ist ist es echt nicht schön.

Doch aufgeben was dagegen zu tun werde ich nie.

Lg Tim
PetraPetra
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Registriert: Mi 22. Jun 2022, 01:27

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von PetraPetra »

Also ich musste meine berufliche Situation etwas verändern. Ich arbeite jetzt als Leitung überwiegend im Büro. So kann ich trotz meiner Zwänge in meinem Bereich sehr gute Arbeit leisten. Meine Zwänge engen mich nur minimal ein. Sowohl beruflich oder privat. Aber sie engen mich ein, Oft überlege ich ob es Sinn macht wohin zugehen wenn es nur für ein zwei Stunden ist, Denn danach muss ich duschen......das ist meine Überlegung. Wenn ich eh unterwegs bin ich etwas entspannter. Aber oft kaufe ich mir nichts unterwegs wegen meiner Zwänge. Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, engen diese Zwänge mich schon ein. Ja, es ist im Vergleich zu manch anderen vielleicht noch gering.....ABER wer weiß was in 10 Jahren ist???
Also, ja die Zwänge entscheiden dann doch ab und zu über mein Handeln oder besser gesagt nicht handeln. Ohhhhh ich spüre gerade wie mich das wütend macht.... :geek: :ugeek:
TeeCoffee
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von TeeCoffee »

Hi,

@Tim: nicht zu traurig sein, es ist toll dass Du am bekaempfen des Zwangs bist und es ist auch eine Leistung, "irgendwie" zu funktionieren trotz all derSchweirigkeiten. ES ist wohl fuer uns alle schweiriger als fuer Gesunde. Was gibt dir den Halt im Leben? Vielleicht inspiriert es jemanden....vielleicht mich....

@PetraPetra: wütend ist normal, aber du funktionierst....!

LG
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Tim
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Tim »

Hallo @teecoffee

Danke :)

Was mir hilft ist es Leuten zu helfen die es nicht leicht haben. Dieses Ziel
wird bis zu meinem Lebensende gültig sein.
Daher habe ich immer etwas was mich motiviert weiter zu machen.

Genau möchte ich darauf nicht eingehen.
Wegen dem Zwang.

ein schönes WE :)
Tim
Anka
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Registriert: Mo 17. Jan 2022, 21:24

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Anka »

Moin in die runde, moin teecoffee
Bei mir ist es ein teils teils... Ich arbeite vollzeit (Gott sei dank ist mir das noch möglich, das gibt mir halt und Struktur und eine soziale komponente) und bin z.t. " geoutet" da ich auch mit 10 Stunden eine leitungstätigkeit habe, habe ich mit meiner nächsten vorgesetzten sowie meine Stellvertretung gesprochen, da ich ja im Herbst diesen Jahres einen klinikaufenthalt plane und die Phase meiner Abwesenheit dann geplant werden muss...Ich habe Glück, beide haben gut reagiert u Verständnis ( was allerdings die zwänge WIRKLICH bedeuten, daß blickt dort keiner, da die massivität vor allem zu Hause ausbricht)
In einer jugendhilfeeinrichting lässt sich der ein und andere trigger der zwänge nicht vermeiden, durch die leitungsstunden aber habe ich auch viel Möglichkeiten, mich ins Büro " zurückzuziehen" und dort kann ich meine Aufgaben gut erfüllen aber auch der gruppendienst hilft mir und im dortigen Alltag "passieren" mir manchmal aus der Situation heraus " normale" Dinge, wie früher selbstverständlich, die ich aber heutzutage zumindest zu Hause nicht mehr könnte...z.b. mich auf den Boden zu setzen- auch draußen im Garten, und danach ohne kleidungswecgsel drinnen wieder auf nen Stuhl... (kleines beispiel) oder, ein größeres neulich hat mir ein Junge durchs Haar gewuselt... :shock: das war ne gute expositionsübung, musste den Rest des Tages aushalten bis ich dann zu hause duschen konnte ...
Im großen und ganzen: auf der Arbeit wasche ich deutlich öfter und länger hände als der rest ;) das fällt schon auf, wird aber toleriert und nicht (mehr) weiter hinterfragt :roll: genauso, dass ich meine ffp2 Maske durchgehend trage, sie während der Arbeit nicht absetze(n kann) ...ergo: nichts esse und trinke...aber das wars schon, den Rest arbeite ich " wie nornal" (algemein noch unter corona- Bedingungen, was es mir etwas "leichter" macht)


Privat bin ich deutlich mehr eingeschränkt...meine 18 jährige Beziehung hat so unter den zwängen gelitten, das wir uns anfang des Jahres räumlich getrennt haben....der Umzug war horror und die neue wohnung ist schön Fühlt sich auch ok an, ist aber laaaaange noch nicht fertig, da hindern die zwänfe massiv am auspacken der Kartons, aufbauen der regale, .... alles neu und muss erst " sauber werden " durch zeit des " abstehens" ... Außerdem zwischendurch immer zu waschen, das dauert und zerrt an den Nerven und der Energie

Die räumliche Trennung ist auch so ne Sache...vom Ding her bestimmt für uns beide jeweils zu Hause ne Erleichterung, aber besuche gegenseitig für mich immer auch ein totales " angehen" sowohl hier als auch da

Auch ist telefonieren ist eins meiner zwangssymptome, zwei Handys eins für drinnen(sauber) eins für draußen(dreckig) leider noch kein festnetz (scheiß technik ;) ) dass erschwert zusätzlich manchmal den Kontakt zu galten...
Soziale Kontakte sind aufgrund von Zeitmangel und Ängsten auch weitestgehend " eingeschlafen" bis auf meine 2 ältesten und engsten Freundinnen und den nachbar* innen in meinem schrebergarten, der eine zwischenwelt für mich ist und wo ich, anders als in der Wohnung, Menschen " empfangen" kann
Viele meiner freunde* innen haben aber den kontakt abgebrochen bzw. Bin ich ausgeschlossen wurden, nachdem ich im vergangenen jahr in meiner akuten kriesenzeit mich stark verändert hatte (äußerlich stark verändert, 30kg abgenommen,nicht mehr " die spaßkanone" ...)....das tat/tut schon weh....

...so nun ist der text so lang geworden und hat auch bissl übers thema hinaus Inhalte, sorry, aber irgendwie gehört doch immer alles zusammen und lässt sich losgelöst vom Rest des Lebens schlecht erklären... ;)


Allen weiterhin toitoitoi, alles Gute und heute noch nen schönen Sonntag (hier kommt grad die Sonne raus)
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