Outen als "Zwängler" ?

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Termicas
Beiträge: 56
Registriert: Do 15. Sep 2022, 20:34

Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von Termicas »

Habt ihr mal darüber nachgedacht sich als Zwängler zu outen?
Wer weiß denn bei euhc bescheid?
"Offiziell" abseits der Therapie weiß es nur meine Frau. Ein paar denken es sich glaube ich. Ich hab dabei noch das Glück Menschen in meinem Umkreis zu haben die das eher interessiert statt negativ aufnehmen würden, dennoch schaffe ich es nicht den Schritt zu gehen und zweifle ob es gut wäre.

Auf Sozialen Medien gehen manchen sehr mutig damit um. Einerseits denke ich toll weil das Thema dann einfach normaler wird aber andererseits frage ich mich sind die damit in 10,20 Jahren noch glücklich damit sich geoutet zu haben?

Wie seht ihr das?
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von Jessi »

Hey!
Ich finde es super wenn man offen dazu steht, allerdings ist es in meinem Umfeld eher negativ behaftet. Es wissen meine engste Familie und mein Freund. Beruflich würde es vermutlich als Schwäche angesehen werden, weshalb ich es nicht öffentlich mache um mir selbst keine Chancen zu verbauen. Ich denke aber, dass das eigentlich keine richtige Einstellung ist, da sich somit auch keine Besserung in der Gesellschaft zu dem Thema einstellt. Insgesamt ist es vermutlich eine sehr individuelle Entscheidung und auch abhängig von der Gesellschaft um einen herum und seinen eigenen Wünschen und Ambitionen.

LG Jessi
downtherabbithole
Beiträge: 205
Registriert: Sa 7. Nov 2020, 21:10

Re: Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von downtherabbithole »

Hallo,

ein paar Freunde von mir wissen schon seit Jahren Bescheid, aber ich glaube sie haben es auch nie so ganz verstanden. Meine Familie weiß es sowieso. Seit Corona weiß es wirklich jeder meiner Freunde und ich sage auch viel offener was los ist, also nicht nur, dass ich einen Zwang habe sondern was damit teilweise einhergeht. Ich besuche Leute ja dswg nicht so oft oder konnte sie immer schlecht zu mir einladen, leider habe ich das erst jetzt erzählt, wo so fast gar nichts mehr bei mir geht. Vielen war ja gar nicht klar, dass das mit meiner Zwangsstörung zusammenhängt, manch einer hat es vielleicht noch persönlich genommen. Ich habe auch meinen Freund ermutigt es seinen Freunden und seiner Familie zu erzählen, wenn es sonst zu Unklarheiten kommt. Seine Eltern sollen bitte nicht denken, dass ich sie nicht mag, nur weil ich so Probleme habe vorbei zu kommen. Bei nicht ganz so engen Freunden sage ich auch schon mal, dass es mir psychisch nicht gut geht, aber einfach weil ich manchmal keine Lust habe das näher zu erklären.

Ich glaube mittlerweile ich würde es jedem erzählen mit dem ich nicht in einem Arbeits- oder Mietverhältnis o.Ä. stehe. Das ist mir einfach zu riskant, da brauche ich meine Energie, um zu arbeiten und ich will nicht, dass die Leute einem Sachen unterstellen, die so gar nicht stimmen.

Und das schließt dann auch aus damit öffentlich zB. auf Instagram umzugehen. Meine Angst wäre zu groß, dass wenn man einmal öffentlich damit rausposaunt, man später damit Probleme bekommt. Kann ja zB. sein, dass der jetzige Arbeitgeber gut damit klar kommt, aber was wenn man sich mal woanders bewerben möchte und das ganze im Netz steht, dann kann es jeder mitbekommen und es könnte vielleicht eine Einstellung verhindern.

Ich habe mir letztens mal eine Liste gemacht, warum ich es meinem Arbeitgeber zB nicht erzähle. Dabei ist mir aufgefallen, dass alle Gründe die dagegen sprechen, eigentlich gegen meine Werte sprechen oder alles nur Ängste sind, von denen ich nicht mal weiß, ob sie eintreffen (zB. die Leute könnten schlecht von mir denken oder blöd über mich reden, man könnte mich rausmobben). Ist eigentlich blöd, wenn man sich davon leiten lässt. Ich habe meinem Arbeitgeber dann übrigens einfach nur gesagt, dass ich gesundheitliche Probleme habe, das hat sich in dem Moment so ergeben und es hat sich gut so angefühlt. Es stimmt ja auch und im Nachinein habe ich mich gefragt, ob das nicht eigentlich auch ausreichend sein sollte, ist ja egal wegen was man gesundheitliche Probleme hat, muss man das jedem so genau auf die Nase binden nur weil es was psychisches ist? Wenn ich will, dass zwischen psychischer und physischer Gesundheit keine Unterscheidung gemacht wird, dann sollte es eigentlich ausreichen.

Klar und was die Verbreitung von sagen wir Aufklärung über psychische Erkrankungen angeht wäre es sicherlich gut, mehr darüber zu sprechen. Ich bin mir aber nicht sicher ob das nicht viel allgemeiner laufen sollte, egal was man für eine psychische Erkrankung hat. Es gibt ja auch physische Krankheiten über die nicht jeder Mensch aufgekärt ist und ich weiß auch gar nicht ob das so nötig ist. Wichtig ist ja eigentlich dabei, dass akzeptiert und angenommen wird, dass psychisches Leiden wie physisches Leiden einfach schlimm und furchtbar sein kann und bei beidem kann man evtl Dinge nicht mehr so Leisten wie es in unserer Gesellschaft erwünscht ist. Gut und dann gibt es natürlich noch die, denen man helfen würde indem man darüber spricht, weil sie selbst davon betroffen sind (und es vll gar nicht wissen).

Und wegen dem letzten Absatz werde ich es eines Tages vielleicht doch rausposaunen. Aber ich schwanke immer hin und her. :lol:
Birgit
Beiträge: 56
Registriert: Di 5. Okt 2021, 19:17

Re: Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von Birgit »

Hallo,

also ich habe seit 2 Jahren jetzt Zwänge! Mittlerweile weiß es der engste Verwandten- und Bekanntenkreis und meine Ex-Chefin.
Also am Anfang wo ich es erzählt habe, bin ich echt gut damit gefahren. Jetzt nach 2 Jahren sind fast alle nur genervt von meiner Krankheit und ich weiß nicht ob ich es wieder so machen würde.
Klar gibt es auch Vorteile, muss mich nicht mehr erklären wieso ich auf einmal zum Hände waschen gehe und auch länger brauche. Aber das war es auch schon. Wenn ich wieder mal wegen den Zwängen zu einer Verabredung zu spät komme.... kommt da wenig Verständnis.... weil ich ja gerade nicht (seit über einem Jahr) in die Arbeit geh. Dann kann ich ja auch schließlich pünktlich sein.
Oder wenn ich zum Einkaufen ewig brauche oder einfach oft nicht dazu im Stande bin zu gehen. Oder wenn ich ständig den Boden abscanne..... und und und und
Sehr oft denke ich mir..... wäre ich in einem Rollstuhl.... dann wäre es selbstverständlich das ich viele Dinge nicht machen kann. Aber bei Zwängen ist so gut wie null Verständnis da, dass ich vieles gerade nicht mehr machen kann.
Viele können sich einfach nicht vorstellen was da in einem Kopf abgeht. Und ich höre oft.... ich red mir das alles ein.... und da war jetzt nichts... und du musst nichts machen. Ich habe es satt mich ständig erklären zu müssen..... wieso und weshalb ich was tue oder eben nicht tue.
Also ich kann Dir leider keinen guten Rat geben. Ich denke, dass muß jeder selbst für sich entscheiden ob man es erzählt oder nicht.
Ich hatte halt am Anfang meiner Krankheit immer gesagt ich hätte Ängste und eine Depression. Aber das hat niemand so recht verstanden, dass es nach vielen Behandlungen einfach nicht besser wurde. Dann habe ich es nach und nach erzählt. Bin auch viel ins Detail gegangen..... um es den Leuten besser verständlich zu machen... aber das hätte ich lieber bleiben lassen sollen.

Gruß
Birgit
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Tim
Beiträge: 78
Registriert: Di 28. Sep 2021, 15:47

Re: Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von Tim »

Hallo Termicas.

Dieses Thema ist mir besonders wichtig.
Denn ich habe immer wieder von Leuten mit Zwängen erfahren wie wenig sie sich trauen sich damit zu "outen".
Wie man in den vorherigen Beiträgen eben so list.

Zunächst möchte ich keinen kritisieren wie man damit umgeht.

Ich persönlich gehe offen damit um.
Das liegt erst mal daran dass man meine Zwang sofort "sieht".
Wenn ich z.B. laufe bzw. "komisch" laufe. Z.B. Slalom auf einem Weg wo gar keine Hindersnisse sind.
Die Hindernisse gibt mir mein Kopf -> der Zwang vor.
Oder ich stampfe auf eine Stufe.
Ich habe eben so große Probleme Räume zu betreten.

Da werde ich einfach zu oft gefragt was ich mache.
Ich habe mittlerweile kein/kaum Schamgefühl mehr davor davon zu erzählen.
Ich habe mir das ja nicht ausgesucht. Zudem kommen meine Zwänge mit großer Sicherheit von der Unsensibilität weiter Teile der Gesellschaft.

Wie man in diesem Beitrag liest habe ich mich immer ohne Umschweife mit der Krankheit beworben. Sie steht in meinem Lebenslauf.
Ich hatte damit vor allem Vorteile.

Gerade in der Uni. Die hätte ich ohne die Vorteile die sich aus dem Benennen ergaben wohl nicht geschafft.
Beim Beruf ist es ähnlich. Die würden mich längst gefeuert haben wenn die nicht wüsste warum ich so langsam bin.
In meinem Freundeskreis wissen es alle.
Leider habe ich nur eine Freundin :(
Der Rest sind Bekannte. Die wissen aber alle Bescheid.

Aber früher wo ich noch mehr Freunde hatte wussten es so gut wie alle.

Ich fühle mich damit befreit. Sicherlich kann man eben so sagen man hat eine Angststörung oder einfach nur psych. Krankheit.

Was Birgit schreibt verstehe ich gut.
Birgit hat geschrieben:Sehr oft denke ich mir..... wäre ich in einem Rollstuhl.... dann wäre es selbstverständlich das ich viele Dinge nicht machen kann. Aber bei Zwängen ist so gut wie null Verständnis da, dass ich vieles gerade nicht mehr machen kann.
Das stimmt. Leider.
Doch ich sehe das eben so. Wenn niemand bescheid weis wird sich nichts ändern.
Das mit dem Rollstuhl macht mich betroffen. Man will lieber nicht mehr laufen aber akzeptiert werden.
Ich weis das du das nicht so meinst. Doch irgendwo geht es darum.
Birgit hat geschrieben:Ich habe es satt mich ständig erklären zu müssen..... wieso und weshalb ich was tue oder eben nicht tue.
Das kenne ich. :(

Vor allem ist es blöd wenn man immer und immer wieder das gleiche erklären muss.

Doch wie gesagt. Ich will mich nicht verstecken und mich schämen dass ich eine Krankheit habe die eben so ist.
Wenn die Leute wüssten was ich jeden Tag denke würde denen wohl klar sein warum ich so leide.

Doch was die sehen ist eben ein Mensch der allefalls merkwürdige Dinge tut.

Was echt gut wäre. Wäre eine sehr gute Illustration für Menschen ohne Zwänge die Ihnen das beschreibt was ein Zwängler für Probleme hat.
Und vor allem warum man es nicht schafft davon los zu kommen.
Also warum die Ängste so schlimm sind.

Das wäre ja mal eine Idee welches die Gesellschaft für Zwangs. umsetzen kann/sollte.

Mein Fazit für mich ist und war das ich mit dem Outen bei den Leuten die mir wichtig sind
sowie im Beruf nur gute Erfahrungen gemacht habe.

Beste Grüße
Tim
Birgit
Beiträge: 56
Registriert: Di 5. Okt 2021, 19:17

Re: Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von Birgit »

Hallo Tim,
wie ich ja aus Deinen Beiträgen weiß, bist Du einer der die Krankheit nicht versteckt. Das finde ich sehr mutig und gut von Dir.
Leider ist es bei mir wirklich so bis auf 2 oder 3 Leute... das es die anderen jetzt nach den 2 Jahren nur noch nervt.
Informationen aus den Internet haben sich von allen nur 2 geholt.
Alle anderen haben gesagt, des reicht ihnen was ich erzählt habe und sie sehen ja schließlich was ich für komische Dinge mache. Mehr müssen sie darüber nicht wissen.
Ich glaube ..... viele denken einfach.... ich hab meine eigenen Probleme... was soll ich mich noch um andere Probleme kümmern.
Und natürlich hast du recht.... ich bin Gott sehr dankbar, dass ich nicht im Rollstuhl sitze.
Ich würde mir einfach nur wünschen, dass ich noch als Mensch gesehen werde.... und man nicht nur meine Krankheit sieht. Die jetzt natürlich ständig mit mir in Verbindung gebracht wird.

Viele Grüße
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michael_m
Beiträge: 613
Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von michael_m »

Will hier noch eine andere Perspektive schildern: Ich hab vor vielen Jahren gerade im Freundes- und Arbeitsbereich von meinen Problemen erzählt.
Bis auf eine einzelne Person hat mir da nie jemand "Vorwürfe" gemacht. Im Gegenteil, die Beziehung zu den anderen ist in vielen Fällen viel tiefer geworden. Ich hab es für mich nicht bereut, da offen damit umzugehen. Und ist jetzt auch schon bald ca. 10 Jahre her.
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Tim
Beiträge: 78
Registriert: Di 28. Sep 2021, 15:47

Re: Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von Tim »

Super @michael.

Ich freue mich immer wenn jemand so etwas berichtet. :)

Beste Grüße
Tim
ocdopus
Beiträge: 19
Registriert: So 12. Jan 2020, 20:31

Re: Outen als "Zwängler" ?

Beitrag von ocdopus »

In meinem Fall weiß die engere Familie recht genau Bescheid.
Im Freundeskreis habe ich zumindest Manches erzählt (vor einem 2-monatigen Klinikaufenthalt).
Am Arbeitsplatz habe einen Kollegen, mit dem ich das Meiste zu tun habe, über einzelne Dinge eingeweiht, allerdings den Begriff "Zwangserkrankung" nicht genannt.

Meine Familie ist da verständnisvoll, und es gibt da auch noch mehr Personen, die psychische Probleme hatten oder haben. Insofern ist die Sache nicht komplett neu.

Im Freundeskreis können sich die Leute meine Probleme oft einfach kaum vorstellen und deswegen auch nicht wirklich verstehen, warum Manches für mich so schwer oder unmöglich ist. Aber ich denke, das alles wäre für sie noch viel unverständlicher, wenn ich sie überhaupt nicht eingeweiht hätte.

Am Arbeitsplatz ist die persönliche Beziehung zu meinem Kollegen durch mein teilweises Outing in dieser Sache tiefer geworden, würde ich sagen

Soweit meine Erfahrungen - LG
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