Jeden Tag die Angst, jemanden unbemerkt geschlagen zu haben

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Lena
Beiträge: 1
Registriert: Do 2. Nov 2023, 19:24

Jeden Tag die Angst, jemanden unbemerkt geschlagen zu haben

Beitrag von Lena »

Hallo an alle!

Ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob ich meine Gedanken jemals öffentlich machen soll oder nicht, aber heute Abend sind sie so quälend, dass ich einfach nicht mehr weiter weiß.
Ich wurde vor ein paar Jahren mit einer aggressiven Zwangsstörung diagnostiziert und habe mich nun auch in einer Klinik speziell für solche Fälle angemeldet.

Ich selbst bin 27 Jahre alt und befinde mich zurzeit im letzten Jahr der Ausbildung zur Erzieherin und arbeite in einem katholischen Kindergarten. Den Klinikplatz kann ich daher erst nach der Ausbildung wahrnehmen, da ich sonst wieder ein Jahr verliere, mir es dann psychisch noch beschissener geht weil ich finanziell nicht besonders gut aufgestellt bin. Ich will das ganze einfach nur noch hinter mich bringen.

Es gibt nur leider diesen einen Gedanken, der mich tagtäglich begleitet: Was, wenn du ein Kind geschlagen hast und dich nicht mehr erinnern kannst? Was, wenn all deine harte Arbeit die letzten Jahre umsonst war weil du deswegen gekündigt wirst und in Folge dessen deinen Ausbildungsplatz verlierst? Deine Zukunft wird ruiniert sein, da du keine vorherige Berufsausbildung besitzt und deswegen in Armut leben musst. Diese Gedanken befinden sich bei mir in einer Dauerschleife und machen es fast unmöglich, mich in meiner Freizeit mit etwas positivem zu beschäftigen, da ich gefühlt den ganzen Tag Existenz - und Zukunftsängste habe.
Diese Gedanken begleiten mich täglich. Ich liebe meine Arbeit, sie macht mir unheimlich viel Spaß. Aber die Gedanken machen mich wirklich wahnsinnig. Ich habe echt das Gefühl langsam aber sicher verrückt zu werden. Durch ständiges Grübeln und Szenarien in meinem Kopf wiederholen, also eine Situation die dieses Angstgefühl ausgelöst hat (meistens wenn ich eine Konsequenz gegenüber einem Kind aussprechen muss oder mich ein Kind wirklich richtig auf die Palme bringt) in seine Einzelteile zu zerlegen, versuche ich diese Angst zu neutralisieren. Sie wird aber natürlich dadurch nur noch stärker, es bilden sich Zweifel ob es denn nicht doch so passiert sein könnte. Vielleicht habe ich zugeschlagen während ich einen Blackout hatte? Vielleicht war es so schlimm, dass mein Gehirn diese Erinnerungen nicht rausgeben möchte weil es mich sonst innerlich zerreißen würde. Aber eigentlich ist das Quatsch. Das Betroffene Kind hätte angefangen zu weinen, andere Kinder hätten dies gesehen und es weitererzählt und hätten mich gemieden. Und Eltern wären zu unserer Leitung gegangen. Wie ihr merkt zweifle ich an allem, was in meinem Kopf passiert. Ich kann mir selbst und auch meinen Erinnerungen nicht mehr vertrauen. Ehrlich, ich weiß nicht mehr weiter. Meine Lebensfreude habe ich schon lange verloren. Und Kollegen daß ganze erzählen wäre für mich ein No-Go, denn die bekommen sonst noch Angst, ich könnte den Kindern etwas Böses antun.
Esther
Beiträge: 3
Registriert: Di 10. Okt 2023, 16:11

Re: Jeden Tag die Angst, jemanden unbemerkt geschlagen zu haben

Beitrag von Esther »

Mein derzeitiger Zwang hat sich auch meine berufliche Karriere auserkoren. Das ist so typisch: Das, was einem Freude macht und eine Perspektive gibt, wählt der Zwang aus um es einem madig zu machen.

Mein Thema hat irgendwie mit Imposter-Syndrom zu tun: weil ein Dozent in meinem Studium uns in einem Kurs die Leistungspunkte quasi „geschenkt“ hat (wir mussten dafür nur eine popelige Aufgabe machen anstatt, wie die Prüfungsordnung eigentlich vorgesehen hat, eine Hausarbeit zu schreiben), fühle ich mich, als wäre ich eine Hochstaplerin und hätte gar keinen akademischen Abschluss. Dabei weiß ich genau, dass so viele Menschen in ihrer Schullaufbahn, Ausbildung, Studium, ja sogar in ihrer Doktorarbeit irgendwie geschummelt haben und jetzt trotzdem fröhlich ihrem Beruf nachgehen. Nur mir fällt es so schrecklich schwer damit klar zu kommen. Damals war es mir egal und ich habe mich gefreut, ein bisschen weniger Arbeit zu haben, aber jetzt drängt sich mir täglich der Gedanke auf, dass ich eine Betrügerin bin und gar nicht berechtigt, meinem Beruf nachzugehen, den ich eigentlich sehr gerne mache.

Meine Ratio sagt mir, dass ich übertreibe und den „Fall“ zu den Akten legen kann, mein Gefühl sagt mir: du musst eine komplett neue berufliche Laufbahn einschlagen und bei null anfangen, um jemals Frieden darüber zu finden.

So viel zu mir, du bist also nicht alleine mit beruflichen Ängsten. Vielleicht tröstet dich das irgendwie. Ich war jedenfalls erleichtert ein ähnliches Thema wie meines hier zu entdecken.

Was mir tatsächlich sehr hilft ist der Podcast „OCD Stories“ (gibt’s bei Spotify). Darin erzählen viele Menschen von ihren Zwangs-Themen und wie sie damit umgehen. Das rückt mein zwanghaftes Grübeln immer in eine neue, hoffnungsvollere Perspektive. wenn du in dem Podcast im Suchfeld „Harm OCD“ eingibst, könntest du auf Geschichten treffen, die deiner sehr ähneln. Bei mir ist es eher Moral OCd und Real Event OCD, vermute ich.

Ich wünsche dir alles Gute, bleib stark!
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