Zwangssysteme

[downtherabbithole]

Hallo,

mich beschäftigt momentan ein Thema und mich würde interessieren, ob es anderen vielleicht auch so geht?

Und zwar habe ich über die Jahrzehnte mit meinen Zwangshandlungen, Systeme aufgebaut. Da ich einen Waschzang habe beziehen sich die Systeme dann zB. auf Räume, Orte, bestimmte Kleidungsstücke, bestimmte Personengruppen. Ich habe zB. Kleidung die ich nur zur Arbeit anziehe und welche die ich nur zu Hause anziehe (egal ob gewaschen oder nicht). Diese beiden Systeme kann ich nicht mischen. Das liegt daran, dass ich unterscheidliche Dreckigkeitsstufen habe.
Durch die Systeme kann ich bestimmte Sachen immer noch machen, aber natürlich ist alles wahnsinnig anstrengend und kompliziert, weil ich die Systeme nicht untereinander mischen kann.

Jetzt kommt noch dazu, dass es mir so scheint, als ob es durch die Systeme wahnsinnig schiewrig ist mit Expos zu arbeiten, bzw. ich an den Stellen hänge.
Ich müsste die Systeme durchbrechen (also zB. Kleidung von der Arbeit zu Hause tragen), dann habe ich aber solche Angst nicht mehr zu funktionieren, dass ich es nicht hinbekomme.
Außerdem stelle ich immer wieder fest, dass ich einige Sachen mit den Expos nur in den Systeme hin und herschiebe aber nicht von den Handlungen loskomme. Ich habe jetzt zB. das erste mal seit Jahren eine Freundin wieder getroffen, sie mit in das Arbeitssystem genommen, dadurch ist mein Arbeitssystem aber dreckiger geworden. Hätte ich sie im zu Hause System mit reingenommen, wäre es zu Hause dreckiger und auf der Arbeit sauberer als zu Hause. Ich weiß nicht ob das verständlich erklärt ist.

Eigentlich weiß ich, dass ich diese Systeme durchbrechen muss, habe aber keine Ahnung wie. Theoretisch hätte ich die Freundin treffen müssen, mich dann zu Hause hinsetzen müssen und dann auf die Arbeit fahren müssen. So eine lange Expo funktioniert aber meiner Erfahrung gar nicht, weil ich nicht so lange im Gefühl bleiben kann und abgelenkt bin.

Gibt es auch andere mit derartigen Systemen? Haben Menschen mit Kontrollzwängen das auch?
Und wie löst ihr das?

[TeeCoffee]

Hi downtherabbithole,

ja also was du "System" nennst, nennen andere oft Zonen (unterschiedlicher Sauberkeit) und ist absolut typisch bei Waschzwängen. Manch einer hat noch wie eine Art "Schleuse" z.B. beim Nachhausekommen, um die vermeintliche Kontamination nicht von draussen nach drinnen zu bringen.
Wenn es Teil des Zwangs ist, also eine unrealistischen Gefahrenbewertung, dann ist es letztlich auch etwas das mit Expos angegangen und aufgelöst werden muss. Kann sein, dass du einen Therapeuten brauchst, der es mit dir vorbereitet und evtl auch durchzieht und dann eine Weile bei dir ist, wenn die Angst hochkommt. Ich habe demletzt einen Podcast gehört wo ein Therpeut sagte, leider muss man bereit sein, zu akzeptieren, dass man im Kopf abgelenkt und mit den Ängsten beschäftigt ist, während man zur Arbeit geht oder andere Dinge zu tun hat. Ich denke, das ist die hohe Kunst das durchzuziehen. Aber wenn man ehrlich ist, hat man solche Ablenkung und Angst ja auch wenn man im Zwangssystem lebt - man denkt ja da auch oft an Gefahren etc. und ist unruhig.
Gruss

[downtherabbithole]

Hallo,

danke für deine Antwort.
Ja das macht Sinn, dass andere das einfach anders nennen .

Ich versuche es jetzt gerade mit kleinen Schritten. Ich mache mehr Dinge und dann auch mit Angst, aber eben noch nicht zu Hause. Meine Hoffnung ist, dass ich mich dann mehr traue und höhere Risiken eingehe mich länger angsterfüllt/unwohl/mit ekeligen Gedanken zu fühlen. Ich sehe es momentan aber noch nicht und es schleppt sich langsam vor sich hin. Aber besser als gar kein Fortschritt.

[esgehtweiter]

Wisst ihr, ob es dazu vielleicht Reportagen gibt? Habt ihr dazu auch Literatur? Ich verstehe mich gerade besser zu verstehen, also mich im Sinne von dem Zang, der mein Leben bestimmt, bzw generell Zwänge. Vielleicht kennt ihr ja was?

[stineschuene]

Hallo
Ich kenne das Phänomen der Zwangssymptome auch sehr gut. In langen Jahren der Psychotherapie habe habe ich teilweise herausgefunden, um was es bei mir geht. Nämlich um Aggressionen anderer Menschen, denen ich mich schutzlos ausgeliefert fühl(t)e. Was aber in erster Linie für meine Kindheit und Jugend galt, denn ich habe im Laufe der Zeit gelernt, dass ich keineswegs schutzlos bin. Ein extrem ausgeprägter Perfektionismus spielt auch eine grosse Rolle.Trotzdem ist es mir bis heute nicht gelungen, die Zwänge abzulegen. So geistert durch meinen Kopf: die Welt da draussen ist dreckig = aggressiv und wenn ich draussen war, muss ich mich reinigen, bevor ich zurück in meine Wohnung darf. Drinnen ist ein geschützter, reiner Raum, der auch nur mit Extra-Kleidung betreten werden darf. Diese Reinigungsvorschriften, die ich mir ja selbst gegeben habe, waren teilweise so anstrengend, dass ich lieber im Auto etc. gegessen und geschlafen habe. Denn auch Lebensmittel kamen ja von draussen = dreckig, und z.B. Brot kann man vorm Essen nicht reinigen. Das zumindest konnte ich inzwischen teilweise ändern.
Aber ohne Therapie ging es nicht! Ich kann dir deshalb auch nur dringend dazu raten, dir einen auf Zwangserkrankungen spezialisierten Therapeuten zu suchen. Mir scheint das Korsett deiner Zwänge sitzt so eng, dass du ohne Hilfe nicht herauskommst. Ev. wäre sogar eine stationäre Therapie angesagt. Aber mit normalen Rehakliniken habe ich z.B. schlechte Erfahrungen gemacht. Auch, wenn Zwangserkranlungen im Behandlungsspektrum stehen. Es gibt einige wenige Kliniken in Deutschland, die wirklich auf Zwänge spezialsiert sind. Diese können auch wirklich wirksam arbeiten.
Mir scheint, du weisst noch nicht allzuviel über die Hintergründe deiner Zwänge? Literatur kann da hilfreich sein. Zur Vorbereitung auf eine Therapie. Zumindest für mich war es hilfreich. Aber theoretisches Wissen kann das "TUN" nicht ersetzen. Das musste ich lernen.
Aber du bist jetzt auf dieser Website gelandet. Hier findest du Literaturhinweise und man ist dir behilflich einen geeigneten Therapeuten bzw. eine Klinik zu finden. Ich selbst finde, die DGZ leistet Grossartiges!!! Auch weil dort Betroffene und Ärzte/Therapeuten quasi zusammenkommen...das ist super.
Ich wünsche dir alles, alles Gute für deinen Weg Stine