Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

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Armin
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Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von Armin »

Hallo zusammen,

mein Sohn leidet unter verschiedenen Zwängen. Am offensichtlichsten sind die Waschzwänge sowie die Berührungs- und Vermeidungszwänge. Etwas subtiler sind die Zwangsgedanken und Kontrollzwänge, die für Außenstehende nur schwer erkennbar sind. Tatsächlich dominieren die Zwangsgedanken das Ganze vermutlich im Hintergrund. Und last but not least ist da sein Lieblingszwang, das Lernen.

Die ersten Anzeichen deuteten sich vor etwa drei Jahren an. Ich vermute, dass er damals anfing, sich selbst in Frage zu stellen, und dass sich der „schützende Zwang“ umso schneller etablierte, je mehr sein sensibles Ich dabei zu zerbrechen drohte. Inzwischen haben die Zwänge komplett die Regie übernommen und mein Sohn hat sich entsprechend verändert. Er ist sehr oft sehr nachdenklich. Er zieht sich oft „zum Lernen“ in sein Zimmer zurück. Insgesamt wirkt er deutlich steifer als zuvor, um nicht zu sagen depressiv. Ich bin kein Experte, dennoch deutet vieles in seinem Verhalten auf eine zwanghafte Persönlichkeit hin. Wie weit er für Hilfe offen ist, kann ich nur schwer einschätzen, da jegliche Versuche, ihn auf seine Zwangsproblematik hinzuweisen, bisher erfolglos verliefen.

Wir haben es am Anfang ganz behutsam probiert, dann etwas konkreter oder auch mit Briefen, bis hin zur ganz direkten Konfrontation. Seine Reaktionen variierten: „Es ist gar nicht so schlimm“, „Ich wasche mir die Hände so oft, weil ihr alle so unhygienisch seid“ oder „Ihr habt zu viele Filme geschaut“. Je mehr wir intervenieren, desto stärker zieht sich unser Sohn zurück.

Ich habe schon oft folgenden Rat erhalten: „Ihr könnt eurem Sohn am besten helfen, indem ihr einfach für ihn da seid.“ Und genau das fällt uns brutal schwer. Denn man hat ständig das Gefühl, seiner Pflicht als Vater und Mutter nicht nachzukommen. Man ist quasi gezwungen, dabei zuzusehen, wie das eigene Kind sich in Zeitlupe zugrunde richtet. Und wenn man eingreift, riskiert man, ihn komplett zu verlieren. Vermutlich ist unser Leidensdruck aktuell viel stärker als seiner. Aber wie schlimm muss es für ihn werden, bis er sich professionelle Hilfe sucht? Muss er erst alles verlieren? Oder gibt es vielleicht doch Möglichkeiten ein Umdenken zu bewirken bevor es zum Äußersten kommt?

Wie war das denn bei euch? Wie war euer Weg, bevor ihr euch Hilfe gesucht habt? Welche Rolle haben eure Eltern dabei gespielt? Konnten sie helfen?

Wenn meine Fragen zu intim sind, muss natürlich niemand darauf eingehen. Ich erwarte auch keine Absolution nach dem Motto „Lehn dich zurück, du kannst sowieso nichts tun“. Mir ist bewusst, dass jeder Leidensweg individuell ist und es keine Pauschallösungen gibt. Ich möchte nur meinem Sohn helfen, auch wenn es nur ganz kleine Schritte sind, und hoffe auf eure Unterstützung dabei.
Heinz_Hilbig
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Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von Heinz_Hilbig »

Wie alt ist euer Sohn ?
Armin
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Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von Armin »

Er ist 20 Jahre alt.
Heinz_Hilbig
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Registriert: Di 14. Jan 2025, 11:47

Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von Heinz_Hilbig »

Euer Sohn ist also volljährig. Und damit trifft er seine eigenen Entscheidungen. Auch darüber, wie er leben möchte.

Armin hat geschrieben: So 1. Jun 2025, 12:07 Wir haben es am Anfang ganz behutsam probiert, dann etwas konkreter oder auch mit Briefen, bis hin zur ganz direkten Konfrontation. Seine Reaktionen variierten: „Es ist gar nicht so schlimm“, „Ich wasche mir die Hände so oft, weil ihr alle so unhygienisch seid“ oder „Ihr habt zu viele Filme geschaut“. Je mehr wir intervenieren, desto stärker zieht sich unser Sohn zurück.
Damit habt ihr euren Teil getan. Ihr habt ihn darauf aufmerksam gemacht. Mehrfach. Und je mehr ihr versucht ihn zu verändern - denn das ist es was ihr tut - desto mehr sucht er den Abstand. Er will, dass ihr ihn in Ruhe lasst.

Armin hat geschrieben: So 1. Jun 2025, 12:07 Ich habe schon oft folgenden Rat erhalten: „Ihr könnt eurem Sohn am besten helfen, indem ihr einfach für ihn da seid.“ Und genau das fällt uns brutal schwer. Denn man hat ständig das Gefühl, seiner Pflicht als Vater und Mutter nicht nachzukommen. Man ist quasi gezwungen, dabei zuzusehen, wie das eigene Kind sich in Zeitlupe zugrunde richtet. Und wenn man eingreift, riskiert man, ihn komplett zu verlieren. Vermutlich ist unser Leidensdruck aktuell viel stärker als seiner.
Ihr habt offenbar kluge Menschen in eurem Umfeld. Denn dieser Rat könnte nicht besser sein !

Und hier muss man eines dann auch klar festhalten: IHR habt Probleme, diesen Rat umzusetzen. Es ist also an euch selbst, hierfür eine Lösung zu finden. Diese besteht jedoch nicht darin, euren Sohn verändern zu wollen. Diese besteht darin, an euch selbst zu arbeiten. Gegebenenfalls mit therapeutischer Unterstützung.
Mit eurem Verhalten bewirkt ihr nur eines: ihr arbeitet selbst nach Kräften daran, dass es früher oder später "zum Äußersten" kommt.

Und, da du nach der Sicht von Betroffenen fragst: das Verhalten von Eltern ist häufig Teil des Problems. Vielleicht wäre es für alle besser, wenn ihr und euer Sohn mehr räumliche Distanz aufbaut. Z.b.indem er in eine WG oder ein kleines Appartment außerhalb des bisherigen Hauses zieht.

Ihr werdet hier keine Hilfe dazu finden, wie ihr euren Sohn besser manipulieren könnt. Ich kann euch nur dazu ermutigen, dass ihr für euch selbst therapeutische Hilfe sucht. Um besser zu lernen mit eurer Situation klar zu kommen. Ganz unabhängig von dem Verhalten und den Entscheidungen eures Sohnes.
TeeCoffee
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Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von TeeCoffee »

@Heinz:
Z.b.indem er in eine WG oder ein kleines Appartment außerhalb des bisherigen Hauses zieht
@Armin:
Wäre das denn überhaupt möglich? Wenn er schwere und schwerste Waschzwänge hat glaube kann es gut sein, dass er nicht ohne Hilfe leben kann und sowieso nicht in einer WG.

Ich denke es ist inder Tat extrem schwierig, da bei einem Volljährigen einzugreifen. Schau mal in dem Angehörigen Forum -- da kommen öfter solche Fragen. Ich denke die Situation ist ein bisschen analog zum Alkoholismus, wo die Familie mit ansieht, wie ein Verwandter zugrunde geht. Allerdings muss man auch sagen, dass die Prognose ohne Hilfe nicht gut ist. Vielleicht kannst du ihn mal vorsichtig bitten, sich ein paar Artikel oder einen Selbsthilferatgeber durchzulesen und zu sehen dass sich sein Verhalten in vielerlei Hinsicht dort wiederfinden wird. Ohne jegliche Erwartung, dass dann gleich etwas passiert oder entschieden wird. Aber vielleicht stösst es Umdenken an. Immerhein weisst du, dass es Zwänge sind, ich wusste bei mir nicht, dass es andere Leute gibt, die dasselbe tun wie ich und ich fand es ganz bemerkenswert, wie andere Leute auf exakt dieselben "Ideen" kommen.

Gruss
Armin
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Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von Armin »

Hallo Heinz,
vielen dank für deine Antwort. Ich gebe dir in vielen Punkten Recht denn so ähnlich argumentiert auch mein Sohn. Ich möchte Ihn auch nicht manipulieren, habe dazu auch gar kein Recht. Ich würde mir nur für ihn wünschen, dass er weniger vom Zwang manipuliert wird und irgendwann ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Dass er dann, wenn er soweit ist, einen guten Therapeuten findet und sich von seinen Zwängen befreien kann.
Heinz_Hilbig hat geschrieben: So 1. Jun 2025, 17:16 Ihr werdet hier keine Hilfe dazu finden, wie ihr euren Sohn besser manipulieren könnt. Ich kann euch nur dazu ermutigen, dass ihr für euch selbst therapeutische Hilfe sucht. Um besser zu lernen mit eurer Situation klar zu kommen. Ganz unabhängig von dem Verhalten und den Entscheidungen eures Sohnes.
An der Therapeutensuche für uns selbst sind wir dran. Die sind nur nicht so leicht zu finden.

Grüße
Armin
Armin
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Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von Armin »

Hallo TeeCoffe,
vielen Dank auch für deine Antwort.
TeeCoffee hat geschrieben: So 1. Jun 2025, 19:19 Wäre das denn überhaupt möglich? Wenn er schwere und schwerste Waschzwänge hat glaube kann es gut sein, dass er nicht ohne Hilfe leben kann und sowieso nicht in einer WG.
Du hast Recht – eine WG und Waschzwänge – das wird nicht funktionieren. Seine Waschzwänge lassen gerade noch eine gewisse Bewegungsfreiheit zu. So dass ein Umzug in eine eigene kleine Studentenbude im Raum steht bzw. geplant ist. Je nach dem wie sich das mit dem Waschzwang entwickelt.
TeeCoffee hat geschrieben: So 1. Jun 2025, 19:19 Ich denke es ist inder Tat extrem schwierig, da bei einem Volljährigen einzugreifen. Schau mal in dem Angehörigen Forum -- da kommen öfter solche Fragen. Ich denke die Situation ist ein bisschen analog zum Alkoholismus, wo die Familie mit ansieht, wie ein Verwandter zugrunde geht. Allerdings muss man auch sagen, dass die Prognose ohne Hilfe nicht gut ist. Vielleicht kannst du ihn mal vorsichtig bitten, sich ein paar Artikel oder einen Selbsthilferatgeber durchzulesen und zu sehen dass sich sein Verhalten in vielerlei Hinsicht dort wiederfinden wird. Ohne jegliche Erwartung, dass dann gleich etwas passiert oder entschieden wird. Aber vielleicht stösst es Umdenken an. Immerhein weisst du, dass es Zwänge sind, ich wusste bei mir nicht, dass es andere Leute gibt, die dasselbe tun wie ich und ich fand es ganz bemerkenswert, wie andere Leute auf exakt dieselben "Ideen" kommen.
Ich hatte schon überlegt Ihn zu fragen ob er Interesse an einem der vielen Bücher hat, die sich bei mir inzwischen angesammelt haben. Bin nur nicht ganz sicher, welches da am besten geeignet wäre. Eine andere Idee war Ihm das Video von Sam Vaknin "Exit Your Comfort Zone: Rigid Personality to OCD" zu schicken. Das kam mir dann aber auch zu heftig und womöglich zu übergriffig vor. Keine Ahnung was da richtig ist. Mal sehen.

Gruss
Armin
TeeCoffee
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Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von TeeCoffee »

Hi Armin,

ich denke das wär natürlich gut, wenn er alleine leben könnte -- ich weiss ja nicht wieviel ihr für ihn im Alltag übernehmt/übernehmen müsst, damit er funktionieren kann. Diese "family accomodation" des Zwangs kann dazu führen, dass sich das System immer mehr verschlimmtert, weil die Eltern immer mehr eingebunden werden und der Betroffene immer unselbständiger wird. Das würde in der eigenen Wohnung weniger einreissen. Kann er sich das denn vorstellen, alleine klar zu kommen?
Allerdings ist es auch möglich, dass Dein Sohn dann versucht, in seiner Wohnung das Zwangssystem zu perfektionieren oder immer weiter reinrutscht, weil er versucht irgendwie um den Zwang drumherum zu arbeiten aber die ständig vorhandenen vermeintlichen "Kontaminationen" von aussen nicht zu vermeiden sind.
Wäre wirklich das beste, wenn er selbst versteht, dass er vermutlich Hilfe braucht, um aus dem Zwang zu kommen. Als Betroffener denkt man oft, dass man es lösen kann indem man immer kompliziertere Verhaltensweisen entwickelt und so zum Ziel kommt -- aber oft klappt das nur z.T. oder es wird schlimmer.
Ich wünsche Euch das beste!
Gruss
Heinz_Hilbig
Beiträge: 77
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Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von Heinz_Hilbig »

Hallo Armin

Nein. Keine Bücher. Keine Videos. Ich denke, ihr habt genug in diese Richtung getan. Und mir scheint auch, dass euer Sohn besser über seine Situation Bescheid weiss. Er möchte es nur nicht mit euch diskutieren.

Man kann nicht Eltern und Therapeut in einer Person sein. Und da ihr bereits die Elternrolle besetzt habt: lasst das mit dem therapieren und diagnostizieren ! Das will kein Kind.
Das bedeutet für euch auch: keine Bücher oder Videos mehr über Zwänge !!!
Wenn ihr Bücher oder Videos schauen wollt, dann solche, welche sich mit eurer Situation beschäftigen. Die sich darum drehen, wie ihr als Eltern mit der Situation künftig anders umgehen könnt.
Armin hat geschrieben: So 1. Jun 2025, 21:35 Ich würde mir nur für ihn wünschen, dass er weniger vom Zwang manipuliert wird und irgendwann ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Dass er dann, wenn er soweit ist, einen guten Therapeuten findet und sich von seinen Zwängen befreien kann.
Nochmal: das sind Eure Vorstellungen !
Und er wird nicht vom Zwang manipuliert. Der Zwang ist ein Teil von ihm. Er hat ihn entwickelt. Weil er ihn braucht. Er möchte ihn also vielleicht gar nicht aufgeben.
Wie sich seine Zwänge in einer anderen Wohnung entwickeln bleibt abzuwarten. Möglicherweise werden sie auch weniger. Er muss selbst entscheiden, den Zwang hinter sich lassen zu wollen. Und je eher ihr ihn in Ruhe lasst, desto früher passiert das vielleicht...
Armin
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Re: Wie bringt man einen Kometen aus seiner Bahn?

Beitrag von Armin »

Viellein Dank Heinz und TeeCoffee für euren Input.

Ich denke das mit der eigenen Wohnung führt in die richtige Richtung und ich werde meinen Sohn fragen ob ich Ihn bei der Suche unterstützen kann. Zumindest ist es ein Versuch Wert. Zurück in sein Zimmer kann er immer.
Heinz_Hilbig hat geschrieben: So 1. Jun 2025, 23:32 Und er wird nicht vom Zwang manipuliert. Der Zwang ist ein Teil von ihm. Er hat ihn entwickelt. Weil er ihn braucht. Er möchte ihn also vielleicht gar nicht aufgeben.
Das was du da geschrieben hast Heinz, dass der Zwang ein Teil von Ihm ist und dass es letztlich seine Entscheidung ist ob er ihn aufgibt oder nicht, ist sicherlich richtig. Ich hatte das an anderer Stelle schon mal gehört. Heute ist mir das nur irgendwie besonders schwer gefallen das zu verdauen. Ich danke dir für deinen Input. Das hilft zu verstehen und hoffentlich richtig zu handeln.

Viele Grüße
Armin
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