Re: Sexuelle Zwangsgedanken
Verfasst: Mo 1. Feb 2021, 13:48
Hallo Leute,
nachdem ich dieses Forum entdeckt und eure Geschichten gelesen habe, geht es mir gleich viel besser. Ich bin für mich froh, dass es noch andere Leidensgenossen und -genossinnen gibt. Bisher dachte ich, ich wäre mit meinem Problem ganz allein. Bisher habe ich mich niemandem darüber geredet, abgesehen von meiner Therapeutin. Das es HOCD gibt, wusste ich durch eigene Recherche oder durch die üblichen Selbsthilfebücher wie „Kobold im Kopf“, die ihr hier ja schon erwähnt habt.
Jetzt möchte ich euch auch mal meine Geschichte erzählen – zum einen, um mir das auch von der Seele zu schreiben und zum anderen, um euch Mut zu machen.
Ich bin männlich, Mitte 30, glücklich verheiratet mit einer Frau und ebenso glücklicher Familienvater. Bei mir fing alles vor zwei Jahren an. Ich durfte mich in der glücklichen Lage schätzen, bereits wegen einer anderen Geschichte bei einer Psychotherapeutin in Behandlung zu sein. Mit Mitte 20 fingen bei mir Panikattacken plötzlich aus heiterem Himmel an, ständige Angst war mein Begleiter, ich hatte Angst vor dem Tod, etc. (nichts, was ich mit den heutigen Zwangsgedanken in Verbindung bringen würde). Einmal nahm ich allen Mut zusammen und ging in eine psychiatrische Ambulanz. Die Ärztin dort empfahl mir eine ambulante Psychotherapie – jedoch konnte ich mich aus Angst/Scham nicht dazu überwinden. Ich schaffte es mehr oder weniger selbst aus diesem Problem, ehe es Ende 20 wieder anfing. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch ein Studium begonnen, wurde Papa, hatte geheiratet. Obwohl ich den Eindruck hatte, alles im Griff zu haben, schien mir diese Belastung doch über den Kopf zu wachsen – die Ängste fingen wieder an. Ich hatte z.B. ständig Angst, vor den Kommilitonen umzukippen.
Da der Leidensdruck groß war und die Vernunft Gott sei Dank gesiegt hatte, suchte ich mir Anfang 30 einen ambulanten Psychotherapieplatz und hatte Glück, recht schnell einen zu bekommen.
Zu dem Zeitpunkt fühlte ich mich in einem ziemlichen Tief und war – wie schon öfter – in einem depressiven Gemüt (liegt bei uns in der Familie). Beispielsweise hatte ich – mal wieder – Angst, ich könnte beispielsweise HIV oder Krebs haben. Im TV sah ich einen Typen, offensichtlich schwul, und ich dachte auf einmal „vielleicht könnte ich auch schwul sein“. Und da war es passiert. Eine Panikattacke tat sich in mir auf, die gefühlt Tage anhielt. Mittlerweile konnte ich sowas gut verbergen, sodass meine Frau davon nichts mitbekam. Ich sah mein Leben an mir vorbei rauschen, vor meinem inneren Auge verlor ich meine Familie und alles was mir heilig war. Ich dachte, ich müsste meiner Frau sagen, dass ich nun schwul bin und sie verlassen muss.
Nach zwei Tagen hielt ich es nicht mehr aus und sagte meiner Therapeutin Bescheid, dass ich dringend kommen müsse. Bei einer Autofahrt brach ich in Tränen aus. Meine Frau fragte mich, was los sei. Ich sagte ihr nur, dass ich unendliche Angst habe…vor was, konnte/wollte ich ihr nicht sagen.
Bei meiner Therapeutin brach ich auch in Tränen aus – ich weiß nicht, wann ich zuvor das letzte mal so geheult habe…außer als meine erste Freundin, meine erste große Liebe(!) mit mir Schluss gemacht hat. Da ich total aufgelöst und fertig war, empfahl sie mir als Krücke zusätzlich medikamentöse Therapie. Mein Hausarzt verschrieb mir Venlafaxin, was ich aber nicht vertragen habe und dann auf Escitalopram 10mg umgestiegen bin.
Begleitend zur Therapie nahm ich Escitalopram nun bis Herbst letztens Jahres. Das Einschleichen war unschön, aber gut zu meistern. Während der Verhaltenstherapie haben wir zum einen an den Zwangsgedanken, zum anderen aber v.a. an meiner depressiven Stimmungslage gearbeitet. Die Depression ging quasi Hand in Hand mit den Zwangsgedanken.
Parallel las ich heimlich die Bücher „Kobold im Kopf“, „Wenn Zwänge das Leben einengen“ und „Tyrannen in meinem Kopf“. An dieser Art von Zwangsgedanken zu leiden war und ist mir sowas von peinlich, sodass ich bisher mit niemandem darüber geredet habe. Auch nicht mit meiner Frau, da ich Angst habe, sie würde es nicht verstehen.
Für mich war und ist es schon immer undenkbar, homosexuell zu sein. Ich hatte bisher auch nie homosexuelle Wünsche, Beziehungen oder Affären. Ich war bisher immer in Frauen verliebt, teilweise auch so schwer, dass ich garnicht weiß, woher solche Zweifel an meiner Orientierung überhaupt herkommen können. Frauen sind für mich was schönes und erotisches und der Sex mit ihnen und natürlich auch mit meiner Frau erfüllt mich sehr und finde ich wunderschön.
Seit Beginn der Zwangserkrankung habe ich permanent versucht, mich auf irgendeine Weise zu versichern, dass ich nicht schwul bin, z.B. durch Pornos schauen oder mich immer wieder damit zu erden, dass ich bisher nur was mit Frauen hatte und auch sehr in ein paar Frauen verliebt war.
Wie in einem der Bücher zu lesen war, helfen diese „Rückversicherungsmethoden“ immer schlechter, je öfter man sie anwendet, was letztlich aus lauter Verzweiflung zur Sucht wird. Aber unter Zwangsgedanken zu leiden ist das schlimmste, was ich mir jemals vorstellen konnte. Zu meiner Therapeutin sagte ich mal, dass ich lieber 2 Wochen Brechdurchfall oder ähnliches hätte, als so etwas durchzumachen. Es kostet so viel Energie. Zu den schlimmsten Zeiten hielten die Gedanken den ganzen Tag an…sobald ich die Augen morgens öffnete, ging es los – purer Horror. Sobald ich junge Männer sah/sehe, kommen diese hoch. Ich konnte kaum noch Musik von Sängern im Radio hören, von denen ich wusste, dass sie schwul sind (Sam Smith bspw.) – sobald sowas im Radio lief, hab ich umgeschaltet. Wenn Homosexualität im TV oder irgendwo sonst im Alltag ein Thema war, kochte in mir die Panik hoch. Doch ich zwang mich, vor dem Hintergrund der Exposition, mir das „reinzuziehen“ und nicht zu flüchten, was mir mal mehr, mal weniger half. Ich sprach meine schlimmsten Befürchtungen und Inhalte meiner Zwangsgedanken auf ein Diktiergerät und hörte mir das im Auto auf dem Weg zur Arbeit an (wie im Buch „Kobold im Kopf“ beschrieben). Und es half tatsächlich ein wenig.
Gegen Herbst letzten Jahres war es so gut und so still in meinem Kopf, dass ich die Escitalopram ausgeschlichen habe – im Nachhinein zu schnell, sodass der Ausschleichprozess ziemlich schlimm war. Ich fiel in ein depressives Loch, die Angst und die Gedanken kamen wieder hoch. Fast hätte ich die Tbl. wieder genommen, doch ich habe Gott sei Dank durchgehalten.
Mittlerweile habe ich die Ängste/Panik, die mit den Gedanken einhergehen gut im Griff – ich möchte es ohne Tbl schaffen. Es gibt super gute Tage, wie jetzt, an denen es mir so gut geht, sodass ich denke „wow, ich bin geheilt“ und dann gibt es wieder Tage wie vor einer Woche, an denen es mir dreckig geht und die Gedanken wieder kommen. Da hatte ich z.B. einen Traum, in dem ich mit einem Mann rumgemacht habe und es mir gefallen hat. Ich bin schweißgebadet wach geworden. Die Gedanken kommen bei mir v.a. dann, wenn ich in depressiver Stimmung bin.
Nichtsdestotrotz war und ist es mir ein persönliches Ziel, unabhängig von Psychopharmaka zu sein. Ich habe den Absprung von den SSRI geschafft und möchte auch dabei bleiben. Mir tut Sport sehr gut. Und wie man weiß, ist Sport eines der besten nichtmedikamentösen Antidepressiva. Allerdings ist es oft schwer, Sport in seinen stressigen beruflichen wie privaten Alltag zu integrieren.
Alles in allem will ich euch mitgeben: Ihr seid nicht allein!!! Sucht euch einen Therapeuten/-in, wobei ihr ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis haben solltet, da das Thema schon sehr schambehaftet ist!!! Lest die Bücher und übt es, diese Gedanken auszuhalten und nicht dagegen anzukämpfen – ich weiß, wie schwer das ist!!! Habt keine Angst vor Antidepressiva – sie können euch in den schwärzesten Stunden das Leben erleichtern, auch wenn es natürlich ohne allemal besser ist.
Viele Grüße!!!
nachdem ich dieses Forum entdeckt und eure Geschichten gelesen habe, geht es mir gleich viel besser. Ich bin für mich froh, dass es noch andere Leidensgenossen und -genossinnen gibt. Bisher dachte ich, ich wäre mit meinem Problem ganz allein. Bisher habe ich mich niemandem darüber geredet, abgesehen von meiner Therapeutin. Das es HOCD gibt, wusste ich durch eigene Recherche oder durch die üblichen Selbsthilfebücher wie „Kobold im Kopf“, die ihr hier ja schon erwähnt habt.
Jetzt möchte ich euch auch mal meine Geschichte erzählen – zum einen, um mir das auch von der Seele zu schreiben und zum anderen, um euch Mut zu machen.
Ich bin männlich, Mitte 30, glücklich verheiratet mit einer Frau und ebenso glücklicher Familienvater. Bei mir fing alles vor zwei Jahren an. Ich durfte mich in der glücklichen Lage schätzen, bereits wegen einer anderen Geschichte bei einer Psychotherapeutin in Behandlung zu sein. Mit Mitte 20 fingen bei mir Panikattacken plötzlich aus heiterem Himmel an, ständige Angst war mein Begleiter, ich hatte Angst vor dem Tod, etc. (nichts, was ich mit den heutigen Zwangsgedanken in Verbindung bringen würde). Einmal nahm ich allen Mut zusammen und ging in eine psychiatrische Ambulanz. Die Ärztin dort empfahl mir eine ambulante Psychotherapie – jedoch konnte ich mich aus Angst/Scham nicht dazu überwinden. Ich schaffte es mehr oder weniger selbst aus diesem Problem, ehe es Ende 20 wieder anfing. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch ein Studium begonnen, wurde Papa, hatte geheiratet. Obwohl ich den Eindruck hatte, alles im Griff zu haben, schien mir diese Belastung doch über den Kopf zu wachsen – die Ängste fingen wieder an. Ich hatte z.B. ständig Angst, vor den Kommilitonen umzukippen.
Da der Leidensdruck groß war und die Vernunft Gott sei Dank gesiegt hatte, suchte ich mir Anfang 30 einen ambulanten Psychotherapieplatz und hatte Glück, recht schnell einen zu bekommen.
Zu dem Zeitpunkt fühlte ich mich in einem ziemlichen Tief und war – wie schon öfter – in einem depressiven Gemüt (liegt bei uns in der Familie). Beispielsweise hatte ich – mal wieder – Angst, ich könnte beispielsweise HIV oder Krebs haben. Im TV sah ich einen Typen, offensichtlich schwul, und ich dachte auf einmal „vielleicht könnte ich auch schwul sein“. Und da war es passiert. Eine Panikattacke tat sich in mir auf, die gefühlt Tage anhielt. Mittlerweile konnte ich sowas gut verbergen, sodass meine Frau davon nichts mitbekam. Ich sah mein Leben an mir vorbei rauschen, vor meinem inneren Auge verlor ich meine Familie und alles was mir heilig war. Ich dachte, ich müsste meiner Frau sagen, dass ich nun schwul bin und sie verlassen muss.
Nach zwei Tagen hielt ich es nicht mehr aus und sagte meiner Therapeutin Bescheid, dass ich dringend kommen müsse. Bei einer Autofahrt brach ich in Tränen aus. Meine Frau fragte mich, was los sei. Ich sagte ihr nur, dass ich unendliche Angst habe…vor was, konnte/wollte ich ihr nicht sagen.
Bei meiner Therapeutin brach ich auch in Tränen aus – ich weiß nicht, wann ich zuvor das letzte mal so geheult habe…außer als meine erste Freundin, meine erste große Liebe(!) mit mir Schluss gemacht hat. Da ich total aufgelöst und fertig war, empfahl sie mir als Krücke zusätzlich medikamentöse Therapie. Mein Hausarzt verschrieb mir Venlafaxin, was ich aber nicht vertragen habe und dann auf Escitalopram 10mg umgestiegen bin.
Begleitend zur Therapie nahm ich Escitalopram nun bis Herbst letztens Jahres. Das Einschleichen war unschön, aber gut zu meistern. Während der Verhaltenstherapie haben wir zum einen an den Zwangsgedanken, zum anderen aber v.a. an meiner depressiven Stimmungslage gearbeitet. Die Depression ging quasi Hand in Hand mit den Zwangsgedanken.
Parallel las ich heimlich die Bücher „Kobold im Kopf“, „Wenn Zwänge das Leben einengen“ und „Tyrannen in meinem Kopf“. An dieser Art von Zwangsgedanken zu leiden war und ist mir sowas von peinlich, sodass ich bisher mit niemandem darüber geredet habe. Auch nicht mit meiner Frau, da ich Angst habe, sie würde es nicht verstehen.
Für mich war und ist es schon immer undenkbar, homosexuell zu sein. Ich hatte bisher auch nie homosexuelle Wünsche, Beziehungen oder Affären. Ich war bisher immer in Frauen verliebt, teilweise auch so schwer, dass ich garnicht weiß, woher solche Zweifel an meiner Orientierung überhaupt herkommen können. Frauen sind für mich was schönes und erotisches und der Sex mit ihnen und natürlich auch mit meiner Frau erfüllt mich sehr und finde ich wunderschön.
Seit Beginn der Zwangserkrankung habe ich permanent versucht, mich auf irgendeine Weise zu versichern, dass ich nicht schwul bin, z.B. durch Pornos schauen oder mich immer wieder damit zu erden, dass ich bisher nur was mit Frauen hatte und auch sehr in ein paar Frauen verliebt war.
Wie in einem der Bücher zu lesen war, helfen diese „Rückversicherungsmethoden“ immer schlechter, je öfter man sie anwendet, was letztlich aus lauter Verzweiflung zur Sucht wird. Aber unter Zwangsgedanken zu leiden ist das schlimmste, was ich mir jemals vorstellen konnte. Zu meiner Therapeutin sagte ich mal, dass ich lieber 2 Wochen Brechdurchfall oder ähnliches hätte, als so etwas durchzumachen. Es kostet so viel Energie. Zu den schlimmsten Zeiten hielten die Gedanken den ganzen Tag an…sobald ich die Augen morgens öffnete, ging es los – purer Horror. Sobald ich junge Männer sah/sehe, kommen diese hoch. Ich konnte kaum noch Musik von Sängern im Radio hören, von denen ich wusste, dass sie schwul sind (Sam Smith bspw.) – sobald sowas im Radio lief, hab ich umgeschaltet. Wenn Homosexualität im TV oder irgendwo sonst im Alltag ein Thema war, kochte in mir die Panik hoch. Doch ich zwang mich, vor dem Hintergrund der Exposition, mir das „reinzuziehen“ und nicht zu flüchten, was mir mal mehr, mal weniger half. Ich sprach meine schlimmsten Befürchtungen und Inhalte meiner Zwangsgedanken auf ein Diktiergerät und hörte mir das im Auto auf dem Weg zur Arbeit an (wie im Buch „Kobold im Kopf“ beschrieben). Und es half tatsächlich ein wenig.
Gegen Herbst letzten Jahres war es so gut und so still in meinem Kopf, dass ich die Escitalopram ausgeschlichen habe – im Nachhinein zu schnell, sodass der Ausschleichprozess ziemlich schlimm war. Ich fiel in ein depressives Loch, die Angst und die Gedanken kamen wieder hoch. Fast hätte ich die Tbl. wieder genommen, doch ich habe Gott sei Dank durchgehalten.
Mittlerweile habe ich die Ängste/Panik, die mit den Gedanken einhergehen gut im Griff – ich möchte es ohne Tbl schaffen. Es gibt super gute Tage, wie jetzt, an denen es mir so gut geht, sodass ich denke „wow, ich bin geheilt“ und dann gibt es wieder Tage wie vor einer Woche, an denen es mir dreckig geht und die Gedanken wieder kommen. Da hatte ich z.B. einen Traum, in dem ich mit einem Mann rumgemacht habe und es mir gefallen hat. Ich bin schweißgebadet wach geworden. Die Gedanken kommen bei mir v.a. dann, wenn ich in depressiver Stimmung bin.
Nichtsdestotrotz war und ist es mir ein persönliches Ziel, unabhängig von Psychopharmaka zu sein. Ich habe den Absprung von den SSRI geschafft und möchte auch dabei bleiben. Mir tut Sport sehr gut. Und wie man weiß, ist Sport eines der besten nichtmedikamentösen Antidepressiva. Allerdings ist es oft schwer, Sport in seinen stressigen beruflichen wie privaten Alltag zu integrieren.
Alles in allem will ich euch mitgeben: Ihr seid nicht allein!!! Sucht euch einen Therapeuten/-in, wobei ihr ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis haben solltet, da das Thema schon sehr schambehaftet ist!!! Lest die Bücher und übt es, diese Gedanken auszuhalten und nicht dagegen anzukämpfen – ich weiß, wie schwer das ist!!! Habt keine Angst vor Antidepressiva – sie können euch in den schwärzesten Stunden das Leben erleichtern, auch wenn es natürlich ohne allemal besser ist.
Viele Grüße!!!