Arbeiten und Zwangserkrankung

downtherabbithole
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Registriert: Sa 7. Nov 2020, 21:10

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von downtherabbithole »

Hallo,

ganz schön viel los hier, das freut mich, eure ganzen Geschichten und Einstellungen zu lesen, das hat mir auch noch mal viel Input gegeben.

Ich wollte zwischendurch schon mal antworten aber ich habe so viele Gedanken dazu im Kopf, dass ich dann irgendwie blockiert war, weil ich gar nicht wusste wo ich anfangen soll. Ich antworte jetzt mal auf alles so ein bisschen, ohne noch mal direkt eure Namen zu nennen.

Ich habe beschlossen meine Stunden auf 30 zu reduzieren, ich muss das jetzt nur noch mit meinem Chef klären. Weil ich solche Gespräche hasse, schiebe ich das aber natürlich mal wieder ein bisschen vor mich her.
Grundsätzlich würde ich mir übrigens wünschen, man könnte einfach offen darüber sprechen, was man hat. In der jetzigen gesellschaftlichen Situation bin ich mir aber eben nicht so sicher, ob das nicht nacher auch zur psychischen Belastung werden könnte und denke deswegen ein gewisser Selbstschutz ist schon okay. Aber natürlich kann man auch nur mehr Verständnis für die Krankheit bekommen, wenn sich mehr Menschen dazu äußern.
Ich würde mir auch wünschen, dass wir in einer Gesellschaft leben in der jeder so arbeiten kann wie er dazu fähgi ist, und somit seinen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten kann, auch wenn das eben bei manchen bedeutet dass sie nur 5 oder 10 oder 15 Stunden arbeiten oder nur bestimmte Arbeiten machen können. Besser wäre es eben wenn man gar keine Ausweise bräuchte, sondern das einfach Gang und Gebe wäre. Naja, willkommen in Utopia. Ich habe eigentlich auch selber ziemlich stark das Gefühl für Gerechtigkeit zu kämpfen, deswegen passt es tatsächlich auch nicht zu meiner Persönlichkeit, das so auszuschweigen. Weil mein Job mir aber sehr wichtig ist und mir auch sehr viel Halt gibt, ist die Angst momentan einfach noch größer.
Ich arbeite übrigens in der freien Wirtschaft und habe auch noch einen Beruf in dem man durch die wenigen Stellen und die Anzahl der Bewerber ziemlich austauschbar ist. In dem Job hat man sowieso schon oft ziemlich bescheuerte Stellen und Chefs, ich habe es dabei sehr gut erwischt, vermutlich geht hier auch gar nicht so die Gefahr aus. Im Zweifel würde ich es meinen Chefs aber sagen, also vor allem dann wenn ich in eine Klinik gehe oder wenn ich etwas wegen der Zwänge gar nicht kann, zB. eine Geschäftsreise. Da müsste ich sonst einfach zuviele Lügen auftischen.
Als ich noch weniger Zwänge hatte und einfach nur etwas öfter die Hände auf der Arbeit gewaschen habe (denn paradoxerweise war früher die Arbeit mein "sauberer Ort", da wäre ich auch gar nicht auf die Idee gekommen irgendwas zu erzählen. Warum denn auch, da musste ich mir kaum Ausreden einfallen lassen und konnte meiner Arbeit ganz normal nachgehen. Jetzt mache ich manchmal schon sehr komische Sachen, von denen ich mir sicher bin, dass sie dem ein oder anderen sowieso auffallen. Außerdem bin ich ziemlich vergesslich und eben oft unpünktlich. Ansonsten kann ich meiner Arbeit schon sehr gut nachgehen nur ist es eben wenn ich Abends nach Hause komme ein riesiges Problem und das ist mir dann auf Dauer alles zu anstrengend.

Ich habe übrigens meinen Traumjob ergriffen und bin damit sogar erfolgreich. Ich kann aber auch nicht sagen, ob ich mich ohne die Zwänge vielleicht sogar selbstständig machen würde oder andere Sachen testen würde und damit vielleicht noch mehr Erfolg hätte.
Das ist mir jetzt auch nicht so wichtig, weil mir Gesundheit wichtiger ist, allerdings wäre es ohne die Zwänge ja vielleicht mein Ziel, könnte also schon sein, dass es mich etwas einschränkt. Wenn man aber überlegt, dan denke ich das viele Menschen nicht unbedingt die Jobs machen, die sie eigentlich machen würden. Die haben dann zwar vielleicht keine komplette psychische Erkrankung, aber sind vielleicht nicht selbstsicher genug, fühlen sich nicht gut genug etc. und das liegt ja auch irgendwie an der Psyche.

Es gibt übrigens auch viele Menschen, bei denen der Zwang direkt im Job getriggert wird, hab da mal ein Interview mit einer Chemikern gehört zB. Bei mir ist es auch so, die Sachen über die ich besonders gut durch meinen Beruf Bescheid weiß, die haben auch komische Außmaße in den Zwängen angenommen. Hab auch mal von jemand gehört, der in der Baubranche arbeitete und nicht mehr aus dem eigenen Haus gehen konnte weil eine Großbaustelle um die Ecke war und er wusste was da so herumfliegt (und dann durch den Zwang die Wahrscheinlichkeiten für alles total überschätzt hat).
Und man hat nur das eine Leben auf Erden, in dem man sich selbstverwirklichen kann/soll. Ist es besser, sich solchen Luxus als Zwangskranker abzuschminken? ODer hat man dann zu weit resigniert?
Ich frage mich also vom Schweregrad der ZWaenge der hier im Forum so herrscht ob Einschraenkung der Jobwahl oder (teilweise) Arbeitsunfähigkeit eher die REgel oder Ausnahme sind? Und fuer die mit Einschraenkungen -- wie bleibt ihr positiv? gibt euch das Leben neben der Arbeit viel zurück oder andere Quellen oder hadert ihr öfter mit der Einschränkung?

Naja, ich hab mich ganz schön abgeackert um dahin zu kommen wo ich jetzt bin. Manchmal frag ich mich auch ob das für meine Psyche so förderlich war ehrlich gesagt. Ich habe auch noch Träume im Leben und ich finde es auch wichtig an denen festzuhalten, aber man sollte sich auch nicht dafür fertig machen, wenn sie eben nicht klappen oder man sie eben jetzt gerade nicht umsetzen kann. Ich denke auch das mit dem was man im Leben so machen sollte, gemacht haben sollte, Träume verwirklichen oder das Leben ist viel zu kurz, das macht für mich mit Zwängen mehr Sinn, das mal beiseite zu legen. Ich versuche mich mehr aufs hier und jetzt zu konzentrieren, versuche an meiner Gesundheit zu arbeiten, das ist das allerwichtigste. Ich versuche die kleinen Dinge im Leben zu sehen, die mich glücklich machen, das kann auch eine Tasse Kaffee sein. Ich versuche mich nicht zu sehr davon irritieren zu lassen, was um mich herum und auf den sozialen Medien passiert und propagiert wird. Das ist auch was mich positiv bleiben lässt, aber ich bin nicht immer positiv. Es ist phasenweise sehr schlimm und dann geht es wieder, dann bin ich wieder optimistisch und so weiter. Gefühle bleiben nicht gleich.

Ich habe allerdings auch einen Partner und Freunde, das ist natürlich auch eine gute Motivation. Partnerschaft steht aber durch die Zwänge immer auf der Kippe und meine Freunde kann ich nicht besuchen. Deswegen sind meine jetzigen Ziele im Leben: gesünder zu werden und die Kontakte wieder aufzunehmen und auch neue Kontakter zu knüpfen (da meine Freunde alle weiter wegwohnen).

Bei mir wissen übrigens alle meine Freunde Bescheid, manche schon länger, manche erst seitdem ich sie nicht mehr besuchen kann. Es hat sich keiner abgewandt, allerdings verstehen natürlich viele die Ausmaße nicht und ich habe auch nicht jedem alles ins Detail erklärt. Manchmal würde ich mir wünschen, die würden sich öfter von selber melden, weil ich es so schlecht gebacken bekomme. Dadurch dass wir uns jetzt ewig nicht gesehen haben, habe ich natürlich auch manchmal Angst, dass sich die Kontakte verlaufen. Allerdings kenne ich diese Leute schon seit meiner Jugend und da die sich größtenteils auch untereinander kennen, ist es sehr wahrscheinlich dass der Zusammenhalt bleibt. Da habe ich verdammt Glück und weiß das auch sehr zu schätzen, ich denke auch dass ich diese Menschen im Leben habe hat früher dabei geholfen, dass der Zwang nicht schlimmer geworden ist und übrigens auch dass ich jobmäßig so viel verfolgen konnte. Ich will gar nicht wissen wie es mir gehen würde, wenn diese Menschen nicht in meinem Leben gewesen wären.
Privat bin ich deutlich mehr eingeschränkt...meine 18 jährige Beziehung hat so unter den zwängen gelitten, das wir uns anfang des Jahres räumlich getrennt haben....der Umzug war horror und die neue wohnung ist schön Fühlt sich auch ok an, ist aber laaaaange noch nicht fertig, da hindern die zwänfe massiv am auspacken der Kartons, aufbauen der regale, .... alles neu und muss erst " sauber werden " durch zeit des " abstehens" ... Außerdem zwischendurch immer zu waschen, das dauert und zerrt an den Nerven und der Energie
Das mit der räumlichen Trennung ist ein krasser Schritt, wir haben uns das tatsächlich aber auch schon überlegt. Früher waren bei mir die Zwänge tatsächlich besser wenn ich mit Leuten zusammengewohnt habe, mit meinem jetzigen Freund ist es aber so das er in meine Zwänge involviert ist. Bei uns stehen auch noch immer Kartons seit einem Jahr herum, habe da die gleichen Probleme wie du. Ich kann auch unseren tollen Balkon gar nicht nutzen, weil etwas dreckiges vor der Balkontür steht etcetc. Ich kann auch keine neuen Möbel kaufen, weil die irgendwie durch den Hausflur ins Haus müssten... :roll:
PetraPetra
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Registriert: Mi 22. Jun 2022, 01:27

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von PetraPetra »

Auch ist telefonieren ist eins meiner zwangssymptome, zwei Handys eins für drinnen(sauber) eins für draußen

Wie machst du es wenn in der Einrichtung jemand anruft und du ans Gruppentelefon gehen musst? Ich, als Leitung habe dafür gesorgt immer ein Extratelefon zu haben, Doch ab und an musste ich gezwungenermaßen ans Diensttelefon wo alle dran gehen, ran. Für mich eine echte Überwindung. Rückwirkend denke ich jetzt, das ich für viele meiner Kollegen:innen merkwürdig war!
Anka
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Registriert: Mo 17. Jan 2022, 21:24

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Anka »

Hi petrapetra,
Ja, das mit dem telefonieren bei der Arbeit ist wirklich ein schwieriges Ding... Da kam mir tatsächlich Corona sehr zu Hilfe .. also, grundsätzlich habe auch ich in meinem Büro ein eigenes Telefon (das über nacht im Aktenschrank eingeschlossen wird-damit die Reinigungskräfte es nicht anfassen :roll: ) und wenn ich Mal ans Gruppentelefon muss, mach ich es i.d.r.abseits des Geschehens, wo ungestört und ungehört-und dann auf laut ... Aber da bin ich tatsächlich nicht die einzige, Dank Corona ist auch das zwar bestimmt für einige irgendwie schräg aber nicht ganz so skurril wie ohne diesen zusammenhang...zu meinem Glück...
PetraPetra
Beiträge: 57
Registriert: Mi 22. Jun 2022, 01:27

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von PetraPetra »

Gleiche Vorgehensweise wie bei mir....... :D :lol: :roll:
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