Ich fühle mich immer falsch...;(

[July]

Hallo

ich leide seit Jahren an Zwängen u.a. Putzzwang, Kontrollzwang, Zwangsgedanken..

Ich bin auch in Therapie gewesen, bzw. suche gerade eine neue Therapeutin, da meine Vorherige in Rente gegangen ist.

Hinzu kommt, dass ich mich mit allem wie ich bin und wie ich lebe falsch fühle. Mit Dingen die ich sage, tue, dass ich mit Mitte 30 noch kein Kind habe, "nur" in einer Mietwohnung lebe. Ich mache mir ständig Gedanken darum, einhergehend mit schlimmen Gefühlen und Impulsen und richtige Panik, dass ich mein Leben nicht im Griff habe. Dabei habe ich mein Leben im Griff, ich mag unsere Wohnung, sind dort gerade erst eingezogen und jeder sagt, wie schön die Wohnung doch ist, ich habe eine unbefristete Arbeit, einen tollen Freund, tolle Freundinnen.

Meine Therapeutin sagte mir immer, dass ich mein Leben, trotz erheblicher Zwänge, gut im Griff habe, ich stolz sein kann aber ich fühle mich nur falsch. Woher die Zwänge kommen und diese Gefühle, das ist auch aufgearbeitet, trotzdem gehen diese Gefühle ja nicht weg. Sie werden besser mit Medikamenten, die habe ich abgesetzt, da ich es ohne Medikamente schaffen möchte, ich arbeite auch gerade an einer Art Konfrontationstherapie in langsamen Schritten.

Geht es jemandem ähnlich? Vll. kann man sich austauschen.

Liebe Grüße

[Chris_84]

Hallo Julia,

du hast geschrieben

Woher die Zwänge kommen und diese Gefühle, das ist auch aufgearbeitet, trotzdem gehen diese Gefühle ja nicht weg.

.
Das ist interessant. Magst du das vielleicht etwas näher erläutern ?

Es ist ja schön, wenn deine Therapeutin dir sagt, dass du stolz sein kannst. Scheint nur nicht viel zu helfen...
Hat sie dir denn auch erklärt, woher diese Gefühle kommen ?

Und wie sieht diese "Art" Konfrontationstherapie aus, welche du planst ?

Herzliche Grüsse
Chris

[July]

Hi Chris,

danke für Deine Antwort.

Meine Zwänge haben ihren Ursprung aus dem Lauf meines Lebens, mir wurde in Laufe meines Lebens sehr oft und sehr früh schon vermittelt, dass ich nicht so gut bin, wie ich bin, sei es durch "Freunde", Arbeitgeber u.a. An mir wurde enorm viel kritisiert, ja sogar, wie ich huste, wie meine Augenbrauen gezupft sind, und das zog sich mit auch anderer Kritik durch mein Leben durch. Ich konnte quasi nie eine eigene Persönlichkeit entwickeln,
da ich mit 13 schon enorme Kritik erfahren habe! Ich habe mit 27!!! dann endlich ein Umfeld gehabt, welches mich nicht mehr permament kritisiert hat, davor war nur Kritik angesagt. Mit 16 gingen die Zwänge los, da hat mich das aber noch nicht so belastet, mit 21 habe ich Zwangsgedanken bekommen, sodass ich umgehend eine Therapeutin aufgesucht habe, mit 28 habe ich dann eine psychosomatische Reha gemacht und Medikamente bekommen.

Ich putze enorm viel, und muss viel ordnen. Ein Tag am Wochenende geht komplett fürs putzen drauf, da ich immer alles zusammen putzen muss und gleichzeitig die Wäsche machen muss, das Bett beziehen muss. Es muss immer zusammen passieren, aber ich schaff das langsam alles nicht mehr. Ich arbeite Vollzeit und ich kann nicht mehr. Ich möchte auch gerne mal das Bett alle 2 Wochen beziehen (was mittlerweile klappt) oder nicht 2-3 mal die Woche saugen (geht auch mittlerweile, auch wenn es schwer ist). Wir wohnen jetzt in einer großen Wohnung, vorher wohnte ich in einem Appartement. Ich kann diese Wohnung nicht mehr so mega sauber halten, wie mein Appartement. Aber ich mache es, und es kostet so viel Energie. Mein Freund ist oft genervt, da ich ihm ständig alles wegräume, obwohl er die Sachen noch braucht. Es fällt mir aber schwer wenn was rumliegt. Ich schaue oft nach jedem Fusel. Alles muss ständig sauber sein, ich werde nervös, wenn jemand in den Hausflur geht, obwohl ich ihn sauber gemacht habe. Ich muss mich immer an bestimmten Tagen rasieren, es muss immer alles perfekt sein, denn wenn es das nicht ist, verliere ich die Kontrolle und denke, mein Leben ist ein Chaos und nichts läuft bei mir!
Ich strebe nach dem Perfekten! Ich will das nicht mehr.
Auch die Fenster müssen tip top sein, was bei 12 Fenstern und Unwetter nicht gegeben sein kann und dann geht's mir schlecht. Dann stehe ich da wieder und putze die Fenster, gestern habe ich dann die geputzt die wirklich dreckig waren obwohl mir jeder sagt, dass es bei dem Wetter nicht lohnt, um unsere Wohnung ist noch Baustelle, da wir in einem Neubau wohnen ( war auch wichtig, da ich nicht in gebrauchten Wohnungen wohnen kann, wobei ich mich auch mit einem Zweitbezug zufrieden gegeben hätte).

Zu der Konfrontation:
Mittlerweile versuche ich die Wohnung und das Bad ( das Gäste Wc putze ich, wenn es benutzt wird) getrennt zu putzen, um das Wochenende mehr genießen zu können, ich habe es jetzt die erste Woche versucht, und es war ok. Bei mir kommen schnell Ekelgefühle, das geht aber gerade. Oder ich versuche die Dinge von meinem Freund liegen zu lassen, bzw bitte ihn, die spätestens dann und dann wegzuräumen. Das Bett beziehe ich nur noch alle 2 Wochen und ich versuche nur noch die Dinge zu putzen, die staubig sind, gelingt aber noch nicht.

Hatte auch überlegt in eine Klinik zu gehen, aber bin noch unschlüssig.

Liebe Grüße und einen guten Start in die Woche!

[July]

Nachtrag: Der Ofen muss immer sauber sein, der Herd, die Mülleimer, Fensterrahmen, die Innenschränke, das kommt noch dazu, dass ich immer prüfen muss, ob auch alles sauber ist.

[Chris_84]

Hi.
Danke für die ausführliche Antwort.

Welche Gedanken / Befürchtungen / Ängste gehen damit einher ?
Also was, wenn der Ofen z.B. nicht sauber ist. Und schmutzig bleiben würde ... Was dann ? Kannst du das genau benennen ?

[July]

...dann denke ich, dass ich mein Leben nicht im Griff habe und es ein Chaos ist.

Liebe Grüße

[Chris_84]

Hallo

Das denkst du dann, ok. Und emotional ? passiert da auch was ?

Wurdest du von deinen Eltern auch viel kritisiert ? Und hast du schon mal eine Traumatherapie gemacht ?

...sorry, viele Fragen. Ich versuche einfach besser zu verstehen.

Ich glaube, dieses Video hier https://www.youtube.com/watch?v=Dg8_aBtTmAc trifft dein Thema ganz gut.

Liebe Grüsse

[July]

Ja, ich bekomme richtig Panik, könnte nur weinen, und habe drückende Impulse in mir, dass nichts läuft. Auch schon allein, weil ich kein Haus gebaut habe, oder Eigentum habe und kein Kind bisher. Ich fühle mich einfach falsch.

Ja genau von meiner Mutter, das fing schon früh an, die andauernde Kritik. Ich habe mich aber mit ihr mittlerweile ausgesprochen, und gesagt, was das alles mit mir gemacht hat, ihr gehts deswegen auch schlecht, sie hat sich entschuldigt, war sogar beim Gespräch bei meiner Therapeutin, also die beiden alleine, da sie die Zwangsstörung nicht versteht und auch nicht glaubt, dass ich wirklich eine Störung habe.
Ich habe in den letzten Jahren sehr viel aufgearbeitet, ich weiß wirklich viel, trotzdem sind die Gefühle total kaputt.

Das Video schaue ich mir später mal an, vielen Dank.

[July]

P.s. eine Traumatherapie habe ich bisher nicht gemacht. Ich weiß gar nicht was man da macht. Meine damalige Therapeutin bot mir eine Hypnose an, das wollte ich aber nicht.

[Chris_84]

Hallo

Nein, deine Gefühle sind nicht kaputt ! Sie sind wie sie sind. Und sie sind aus gutem Grund so. Denn sie wollen dir etwas sagen. Du darfst dich also durchaus bei deinen Gefühlen dafür bedanken, dass sie da sind und dir helfen möchten.

Im ersten Beitrag hast du geschrieben:

ich leide seit Jahren an Zwängen u.a. Putzzwang, Kontrollzwang, Zwangsgedanken.. [...]

Hinzu kommt, dass ich mich mit allem wie ich bin und wie ich lebe falsch fühle.

Wirklich "hinzu" ? Im letzten Beitrag schreibst du, dass diese Gefühle direkt mit dem Zwang verknüpft sind. Läge es da nicht nahe, dass Zwang und diese Gefühle zusammen gehören - und eben gerade nicht voneinander getrennt sind ?
Ich meine, wenn du diese Gefühle (Gedanken) nicht mehr hättest, müsstest du ja eigentlich nicht mehr so zwanghaft putzen, oder ?

Zu wissen, wo die Ursachen liegen, löst leider noch nicht das Problem. Aber es ist ein notwendiger Schritt. Leider ist es so, dass Gesprächstherapie denkbar ungeeignet ist, um auf der Ebene der Gefühle zu arbeiten. Deshalb auch meine Frage nach der Traumatherapie.

Kennst du das Buch von Heinz-Peter Röhr "Vom klugen Umgang mit Gefühlen" ?
Und hast du schon einmal von einer Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (K-PTBS) gehört/gelesen (oder von Pete Walker) ?

Liebe Grüsse