Mein bester Freund, sein Zwang und ich

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Katharina74
Beiträge: 3
Registriert: Do 8. Feb 2024, 22:52

Mein bester Freund, sein Zwang und ich

Beitrag von Katharina74 »

Hallo zusammen, dies ist mein erster Beitrag und ich grüße euch alle herzlich!
Es geht um meinen besten Freund....wir kennen uns seit ca. 6 Jahren und stehen uns sehr nahe....er hat eine wirklich heftige Zwangserkrankung,die auch ziemlich kompliziert ist.
Er ist Muslim, und seine Zwänge sind hauptsächlich religiöser Natur, sie sind in jeder Minute präsent und lassen ihm kaum Luft zum Atmen. Er hat vor einigen Jahren ein Gerät zur tiefen Hirnstimulation implantiert bekommen,die Wirkung ist aber mittlerweile auch nicht mehr so gegeben....
Wir haben uns beim Musikmachen in einer Band kennengelernt,er ist ein wirklich begabter Pianist, und haben uns angefreundet...er hat alle erdenklichen therapien hinter sich,aber es geht nichts voran leider.
Wenn wir z.B. einen Auftritt haben, und er dort seine Gebete absolvieren muss,wird es schon problematisch. Sein Zwang sagt ihm dann z.B. " Du hast das nicht aus vollem Herzen gebetet. Mach nochmal". Ich habe ihn dann oft begleitet, damit er wenigstens keine Angst haben musste,entdeckt zu werden,von Fremden.
Mittlerweile ist er raus aus der Band und wir musizieren nur noch zu zweit....was aber immer weniger klappt,da seine Rituale immer mehr Zeit beanspruchen. Und ich sitze da und warte. Das geht einfach nicht mehr so. Außerdem habe ich Angst, durch meine Akzeptanz seines Handeln ihm eine Scheinsicherheit zu geben,die auf Dauer Kontraproduktiv ist. Was soll ich machen....der Zwang nimmt ihn mir Stück für Stück...ich will ihn nicht verlieren.
Seine Familie hat sich schon größtenteils von ihm abgewendet, ich will ihn nicht alleine lassen, würde das auch nie tun. Er weiß, dass ich hinter ihm stehe,Gott sei Dank .
Für einen Austausch mit euch wäre ich total dankbar!!!!!
Gruß, Katharina
Chris_84

Re: Mein bester Freund, sein Zwang und ich

Beitrag von Chris_84 »

Hallo !

Es wiederholt sich immer wieder... :) Was erhoffst du dir von diesem Beitrag ? Dem Austausch ? Ein Wundermittel, welches ihn heilt ? Etwas, das DU tun kannst damit es ihm besser geht ?

Ich mach es erst mal kurz:
ER ist der Einzige, der sich aus diesem Gefängnis befreien kann. Und er hat in dieser Hinsicht die Statistik nicht gerade auf seine Seite. Zwar wird überall behauptet, dass Zwänge gut zu therapieren seien - aber die Zahlen zeigen, dass dies schlicht eine Lüge ist. Und die meisten derer, die solche Behauptungen aufstellen wissen auch, dass sie lügen. Nicht gerade verbessert wird die Situation dadruch, dass auch viele vermeintliche und selbsterklärte Fachleute (und ich rede hier von solchen mit einem Abschluss in Psychologie) nicht wirklich wissen, was sie tun...

Die einzige Person, auf welche DU wirklich Einfluss hast, das bist du selbst. DU möchtest ihn nicht verlieren. Sagen wir mal besser, du möchtest, dass er so ist, wie du ihn kennen gelernt hast. Und nicht länger so, wie er jetzt ist (und du immer mehr da sitzt und nur noch wartest...)
Anderst formuliert: du möchtest IHN verändern, damit es DIR wieder besser geht. Damit DU nicht den Schmerz des Verlustes erleben musst....Das mag erst einmal nachvollziehbar sein. Der Wunsch ist jedoch selbstbezogen und resultiert aus deinen eigenen Bedürfnissen und Defiziten.

Daher meine Empfehlung: bevor du ihn "ganz" machen möchtest, fange bei dir an und mache dich "ganz/heil". Setze dich mit dir selbst auseinander und arbeite an dir selbst. Dass du erfolgreich warst, kannst du daran erkennen, dass dann dein Wunsch/Bedürfnis IHN zu verändern vergangen ist.

Und hier noch eine Video-Empfehlung: https://www.youtube.com/watch?v=KHc-OfrzWn8

Liebe Grüsse
Katharina74
Beiträge: 3
Registriert: Do 8. Feb 2024, 22:52

Re: Mein bester Freund, sein Zwang und ich

Beitrag von Katharina74 »

Hm,vielleicht hast du mich nicht verstanden....1. Kenne ich ihn nur krank, und 2.möchte ich nicht durch mein falsches Verhalten seinen zwängen die Türe nicht weiter öffnen,denn das passiert offensichtlich. Ich frage mich oft,WEN ich unterstütze....ihn,oder seinen speziellen Freund.
Leider hast du recht mit der Statistik....und das hinterlässt bei ihm den Eindruck,dass es alle schaffen außer ihm.
Ich will ihn nicht verändern,das geht überhaupt nicht,ich will dass er nicht noch tiefer abrutscht. Dass er nicht irgendwann verhungert, weil er nicht mehr essen und trinken kann wegen dem Zwang. Dass er nicht irgendwann einen schweren Unfall hat,weil er viel zu wenig schläft. Dass er sein riesen Talent nie mehr nutzen kann,weil er so von Gedanken bombardiert wird, dass Musik keinen Platz mehr findet.
Und ich finde es legitim, Austausch zu suchen,und es ist mir scheißegal ob das jemand egoistisch findet.
Ich will ihn nicht therapieren,aber auch nix galsch machen.
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michael_m
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Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Mein bester Freund, sein Zwang und ich

Beitrag von michael_m »

Hallo Katharina,

herzlich willkommen! :wave:

Ich bin selbst Betroffener, kann aber deine Gedanken glaub ich schon gut verstehen.
Und ja: Generell wird empfohlen, dass man sich als Außenstehender nicht in Zwänge einbinden lassen soll (-> Co-Abhängigkeit). Wie du schreibst, werden dadurch zwar meist die Zwänge kurzfristig besser - langfristig aber immer schlechter.

In der Praxis wird aber wohl eine Mischung gut sein: Wenn dein Freund zu sehr unter den Zwängen steht, können Hilfen von Außen schon auch entlastend sein. Aber ... da die richtige Dosis zu finden ist eine Herausforderung. Da bin ich mir als Betroffener selbst nicht sicher, wie viel Unterstützung ich von Außen bräuchte und wie viel "Motivation": Also eher das "Komm, du schaffst das auch ohne Zwang!" oder "Komm her, ich helf dir!"
Und ... vielleicht kann man bei Zwangs-Hilfen diese dann zumindest versuchen, schrittweise wieder abzubauen.

Was du als Angehörige tun kannst: Sei für deinen Freund da. Versuch ihn zu unterstützen - soweit es für dich auch möglich ist. Am besten wäre, denke ich, wenn du ihn mal direkt fragst, wie du ihm konkret helfen könntest.
Beispiel: Du schreibst er hat eine THS. Ich selbst bin aktuell stationär für die Ersteinstellung meiner THS. Bin da im Endspurt - mir wurde aber auch schon gesagt, dass ich hier dann ambulant wieder kommen kann (und soll) zur weiteren Optimierung der Einstellungen. Hat da dein Freund schon geguckt, ob sich da noch was anpassen lässt? Wenn nicht, vielleicht kannst du ihn da unterstützen bzgl. Terminvereinbarung, Hinfahren etc.

Ich wünsche dir - und deinem Freund - alles Gute!
Katharina74
Beiträge: 3
Registriert: Do 8. Feb 2024, 22:52

Re: Mein bester Freund, sein Zwang und ich

Beitrag von Katharina74 »

Lieber Michael,
Vielen Dank!
Ich versuche,nur im Notfall einzugreifen, aber langsam ist das ganze ein einziger Notfall. Er weiß,dass ich für ihn da bin,zum Glück
Wegen der ths...er hat am.dienstag einen Termin deswegen,ich gehe mit,weil er halt sprachlich manche Dinge nicht so gut transportieren und verstehen kann. Bei der letzten Kontrolle war eine Elektrode ausgestiegen. Hm, mal sehen.
Ich frage ihn oft, was ich tun kann. Er sagt,er muss selber was tun, das stimmt natürlich.
Eine Frage: er braucht z.B. für eine Gebet statt 10 Minuten manchmal über eine Stunde. Ich akzeptiere das. Ist das schon ein sich einbinden lassen? Oder müsste ich sagen, du hast 45 Minuten, länger warte ich nicht.? Oder er fragt mich über eine Lebensmittel, ob es halal ist,obwohl ich es schon gesagt hab...nur als Beispiel...
Ich will ja IHN ünterstützen..nicht den Zwang.
Ich mag ihn,wie er ist,aber er leidet momentan extrem
Chris_84

Re: Mein bester Freund, sein Zwang und ich

Beitrag von Chris_84 »

Nun, deine Sorge ist nachvollziehbar. Allerdings wäre es anmassend zu glauben, wir könnten immer wissen, was richtig und was falsch ist. Denn dafür haben wir zu wenige Informationen. Zu viel ist uns nicht bekannt.
Michael hat den Begiff der Co-Abhängigkeit angesprochen. Ein Begriff, der überwiegend im Zusammenhang mit Suchtkranken verwendet wird. Letztlich geht es darum, alles zu unerlassen, was dem Suchtkranken seine Sucht erleichtert. Das kann sein, seine Lügen nicht zu unterstützen, keinen z.B. Alkohol zu besorgen oder leere Flaschen heimlich zu entsorgen usw. Aber: viele Suchtkranke müssen erst „ganz unten“ ankommen, um genügend Motivation aufzubringen, sich aus der Sucht heraus zu arbeiten. Und wer verhindert, dass ein Suchtkranker „ganz unten“ ankommt, verlängerr damit die Sucht nur unnöttig. Freilich ist es aber auch so, dass viele Alkoholiker sich letztlich „zur Parkbank“ oder gar zu Tode saufen. Aber das liegt nicht in deiner Macht !
Vielleicht wäre es für ihn besser, er hätte mal einen Unfall oder er hungert sich massiv herunter. Das weiss am Ende niemand.
Allgemein kann man sagen dass du alles unterlassen solltest, was ihm das Ausleben siener Zwänge erleichtert. Gleichzeitig wird das dann aber zu einer unablässigen Quelle für Spannungen zwischen euch werden.
Wichtig ist auch, seine Grenzen zu respektieren. Und das bedeutet eben auch, ihn seinen Weg gehen zu lassen, auh wenn du diesen Weg nicht für richtig oder gut hälst. Und er dies vielleicht tatsächlih auch nicht ist. Aber wer weiss schon, für was das am Ende gut ist…
Ich komme aber auch noch einmal auf meinen ersten Beitrag zurück: die grösste/beste Hilfe wirst du ihm sein, wenn es dir selbst gut geht und du körperlich und psychisch ausgeglichen bist.
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michael_m
Beiträge: 613
Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Mein bester Freund, sein Zwang und ich

Beitrag von michael_m »

Ja, das meinte ich auch, dass es schwierig ist, mit der "Dosierung" bei den "Zwangshilfen". Denn wenn jemand nur noch im Notfallmodus ist, dann ists halt auch schwer...

Das finde ich aber sehr gut, dass du bei dem THS-Termin mitgehst. Denke, gerade solche Hilfen, wie bei sprachlichen Problemen etc. können auch eine große Unterstützung für ihn sein - ohne, dass du den Zwang weiter (ungewollt) unterstützt.

Naja, bzgl. der Frage zum Lebensmittel finde ich es leichter als bzgl. Gebet. Beim Lebensmittel würde ich nur einmal die Antwort geben. Beim Warten bzgl. Gebet ... kommt es glaub ich auch darauf an, wie du sonst weitergehst. Denke, es ist kontraproduktiv, ihm da Regeln aufzuzwingen. Also, wenn du die 45 Minuten stoppst, nur um ihm ein Zeitlimit zu setzen. Wäre es aber so, dass du (oder ihr zusammen) in 45 Minuten zu einen Termin müsst - dann würde ich notfalls wohl ohne ihn weggehen. Aber ... das ist quasi die "reine Lehre". In der Praxis braucht man da wohl doch sehr viel Fingerspitzengefühl.

Wichtig ist denke ich, dass du dir im Klaren bist, dass Unterstützungen des Zwangs nur kurze Hilfen sind, die es eben eher schlimmer machen. Aber - das hast du ja schon auf dem Schirm. :)

Hast du ihn schon mal bzgl. Konfrontationen angesprochen? Also z. B. bzgl. Gebet, dass er es mal in nur 10 Minuten probieren soll? Und ob es ihm hilft, wenn du ihn dabei unterstützt - eben z. B. Zeit dann stoppen und ihn daran erinnern, dass schon 10 Minuten vergangen sind und er abbrechen soll.
Solche Konfrontationen müssen aber von ihm kommen. Wenn er die nicht machen will/kann - dann bringt das auch nicht so viel.

Noch ein letzter Tipp: Chris hat ja auch schon sehr deutlich geschrieben, dass du nur bedingt andere ändern kannst. Ab einem gewissen Level - und ich denke, dein Freund gehört da definitiv dazu (THS ist ja eine Behandlung, die man erst durchführt, wenn schon vieles nicht ausreichend geholfen hat) - hilft nur professionelle Hilfe. Hier könntest du versuchen deinen Freund zu unterstützen, dass er bzgl. Therapie/Spezialklinik-Aufenthalt etc. was findet.

Ansonsten kannst du (oder dein Freund) ja auch mal bei der DGZ anrufen. Vielleicht haben die noch Tipps: (040) 689 13 700 (Allgemeine Sprechzeit: Montag bis Freitag von 10:00 bis 12:00 Uhr.)
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