Akute Dauertrigger von Kontamination

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Hyperion
Beiträge: 3
Registriert: Do 1. Aug 2024, 19:08

Akute Dauertrigger von Kontamination

Beitrag von Hyperion »

Hallo zusammen,

Ich lese schon lange die Beiträge hier und habe auch schon vieles mitgenommen. Das Forum ist echt super, man fühlt sich verstanden und muss sich nicht verstecken.

Leider geht es mir gerade sehr schlecht und ich wollte Mal um euren Rat fragen.

Ich leide seit Jahren vor allem an Wasch- und Vermeidungszwängen. Meine Angst bezog sich immer auf Blut, Kot, Krankheiten usw. aber im Laufe der Zeit ist dadurch eher so etwas abstraktes wie "Schwarze Verschmutzungsmaterie" geworden, die sich überall festsetzt und vermieden werden muss. Oder es geht schlicht ums Prinzip. Einmal verseucht hilft kein Desinfizieren mehr, das Teil muss weg außer es ist unersetzbar wie Möbel, Laptop oder ich selbst natürlich. Da ich penibel aufpasse, kommt es selten zu Katastrophen und der Zwang schränkt mich kaum ein.

Schlimm wird es nur wenn gehäuft so "Katastrophen" auftreten oder wenn mir einfällt, dass ich doch irgendwann einen Fehler gemacht habe. Dann schlägt der Zwang mit voller Wucht zu.

Und genau das passiert mir aktuell andauernd: Anfang des Jahres (!) kam der Heizungsableser und ich habe vergessen, den Lichtschalter danach zu putzen. Die Folgen haben mich bis letzte Woche beschäftigt. Dann habe ich versehentlich ein verseuchtes Kabel benutzt. Erst war es mir egal, dann kam die Panik und ich habe das halbe Büro erneuern müssen. Dann meinte meine Mutter, wir haben Drogenabhängige im Viertel. (die kaufen bestimmt im gleichen Supermarkt wie wir, d.h. alles ist verseucht). Das ist besonders schlimm, weil eine Spritze auf der Straße damals der Auslöser für meinen Zwang war. Und dann kam vorgestern nochmal ein Handwerker und ich musste stundenlang wieder alles putzen in schwüler Sommerhitze bis mir schwindelig war.

Gestern Nachmittag ging dann plötzlich gar nichts mehr. Ich hatte mehrere schwere Panikattacken und konnte nichts mehr anfassen. Anstatt der Radtour hab ich mich einfach ins Bett gelegt und gezittert. Nun traue ich mich nicht kaum mehr vom Fleck...

Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht? Was kann ich akut tun, um wieder auf die Beine zu kommen? Mein Gejammer tut mir leid aber ich habe seit Jahren keine so schwere Panik gehabt und weiß gerade nicht weiter.

Liebe Grüße Hyperion
Jessi
Beiträge: 313
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Akute Dauertrigger von Kontamination

Beitrag von Jessi »

Hey!

Erstmal vorweg: Der Zustand wird nicht für immer anhalten, die Angst wird auch wieder nachlassen!
Ich muss auch gerade wieder mehr an meinen Zwängen arbeiten, aber ich weiß ich habe es schonmal geschafft, also schaffe ich es auch jedes weiter Mal!

Du schreibst, dass du seit Jahren die Zwänge hast. Demnach gehe ich davon aus, dass du auch schon einige Fortschritte machen konntest und dadurch ebenfalls Mut schöpfen kannst.
Bist du aktuell in Therapie?
Mich verwirrt etwas deine Formulierung "da ich penibel aufpasse.. schränkt mich der Zwang kaum ein."
Ich finde das widerspricht sich etwas, zumindest so wie ich es lese. Für mich liest es sich eher, als würdest du dem Zwang zu viel Raum geben.
Akut würde ich dir raten Dinge zu tun, die dir bereits in der Vergangenheit geholfen haben, dich an die Dinge erinnern, die dir bereits geholfen haben. Gehe trotz des blöden Gefühls auf Radtour oder Spazieren, versuche deinen Alltag möglichst beizubehalten und erinnere dich daran wie Zwänge funktionieren um wieder eine Distanz aufzubauen.

LG Jessi
Hyperion
Beiträge: 3
Registriert: Do 1. Aug 2024, 19:08

Re: Akute Dauertrigger von Kontamination

Beitrag von Hyperion »

Hallo Jessi,

vielen Dank für deine Antwort. Das hat mir Mut gemacht.

Ich war auch schon etwas aktiver und auch draußen. Leider hat mich dabei wieder was getriggert und ich hatte deswegen einen schlimmen Alptraum. Aber nur rum sitzen und grübeln bringt nichts und macht ja alles schlimmer.

Ich habe schon seit meiner Kindheit Zwangsgedanken und musste im Laufe der Jahre immer wieder neu lernen, damit klarzukommen. Einige Zwänge wie Magisches Denken oder Kontrollzwang konnte ich auch ganz besiegen und weiß eigentlich, was mir hilft und wo die Grenze ist.

Normalerweise lasse ich bei schweren Attacken erst Mal alles wie es ist und sammele Kraft. Dann gehe ich alles in Ruhe an. Machst Du das auch so? Oder reagierst Du sofort und weist den Zwang in seine Schranken? Das geht bei mir immer schief.

Du hast Recht, das mit dem penibel aufpassen klingt echt komisch. Mein Leben mit dem Zwang ist ein Waffenstillstand bzw. Kompromiss. Wir mögen uns nicht und sehen zu, dass wir uns nicht in die Quere kommen. Nun fordert der Zwang aber gerade Raum ein, der ihm nicht zu steht.

In einer Therapie gegen Zwänge war ich noch nie, ich wurde nur hin und wieder kurz wegen Anpassungsstörung/Depression/Angst behandelt. Ich möchte langfristig selbst an mir arbeiten und nicht von anderen Menschen oder Medikamenten abhängig sein.

Da wir ja beide den Zwang schon mal besiegt haben, werden wir es auch dieses Mal schaffen. Wir dürfen einfach nie aufgeben.

Liebe Grüße Hyperion
Jessi
Beiträge: 313
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Akute Dauertrigger von Kontamination

Beitrag von Jessi »

Der Zwang sucht sich immer das Thema, was einen am meisten belastet und wo der Zwang richtig ins Schwarze treffen kann.
Demnach wundert es mich nicht, dass du einige Zwänge bereits besiegen konntest. Der Zwang sucht sich leider immer wieder etwas Neues. Da wir ja aber wissen wie man mit ihm umgehen muss, muss er uns nicht belasten.

Ich versuche in den Momenten auch Kraft zu sammeln und verkrieche mich ein wenig. Das lasse ich allerdings nur bis zu einem gewissen Grad zu, sodass ich mich versuche im Alltag nicht einschränken zu lassen.

Ich kann dir nur raten eine Therapie mal auszuprobieren. Es hilft mir wirklich sehr einen Ansprechpartner zu haben, der Verknüpfungen erkennt, die mir durch die antrainierten Verhaltensmuster nicht auffallen, aber anschließend auch für mich unübersehbar sind.
Du brauchst auch keine Angst vor Medikamenten o.Ä. haben. Ich überlege beispielsweise des Öfteren Medikamente als Unterstützung zu nehmen, doch ich bin bisher auch ohne ausgekommen.
Außerdem entscheidest du was du machst und welches Tempo das richtige für dich ist.

Am wichtigsten ist aber natürlich die Arbeit an sich selbst und die findet so oder so außerhalb der Sitzungen weiterhin statt.

LG Jessi
El_Loco
Beiträge: 42
Registriert: Di 23. Jul 2024, 18:06

Re: Akute Dauertrigger von Kontamination

Beitrag von El_Loco »

Hi Hyperion!

Erstmal Danke für deine Offenheit.

Da scheint sich bei dir über Jahre ein ganzer Berg aufgebaut zu haben. Was denkst du, wieso wird es aktuell schlimmer bei dir?
Was hast du denn konkret bisher alles ausprobiert? Welche Ansätze helfen / könnten dir helfen?

Ich erlebe es hier generell, dass vielmehr über das Problem als über die Lösung gesprochen wird.
Wie würde ein Strategieplan in deiner Situation aussehen?

Auf deine Rückmeldung bin ich gespannt, so kannst du aktiv an deinem Problem arbeiten.
Hyperion
Beiträge: 3
Registriert: Do 1. Aug 2024, 19:08

Re: Akute Dauertrigger von Kontamination

Beitrag von Hyperion »

Hallo Jessi und El Loco,

vielen Dank für eure Antworten.

Also ich denke mein Zwang ist gerade so stark weil ich in allen Bereichen ziemlich unter Stress stehe und es gefühlt überall brennt. Gleichzeitig fehlen wir meine Rückzugsorte weil ich ständig von außen getriggert wurde. Und auch zuviel Kaffee und zu wenig Schlaf, das sind Idealbedingungen für den Zwang.

Um eine Therapie schleiche ich immer herum, konnte mich aber nie dazu durchringen. Wenn es akut ist, ist kein Platz frei, und wenn es dann doch so weit ist, gibt die Sau von Zwang plötzlich wieder Ruhe. ;) Ehrlich gesagt würde ich eine Therapie nur machen, wenn ich langfristig im roten Bereich bin und selber nicht mehr vorwärtskomme. Medikamente... ich hatte mal Escitalopram gegen Angst/Depri bekommen, das hat bei mir aber gar nicht gewirkt. Mich schrecken auch immer die Nebenwirkungen. Und man muß sie ja irgendwann wieder absetzen, dann kommen scheinbar die Zwänge meistens zurück...?

Meine Strategie ist also ähnlich wie die von Jessi. Erst mal zur Ruhe kommen und Kraft sammeln, Abstand gewinnen und dann alles abarbeiten bevor es sich immer mehr ausbreitet. Mit innerer Anspannung geht bei mir gar nichts, da drehe ich mich nur im Kreis und es macht einfach nicht klick im Kopf. Ich setze vor allem auf viel Ausdauersport (Laufen, Radfahren), das bringt den Puls runter und macht den Kopf von allem frei. Oder zumindest Spazierengehen, am besten in der Natur. Gleichzeitig nehme ich Baldrian und achte wieder mehr auf Schlaf. In der Arbeit will ich Aufgaben delegieren und so Stress abbauen. Außerdem habe ich habe meine alten Aufzeichnungen rausgesucht, da habe ich Übungen notiert die schon mal geholfen hatten.

Erste Erfolge gab es schon. Ich war gestern lange joggen, konnte mehrere Trigger ins Leere laufen lassen und habe den vom Heizungsfuzzi "super-verseuchten" Wasserhahn in 10 Minuten wieder flott bekommen. Ich muß irgendwie immer einen bestimmten Punkt erreichen, dann bin ich wieder über Wasser und dann funktionieren auch Argumente a la "das kann ich jetzt auch nicht ändern" oder "ach, das wird schon passen" wieder.

Wie Jessi schreibt, der Zwang schlägt immer zu wo und wann es am unangenehmsten ist. Gerade tobt er sich wie ein Gewitter aus und verzieht sich dann wohl hoffentlich wieder.

Viele Grüße
Hyperion
El_Loco
Beiträge: 42
Registriert: Di 23. Jul 2024, 18:06

Re: Akute Dauertrigger von Kontamination

Beitrag von El_Loco »

Hyperion hat geschrieben: So 4. Aug 2024, 22:49Meine Strategie ist also ähnlich wie die von Jessi. Erst mal zur Ruhe kommen und Kraft sammeln, Abstand gewinnen und dann alles abarbeiten bevor es sich immer mehr ausbreitet. Mit innerer Anspannung geht bei mir gar nichts, da drehe ich mich nur im Kreis und es macht einfach nicht klick im Kopf. Ich setze vor allem auf viel Ausdauersport (Laufen, Radfahren), das bringt den Puls runter und macht den Kopf von allem frei. Oder zumindest Spazierengehen, am besten in der Natur. Gleichzeitig nehme ich Baldrian und achte wieder mehr auf Schlaf. In der Arbeit will ich Aufgaben delegieren und so Stress abbauen. Außerdem habe ich habe meine alten Aufzeichnungen rausgesucht, da habe ich Übungen notiert die schon mal geholfen hatten.

Erste Erfolge gab es schon. Ich war gestern lange joggen, konnte mehrere Trigger ins Leere laufen lassen und habe den vom Heizungsfuzzi "super-verseuchten" Wasserhahn in 10 Minuten wieder flott bekommen. Ich muß irgendwie immer einen bestimmten Punkt erreichen, dann bin ich wieder über Wasser und dann funktionieren auch Argumente a la "das kann ich jetzt auch nicht ändern" oder "ach, das wird schon passen" wieder.
Super! Das freut mich zu lesen! Immer weiter so und halte uns hier auf dem Laufenden.
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