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Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: Sa 24. Aug 2024, 09:11
von El_Loco
Hi,

Manchmal bin ich an einem Punkt, wo ich über die Frage nachdenke "Den Zwang bekämpfen oder einfach akzeptieren?"

Wenn wir ehrlich sind, einige werden schon das selbe gedacht haben, dass es irgendwie nicht ganz aus einem raus kommt. Der Zwang und der Rückfall an sich sind doch schon immer wieder gegeben.

Also bietet mir manchmal der Gedanke, es einfach zu akzeptieren und damit so gut es geht zu leben, viel mehr Erleichterung und Freiheit.

Wie seht ihr das so?

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: So 25. Aug 2024, 13:04
von Antonia
Hallo El_Loco,

ich stimme Dir zu!

Denn ich habe für mich festgestellt, je mehr ich meinem Zwang Aufmerksamkeit schenke, um so stärker beginnt er sich wieder einzuschleichen.
Ich habe fast 30 Jahre am zwanghaften Haare ziehen (Trichotillomanie) gelitten und auch nicht gewusst, dass es sich hier um eine Zwangshandlung handelt.
Mit 11 Jahren bin ich damit angefangen und habe erst mit 40 Jahren die Hilfe erfahren, um meinen Zwang in die Schranken zu weisen.
Ich habe 1997 an der ersten deutschen Studie zu Trichotillomanie am UKE in Hamburg teilgenommen. Ich habe erst zwei Jahre SSRIs genommen, die auch geholfen haben. Nach dem absetzen, kam das Verhalten zurück. Aus dem Grund habe ich dann am UKE eine ambulante Verhaltenstherapie begonnen.
Hier habe ich meine Auslöser und die aufrechterhaltenden Faktoren kennen gelernt.
Dies waren u.a. Stress, Langeweile, Angst vor Konflikten und vorm Versagen, geringes Selbstbewusstsein.
Neben Strategien gegen das Haare ziehen, habe ich mich auch mit meinen Auslösern beschäftigt, und wie ich gesund damit umgehen kann. Ein ganz wichtiger Bestandteil meiner Therapie war aber auch eine neue Tagesstruktur zu erarbeiten. Denn ich wurde zu Beginn der VT arbeitslos und später dann früh-berentet, auf Grund meiner angeborenen Körperbehinderung.
Meine Tagesablauf hab ich jeden morgen geplant und aufgeschrieben.
Z.B. Den Tag mit QI Gong beginnen, dann am Vormittag nur 2 Aufgaben erledigen, wie Mails beantworten, Telefonberatung für die DGZ machen, Wäsche waschen... Mittags: Expo machen, in meinem Fall sich für 5 Minuten still hinlegen, die Emotionen, Anspannungen, Grübeleinen wahr und annehmen, und nicht an den Haaren ziehen.
Nachmittags sich etwas Gutes tun, bzw. sich für sein üben zu belohnen, wie Musik hören, lesen, kochen, backen, Freunde treffen.
Am Abend habe ich mich auf einer Skala von 0-8 gefragt, wie zufrieden ich mit mir bin. Ich lag immer zwischen 5-8.
Diese Tagesstruktur habe ich auch noch 1 1/2 Jahre nach Beendigung meiner Therapie noch angewendet.
Und ich habe gelernt, mir zu verzeihen, wenn ich doch mal wieder an die Haare gegangen bin oder gehe.
Ich hab mich dann laut gefragt, was los ist und was ich brauche. In bin einen einen Dialog mit mir selbst getreten und konnte so meist den Grund dafür herausfinden und entsprechend handeln.
Und ich habe mir angewöhnt zu sagen, HEUTE brauche ich das Haare ziehen nicht. Was gestern war oder morgen kommen wird ist egal es geht um das HIER UND HEUTE.
Damit habe ich ganz viel Druck raus genommen, und halte so meinen Zwang nach über 23 Jahren, nach der Therapie, immer noch gut in Schach.
Die Tagesstruktur ist mir so in Fleisch und Blut über gegangen, dass ich heute immer noch danach lebe. Ich schreibe sie aber nicht mehr auf. Die Stille/Expo gönne ich mir jeden Mittag für mindestens eine Stunde. Danach ist Spaß und Freude angesagt. Wenn es doch mal zum Haare ziehen kommt, akzeptiere ich es, wüte nicht mit mir, sondern weiß, dass ich es morgen auch wieder lassen kann.
Ich weiß, dass mein Zwang immer zu mir gehören wird, aber ich messe ihm keine große Bedeutung mehr zu, sondern genieße mein Leben mit all dem was dazu gehört.

Sorry, es etwas länger geworden. Aber vielleicht hilft es Dir oder dem einem oder anderem, sich auch mal Gedanken dazu zu machen.
Liebe Grüße und genießt euer Leben, auch wenn die Zwängen immer mal wieder um die Ecke kommen,
Antonia.

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: So 25. Aug 2024, 16:09
von TeeCoffee
Da die DGZ wissenschaftlichen Anspruch hat, moechte ich einmal anmerken, dass Trichotillomanie selbst nicht direkt eine Zwangsstörung sondern eine Zwangsspektrumstörung ist:
- Unter ICD-10 fiel sie unter F63.3 also F63 Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle; Zwangsstörungen waren unter F42 eine eigene Kategorie.
- Unter ICD-11 wird sie unter "Zwangsstörung oder verwandte Störungen" fallen und Zwangsstörung ist 6B20 und GETRENNT von Trichotillomanie, die unter 6B25 Körperbezogene repetitive Verhaltensstörungen fällt.

Gruss

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: So 25. Aug 2024, 16:46
von GuiltyGerdie
Hallo ,

ich finde das natürlich gut, wenn man sich damit dahingehend arrangieren kann. Ich kann das leider nicht, da bei mir immer bereits etwas Schlimmes passiert ist , sprich ich mich schuldig gemacht habe. Manchmal verscuhte ich auch das zu akzeptieren, aber gut leben, nein das kann ich damit nicht, wenn es zerfrisst mich auch nach 23 Jahren noch. Zumal diese Gedankenihalte anfingen, nachdem mein Nachbar tot aufgefunden wurde, bis heute denke ich , was zwar nicht sofort anfing, dass ich das alles habe weil ich ihm was angetan haben könnte. Immer geht es darum Leute geschädigt haben zu können, bis zum Tod, immer das Schlimmste also. Ob Unabsichtlich oder Absichtlich , meistens letzteres, weil dass so besonders verwerflich ist. Natürlich habe ich nie eine Erinnerung, aber das Auftauchen von Bildern, vermeintlichen Erinnerungen, alles ist da und es ist grausam. Daher habe ich auch massive Probleme, dass so anzunehmen und mit der Unsicherheit zu leben, eass ich ein Mörder sein könnte, ist für mich etwas anderes als Unsicherheit zu haben einer werden zu können. Naja, soll ja alles die gleiche Suppe sein, aber ich hätte auch drauf verzichten können und ein Leben gehabt zumindest, wollte/will einfach nur zufrieden sein und niemandem etwas Böses. Aber ich fühle mich immer schuldig und abartig damit. Ich sag`s jetzt bewusst einfach so wie`s ist und meine auch nur mich selber damit, Bei allen anderen kann ich guten Gewissens sagen, dass es der Zwang ist und meine das absolut so. Jetzt bin ich schon über 50 Jahre alt und habe auch große Ängste, weil ich selber finde, dass mein Gedächtniss nachlässt, sprich ich denke nun noch mehr, dass ich Sachen gemacht haben könnte, und mich einfach nicht aufgrund Gedächtnissstörung nicht erinnern kann oder das sogar gemacht haben zu können. Bin von A-Z gerannt, jeder sagte das ist alles okay, Überlastung, aber kein Grund zur Sorge. Ich fühle mich da sehr alleine mit und traue mich kaum , bzw. gar nicht mehr auch dem Haus mittlerweile. habe sogar schon wie wild gefilmt meine Wege, nur um mir nicht wieder was sagen zu müssen später. Aber die Angst ist wirklich sehr sehr groß. Ich wünsche allen einen schönen Sonntag noch mit vielen Grüßen. Und ich freue mich für JEDEN, der da besser mit umgehen kann als ich!

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: Mo 26. Aug 2024, 09:27
von El_Loco
Guten Morgen und zunächst einmal eine schöne neue Woche allen! Am Sonntag ist ja auch schon September! Genießt die Zeit!

Ich freue mich, dass noch welche hier geantwortet haben, ich gehe nachher nochmal genauer darauf ein.
Wollte nur schon mal von meiner Seite aus berichten, dass mir das Gefühl der Akzeptanz viel Erleichterung gebracht hat in den letzten Tagen. Einfach ein ruhiges Leben für sich zu wählen, wo nicht so viel Stress vorkommt, ist schon grundlegend. Das heißt, sage ich oft, das passende Leben für sich zu finden. Den passenden Job, den passenden Partner, Freundeskreis, Hobbys, Sport etc. etc. Sich nicht zu falschen Aktivitäten zwingen, sondern ruhiger machen, wenn man es auch wirklich braucht. Und das wirkt sich dann insgesamt positiv aus.

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: Mo 26. Aug 2024, 10:14
von GuiltyGerdie
Auch einen Guten Morgen,

das freut mich dass Du das für Dich da rausgewinnen kannst. Würde mich freuen wenn Du Zeitund Lust hast da noch mehr drauf einzugehen, einen schönen Wochenstart und weiterhin gute Akzeptanz für alles Dir Wichtige. Mit vielen Grüßen aus dem Norden!

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: Mo 26. Aug 2024, 11:15
von Antonia
Hallo TeeCoffee,

ja Du hast Recht, Trichotillomanie gehört zu den zwangsnahen oder verwandten Störungen!
Aber diese körperbezogenen Zwänge sind für viele Betroffene und ihre Angehörigen genauso belastend, wie die klassischen Zwänge. Und es gibt durchaus einige Gemeinsamkeiten, wie Perfektionismus, Grübeln, starke emotionale Anspannungen, Unruhe, Angst, Depressionen.Einmal angefangen, können Betroffene nicht wieder aufhören die Handlung zu unterlassen.
Siehe auch https://www.zwaenge.de/spektrum/trichtillomanie/
Trichotillomanie, SkinPicking, Nägel beißen und weitere körperbezogene Zwänge, auch Body -focused repetetive behavior, genannt, sind den Zwängen näher als z.B. dem selbstverletzendes Verhalten.
Die Therapie der Wahl ist auch hier die kognitive Verhaltenstherapie und hier besonders das Habit Reversal Training.
Die DGZ bietet auch diesen Störungen ein "Zuhause" an und lässt Betroffene und Angehörige nicht alleine damit.
Wir bieten auch für die körperbezogenen Zwänge regelmäßige Onlineselbsthilfegruppen an und auch in Z-aktuell, unserer Vereinszeitschrift, berichten wir immer mal wieder zu diesen Zwängen.
Also auch diese körperbezogenen Zwänge gehören zu unserem Verein.
Liebe Grüße Antonia.

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: Mo 26. Aug 2024, 14:55
von El_Loco
@Antonia: Vielen Dank für deine Beiträge hier und deine positive Einstellung dazu.
GuiltyGerdie hat geschrieben: So 25. Aug 2024, 16:46 Hallo ,

ich finde das natürlich gut, wenn man sich damit dahingehend arrangieren kann. Ich kann das leider nicht, da bei mir immer bereits etwas Schlimmes passiert ist , sprich ich mich schuldig gemacht habe. Manchmal verscuhte ich auch das zu akzeptieren, aber gut leben, nein das kann ich damit nicht, wenn es zerfrisst mich auch nach 23 Jahren noch. Zumal diese Gedankenihalte anfingen, nachdem mein Nachbar tot aufgefunden wurde, bis heute denke ich , was zwar nicht sofort anfing, dass ich das alles habe weil ich ihm was angetan haben könnte. Immer geht es darum Leute geschädigt haben zu können, bis zum Tod, immer das Schlimmste also. Ob Unabsichtlich oder Absichtlich , meistens letzteres, weil dass so besonders verwerflich ist. Natürlich habe ich nie eine Erinnerung, aber das Auftauchen von Bildern, vermeintlichen Erinnerungen, alles ist da und es ist grausam. Daher habe ich auch massive Probleme, dass so anzunehmen und mit der Unsicherheit zu leben, eass ich ein Mörder sein könnte, ist für mich etwas anderes als Unsicherheit zu haben einer werden zu können. Naja, soll ja alles die gleiche Suppe sein, aber ich hätte auch drauf verzichten können und ein Leben gehabt zumindest, wollte/will einfach nur zufrieden sein und niemandem etwas Böses. Aber ich fühle mich immer schuldig und abartig damit. Ich sag`s jetzt bewusst einfach so wie`s ist und meine auch nur mich selber damit, Bei allen anderen kann ich guten Gewissens sagen, dass es der Zwang ist und meine das absolut so. Jetzt bin ich schon über 50 Jahre alt und habe auch große Ängste, weil ich selber finde, dass mein Gedächtniss nachlässt, sprich ich denke nun noch mehr, dass ich Sachen gemacht haben könnte, und mich einfach nicht aufgrund Gedächtnissstörung nicht erinnern kann oder das sogar gemacht haben zu können. Bin von A-Z gerannt, jeder sagte das ist alles okay, Überlastung, aber kein Grund zur Sorge. Ich fühle mich da sehr alleine mit und traue mich kaum , bzw. gar nicht mehr auch dem Haus mittlerweile. habe sogar schon wie wild gefilmt meine Wege, nur um mir nicht wieder was sagen zu müssen später. Aber die Angst ist wirklich sehr sehr groß. Ich wünsche allen einen schönen Sonntag noch mit vielen Grüßen. Und ich freue mich für JEDEN, der da besser mit umgehen kann als ich!
Mich würde mal interessieren: Gibt es auch gute Tage oder eigentlich nur schlechte? Gibt es Tage, wo es dir besser geht? Und wenn ja, ist die Frage vor allem: Warum? Welche Umstände in deinem Alltag helfen dir entspannter mit deinen Gedanken umzugehen?

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: Fr 30. Aug 2024, 19:06
von GuiltyGerdie
Ich schreibe dir heute später wegen des Updates hier, habe deine Frage gerade erst gelesen, sorry für späte Antwort, wir haben hier gerade Glasfaserumstellung und ich konnte nichts ins Netz die letzten Tage, bis später, lg
eben schnell für jetzt: ja auch gute Tage, waren sogar Jahre dazwischen wo`s besser bis gut lief

Re: Es bekämpfen oder einfach akzeptieren?

Verfasst: Do 5. Sep 2024, 10:49
von El_Loco
GuiltyGerdie hat geschrieben: Fr 30. Aug 2024, 19:06 Ich schreibe dir heute später wegen des Updates hier
"Heute später" :P

bin ehrlich gesagt immer noch gespannt auf deinen Beitrag.