Innovative und neurochirurgische Behandlungen

Heinz_Hilbig
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Re: Innovative und neurochirurgische Behandlungen

Beitrag von Heinz_Hilbig »

Lola76 hat geschrieben: Mi 2. Apr 2025, 22:13 Mich würde auch interessieren, welche innovativen Verfahren es gibt, wenn weder Therapien, noch Medikamente (hier sehe ich bisher auch kein Wundermittel) helfen.
Mir gefällt die Formulierung nicht so ganz. Therapie ist nicht wie eine Pille, die man ein wirft. Und ne Weile später ist die Wirkung da...
Therapie ist wie ein Gefäß. Es ist nur eine Hülle. Entscheidend ist, mit was dieses Gefäß gefüllt wird. Darauf haben auch betroffene Einfluss. Nicht nur Therapeuten.
Und dann müssen betroffene dieses Gefäß auch selbst in die Hand nehmen, davon kosten und den Inhalt verdauen / verarbeiten. Ein Therapeut kann das Gefäß nur reichen. Den Rest müssen Betroffene selbst erledigen.

Es gibt viele Gründe nicht vorwärts zu kommen. Das ist erst einmal aber nicht das Problem der Therapie als solcher.
Sicher, manche Therapieformen sind effektiver als andere (und Gesprächstherapie zählt im Falle von Zwängen nicht gerade dazu), aber entscheidend ist, wie zielgerichtet der Therapieprozess abläuft. Wenn man in der Praxis überhaupt davon sprechen kann. Mitunter ist es mehr ein Stochern im im Nebel... Im übrigen auch häufig bei Therapeuten, welche behaupten, sich mit Zwängen auszukennen. Sie mögen dies vielleicht auch glauben. Die Realität ist leider eine andere...
michael_m hat geschrieben: Do 3. Apr 2025, 10:19 Denke aber auch, egal welches Verfahren man nutzt oder künftig findet... So komplett aus der Welt schaffen lässt sich die Zwangsstörung wohl leider nicht. Auch muss ich bei mir oft an die Psychosomatische Klinik zurückdenken... Thema "Funktion des Zwangs". Nur wenn der Zwang weg ist, ist ja nicht gesagt, dass die Probleme auch weg sind.
Das ist jedenfalls, was ich an mir meine zu merken: Die Kontrollzwänge lassen sich mit der THS relativ gut dämmen. Die Gedankenzwänge und Depression sind dafür aber umso mehr - zumindest gefühlt, vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil die Kontrollzwänge bedeutend weniger sind.
Mit Technik oder Pillen wird man Zwänge nie ganz aus der Welt schaffen können, das denke ich auch. Der Zwang ist nur eine Möglichkeit mit "Problemen" auf der psychischen Ebene umzugehen. Und wird die Symptomatik unterdrückt, so kommt es nicht selten zu einer Verlagerung. ZB Depression oder Essstörung.. oder anderes.
michael_m hat geschrieben: Do 3. Apr 2025, 22:56 Mit der Funktion des Zwanges wollte ich andeuten, das der Zwang ja meistens auch irgendwo einen Zweck erfüllt. Kriegt man die Zwänge weg, heißt das somit nicht automatisch, dass die Probleme weg sind. Aber klar, ohne Zwang lässt sich vielleicht besser daran arbeiten... hoffe ich zumindest.
Meiner Meinung nach erfüllt der Zwang immer einen Zweck. Und solange Betroffene nicht eine gesündere Lösung für ihr problem erlernt haben (als den Zwang) wird man Zwänge auch nie ganz los werden. Das ist auch nicht nötig. Die Symptomatik muss nur so weit reduziert werden, dass betroffene ausreichend Zeit und Energie für die therapeutische Arbeit haben. Ist man hier thematisch und inhaltlich auf dem richtigen Weg, so wird sich die Symptomatik nach und nach weiter reduzieren. "Von alleine". Und im übrigen auch ohne Expositionen...
Lola76 hat geschrieben: Do 3. Apr 2025, 15:18 Ich behaupte die Funktion des Zwangs zu kennen, vielleicht doch nicht ausreichend, zumindest frage ich mich, wie man die Funktionen dann auflösen kann, wenn dies mit verschiedenen Therapien nicht erreicht wurde.
Nun, wenn du die Funktion wirklich kennst, dann ist die therapeutische Arbeit genau darauf auszurichten. Das schließt die Wahl der Therapieform mit ein. Und wenn du keinen Erfolg hast, bist du vermutlich doch noch nicht auf dem richtigen Weg.
Man darf hier auch eines nicht vergessen. Ein Zwang dient immer der Abwehr von Unangenehmen. Und dem muss man sich in der Therapie dann stellen. Was man ja durch den Zwang versucht zu vermeiden. Die Abwehrhaltung dagegen kann sehr stark sein. Und vor allem auf unbewusster Ebene ablaufen...
Lola76
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Re: Innovative und neurochirurgische Behandlungen

Beitrag von Lola76 »

Guten Abend Heinz und vielen Dank für deine ausführliche Antwort!
Angenommen, die Funktionalität des Zwangs ist, einen vor der Tatsache zu bewahren, dass das Leben endlich ist (man davor Angst hat = unangenehme Vorstellung) und man hat in der Therapie schon verschiedene Expositionen (Goldstandard bei Zwängen laut Leitlinie) wie Lesen von Büchern zu dem Thema, Dokumentationen, Gespräche darüber usw. alles mit Therapeuten gemacht, wie soll man sich denn dann noch die Angst davor nehmen, dass das Leben irgendwann endet?
Es ist ja nur allzu verständlich, dass man dann nach Alternativen, wie z.B. den genannten neueren medizinischen Behandlungsoptionen sucht.
Hast du denn eine Idee wie man diese Angst lösen soll, wenn dies nicht durch Expositionen möglich ist?
Heinz_Hilbig
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Re: Innovative und neurochirurgische Behandlungen

Beitrag von Heinz_Hilbig »

Hallo Lola

das ist eine interessante Antwort. Ich Frage mich gerade, wie die Expositionen hierzu wohl ausgesehen haben . Vielleicht magst du das mal erläutern ..
Ich glaube, du findest das in keinem Buch. Aber es ist etwas, das mir bei sehr vielen Zwänglern aufgefallen ist: sie hatten/haben kein auch nur halbwegs gesundes Verhältnis zum Thema Sterben. Das ging hin bis zur völligen Verleugnung.
Ist es aber nicht das Kernthema einer jeden Angst ?
Ich weiss nicht, was du alles gelesen hast und wie du dich mit diesem Thema beschäftigt hast. Spontan fällt mir dazu ein, das die buddhistische Psychologie hierzu Antworten parat hat. Und zwar völlig unabhängig vom Thema "Wiedergeburt ja oder nein ?".
Letztlich geht es um Akzeptanz. Darum, diese Tatsache zu akzeptieren. Ist es eine Angst vor dem Sterbeprozess selbst oder davor, nicht mehr zu existieren ?
Wäre es nicht tröstlich zu wissen, dass dann auch das Leiden zu Ende ist, wenn man nicht mehr existiert ? Und wie wäre es, wenn du dein Leben voll gelebt und ausgekostet hättest... Hättest du dann auch noch Angst ? Ich könnte mir vorstellen zumindest nicht so, wie du es derzeit noch erlebst.

Ich gehe nach meinem Verständnis von Zwängen allerdings davon aus, das dies nicht die eigentliche Funktion deines Zwanges ist. Dazu kann ich jedoch erst mehr sagen, wenn ich die genauen Inhalte deines Zwanges oder der Zwänge kenne. Und zwar nicht nur hinsichtlich der üblichen Unterscheidung von Wasch-, Zähl-, Ordnungszwängen usw.. sondern auch der genaue gedankliche Inhalt dazu. Dieser ist zB nicht bei allen Wäschezwänge gleich. Manche haben Angst sich selbst zu infizieren, andere Sorgen, es könnten andere Menschen zu schaden kommen...
Du darfst mir das gerne schildern. Gerne auch per PN.
Lola76
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Re: Innovative und neurochirurgische Behandlungen

Beitrag von Lola76 »

Hallo Heinz,

Ich bedanke mich ganz herzlich für deine Antwort!
Ja, ich denke auch, dass viele Zwängler kein normales Verhältnis zum Thema Tod haben und ich könnte mir gut vorstellen, dass das oft die Kernangst ist. Verleugnen desselben gehört auch dazu. Ich selbst habe keinerlei Ordnungs-, Wasch- sonstige sichtbare Zwänge, sondern "nur" mentale Gedankenzwänge. Die Zwangsgedanken kommen sehr oft als alle möglichen Krankheitswörter wie Krebs, Alzheimer, Parkinson etc. alles nur vorstellbare. Damit verbunden dann auch Gedanken um den Tod, das Sterben.
Ich selbst würde mich als jemande mit einem starken Sicherheitsbedürfnis bezeichnen.
Die Expositionen verschiedener Therapien sahen so aus: Buch über den Sterbeprozess lesen, Berichte von Sterbenden im Internet in Therapie lesen, oft auf Friedhöfe gehen, im Internet über das Sterben lesen, Beerdigung wahrnehmen. Das alles habe ich sehr aktiv gemacht, obwohl es nur sehr schwer aushaltbar war und es hat die Zwangsgedanken längerfristig nicht reduziert, ich behaupte sogar das Gegenteil. Da fragt man sich doch, was man noch machen soll?
Ich frage mich, ob die Angst dahinter stecken könnte das Leben nicht ganz intensiv gelebt zu haben, was einem durch die Zwangsgedanken wiederum auch nicht ganz leicht fällt.
Mir ist nicht ganz klar, wie man hier eine PN schreibt.
Heinz_Hilbig
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Re: Innovative und neurochirurgische Behandlungen

Beitrag von Heinz_Hilbig »

Hallo Lola,

für eine PN klickst du auf den Benutzernamen (zb Heinz_Hilbig) und auf der folgenden Seite links in der Mitte auf "Private Nachricht senden").

Nun, das Kernthema jeder Angst ist im Grund die Vernichtung. Sei es auf sozialer Ebene, dem Ansehen, dem Status, den wirtschaftlichen Verhältnissen oder auch körperlich.
Aber eine solche Angst entsteht für gewöhnlich nicht isoliert. Nicht um ihrer selbst Willen.
Wie ist es mit Wut ? Würdest du sagen, du kannst richtig wütend werden ? Die Wut richtig spüren ? Oder äußert sie sich nur in (aggressiven) Gedanken ? Oder bist du gar niemals wütend ?

Zwänge sind eine emotionale "Angelegenheit". Doch dazu konnte ich deiner Schilderung nichts entnehmen. Du sprichst nur von Gedanken. Nicht von Gefühlen. Vielleicht bewusst, weil dies ein öffentlicher Beitrag war.
Was genau läuft da bei dir ab? Sind da auch depressive Reaktionen und Gedanken mit verbunden, weil du nichts dagegen tun kannst ? Wie äußerte sich dieses "kaum aushaltbar" ? Emotional und auf der körperlichen Ebene ? Was genau war so schwierig daran ? Kannst du das präzise beschreiben ?

Zum Thema "SicherheitsBedürfnis". Das ist nachvollziehbar und damit bist du nicht alleine. Dies hat seinen Hintergrund für gewöhnlich in den Lebensumständen und -Erfahrungen, aus welchen heraus Zwänge "geboren" werden.

Deine Frage, was man noch tun kann, ist berechtigt. Und gut dass du sie weiterhin stellst. Ich würde sie nur etwas anders beantworten als du. Nämlich dass die therapeutischen Möglichkeiten bei dir lange nicht ausgeschöpft wurden. Und gleichzeitig bestätigst du damit auch das, was ich schon lange sage: Expositionen allein werden keinen Zwängler nachhaltig heilen. Sie sind nur EIN Mittel, ein Werkzeug unter vielen. Aber ganz gewiss nicht ausreichend.
Heinz_Hilbig
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Re: Innovative und neurochirurgische Behandlungen

Beitrag von Heinz_Hilbig »

Die Behandlung von Zwangsstörungen (OCD) mit fokussiertem Ultraschall, insbesondere MRgFUS (Magnetresonanztomografie-gestützter fokussierter Ultraschall), ist ein innovativer, aber noch experimenteller Ansatz. Hier sind die wichtigsten aktuellen Erkenntnisse:

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1. Was ist MRgFUS genau?

MRgFUS = MRI-guided Focused Ultrasound

Es handelt sich um ein nicht-invasives neurochirurgisches Verfahren.
Mithilfe von MRT wird hochpräzise Ultraschallenergie auf einen kleinen Punkt im Gehirn fokussiert.
Dadurch wird gezielt Hirngewebe in bestimmten Bereichen thermisch zerstört (z. B. im anterioren Gyrus cinguli oder der vorderen inneren Kapsel, beides Regionen, die mit OCD in Verbindung stehen).

2. Warum bei OCD?

Bei schwerer, therapieresistenter Zwangsstörung (d. h. keine Besserung durch Psychotherapie und Medikamente).
Die Idee: Durch die gezielte Veränderung von überaktiven Nervenbahnen kann die krankhafte Gedankenspirale unterbrochen werden.

3. Was zeigen Studien bisher?

Kleine Studien (z. B. Korea, USA) zeigen vielversprechende Ergebnisse:
Signifikante Reduktion der OCD-Symptome (gemessen mit dem Y-BOCS-Skalenwert).
Gute Verträglichkeit – keine Narkose nötig, keine Operation, minimale Nebenwirkungen.
Verbesserte Lebensqualität nach dem Eingriff.


Beispielstudie (2019, Korea):

10 Patienten mit schwerer, therapieresistenter OCD.
Reduktion der Symptome im Schnitt um ca. 35–50 % nach 6 Monaten.
Einige Patienten konnten Medikamente reduzieren oder absetzen.

4. Risiken und Grenzen

Es handelt sich um einen irreversiblen Eingriff: das behandelte Hirngewebe wird dauerhaft verändert.
Es gibt potenzielle Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen oder kognitive Veränderungen, obwohl diese selten und meist mild waren.

Noch keine Langzeitdaten über viele Jahre vorhanden.

Noch nicht flächendeckend verfügbar – nur in spezialisierten Forschungszentren.

5. Vergleich mit anderen neurochirurgischen Verfahren

MRgFUS ist nicht-invasiv, im Gegensatz zu:

Tiefen Hirnstimulation (DBS) – Implantation von Elektroden im Gehirn.
Kapsulotomie/Cingulotomie mit Gamma Knife oder Laser – ebenfalls neurochirurgisch, aber invasiver.
Die Behandlung von Zwangsstörungen (OCD) mit fokussiertem Ultraschall, insbesondere MRgFUS (Magnetresonanztomografie-gestützter fokussierter Ultraschall), ist ein innovativer, aber noch experimenteller Ansatz. Hier sind die wichtigsten aktuellen Erkenntnisse:

Daher ist MRgFUS eine vielversprechende Alternative, aber noch nicht Standard.


Fazit

MRgFUS zur Behandlung von OCD ist ein spannendes Forschungsfeld. Erste Ergebnisse zeigen, dass es eine wirksame und nebenwirkungsarme Methode für schwer erkrankte, austherapierte Patienten sein könnte. Es ist aber noch nicht breit etabliert, sondern nur in spezialisierten Studienzentren zugänglich.
Lola76
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Re: Innovative und neurochirurgische Behandlungen

Beitrag von Lola76 »

Danke für die umfassende Recherche Heinz!
In Freiburg wurde mitgeteilt, dass MrgFus möglichweise in der Zukunft bei der Behandlung von Zwangsstörungen angeboten wird.
Es gibt auch Patientenberichte dazu unter Fus Foundation.
In Kanada wurden bereits so ab 2014 glaube ich, spätestens 2017 oder so erste OCD Patienten damit behandelt.
Du kannst auch einmal nach LITT Laserablation bei OCD googeln, wenn du möchtest, ist zwar invasiv, aber minimal. Genau, diese Verfahren sind eine Alternative zur tiefen Hirnstimulation und erst im Kommen.
Interessant jedoch, dass nicht einmal auf der Seite der Deutschen Stiftung für Zwangsstörung dies erwähnt wird, warum sollte man dort Mitglied werden, wenn man hierzu keine Infos erhält?
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