Nicht hilfreiche Hilfsmittel

Benutzeravatar
Yorge
Beiträge: 333
Registriert: Fr 1. Jun 2018, 23:36

kontrollierte Gewohnheiten

Beitrag von Yorge »

Wenn ich ins Bett gehe, schaue ich meist von etwas Entfernung noch einmal auf die Eingangstür, ob beim Zusatzschloss der Riegel vor ist. Vielleicht würde ich auch öfter mal kontrollieren, ob der Schlüssel umgedreht ist, aber ich gehe ungern nur mit Socken an zur Stelle, wo sonst alle mit den Straßenschuhen hinsteigen. Meistens vorm Schlafen und eigentlich immer, wenn ich weg gehe schaue ich einmal, selten 2x (wenn unkonzentriert oder in Eile), ob der Herd abgedreht ist. Eine Runde, ob kein Wasser läuft, schaue ich mit je einem Blick nur wenn ich länger als einen Tag das Zuhause verlasse - sonst gar nicht - weil das meiner Ansicht nach keine lebensgefährlichen Konsequenzen hätte.

Ich würde sagen, das sind Gewohnheiten, die mich nicht stören - ohne es zu tun, hätte ich ein ungutes Gefühl, für mich macht das auch Sinn und eine gewisse Sorgfalt will ich pflegen. Wenn ich das mal vergessen habe, erschrecke ich auch nicht - außer, wenn ich d'raufkomme, dass ich tatsächlich mal den Herd angelassen habe (was dann schon immer beim Essen oder Geschirrspülen auffällt)- da denke ich mir schon, da soll ich schon (mehr) darauf achten.

Es macht auch Sinn Gewohnheiten und Rituale zu haben, wenn sie (auch langfristig) mit einer erfüllten Lebensgestaltung vereinbar sind. Auch das auf der Hut vor Zwängen sein und die Angst vor (zu vielen) Gewohnheiten, kann vielleicht auch schon zur Obsession werden. Ich mache die Erfahrung, dass das vehemente Ankämpfen gegen die Zwänge auch einen Teil zum Gesundwerden ausmacht, aber das ist nicht alles - einiges darf sich auch mal von alleine auflösen und wird durch “Gutes“ ersetzt.
Für mich störende Zwänge sind unsinnig, ergeben sich durch Gefühle, die mir auch unsinnig erscheinen.
Allerdings ist da schon was d'ran, dass dazu auch gehören kann, dass man durch Vermeidung von Vornherein, vor etwas vermeintlich Übermächtigen ausweicht - das würde ich mir dann genauer anschauen, ob ich da nicht was daran ändern will und warum ich mich das nicht traue.
Zuletzt geändert von Yorge am So 24. Feb 2019, 16:23, insgesamt 1-mal geändert.
Das gute Leben .. ist eine Richtung, kein Ziel. [Carl Rogers]
Benutzeravatar
michael_m
Beiträge: 613
Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Nicht hilfreiche Hilfsmittel

Beitrag von michael_m »

Hallo Ulrike,
Ulrike hat geschrieben: Fr 22. Feb 2019, 18:35
Versuche nicht die Angst wegzuschieben, indem du dich 100%ig versicherst, dass der Hahn zu ist. Versuche dir zu vertrauen, dass du es automatisch mitbekommen würdest, wenn er noch an wäre (durch z. B. einem vorbeischweifenden Blick oder durch die Geräusche). Und sollte er trotzdem an sein, wären auch dadurch die Konsequenzen tragbar.
Das habe ich mir letzte Nacht vorgenommen. Und ich bin tatsächlich das erste mal nach vielen Jahren einfach "nur" durch die Küche und das Bad gegangen, und habe kurz einen Blick auf die Wasserhähne geworfen, ohne Stehenbleiben und meine "Kriterien". Das ist für mich ein echter Fortschritt.
Und da hast du absolut Recht - das ist wirklich ein echter Fortschritt! Du kannst stolz auf dich sein. Vor allem, dass es schon beim ersten Versuch geklappt hat! Ich freu mich wirklich für dich! :)

Aber natürlich bedarf es trotzdem einiger Übung. Bei mir klappt es eben auch nicht in jeder Situation. Aber jedes Mal, wo es klappt ist es ein Sieg und ein Schritt in die richtige Richtung. Und selbst, wenn man den Zwang nur rausgezögert hat, ist es schon ein Teilerfolg.
Ulrike hat geschrieben: Fr 22. Feb 2019, 18:35 Klar, ich habe richtig viele Zwangsthemen (es ist wie ein Virus in meinem Kopf, der mal aktiver und mal ruhiger ist). Heute morgen war ich ganz mutlos deshalb und auch zornig, weil die Zwangserkrankung so viel von meinem Leben "geraubt" hat.
Die schlechten Tage gehören leider auch dazu. :( Wichtig ist aber, dass wir uns wieder aufrappeln und es erneut versuchen.
Ulrike hat geschrieben: Fr 22. Feb 2019, 18:35 Ich habe mir das metakognitive Training (Manual) von Moritz bestellt und möchte jetzt anfangen, damit zu arbeiten. Richtig Therapie habe ich im Moment leider nicht, "nur" die Intervallstunden zur Überbrückung der Therapiezwangspause von zwei Jahren. Aber, dass ich zumindest monatlich die Intervallstunden habe, darüber bin ich froh.

Vielleicht schreibe ich später mal in einem Thread etwas zu meinen Erfahrungen mit dem selbständigen Arbeiten mit dem Metagkognitiven Training.
Ja, schreib gerne mal über deine Erfahrungen. Würde mich interessieren. :)
Das mit den 2 Jahren Karenzzeit zwischen den Therapien ist übrigens relativ. An sich gibt es die nicht. Es ist nur so, dass eine Prüfung beim MDK da wohl in der Regal genauer durchgeführt wird. Bei entsprechender Begründung durch den Arzt/Therapeuten ist aber eine Genehmigung trotzdem möglich.

Liebe Grüße, Michael
Benutzeravatar
michael_m
Beiträge: 613
Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Nicht hilfreiche Hilfsmittel

Beitrag von michael_m »

Hallo Silvia,
Silvia hat geschrieben: Sa 23. Feb 2019, 08:57 ich beobachte mich selbst jetzt schon eine ganze Weile und stelle immer wieder fest, dass ich das Kontrollieren selbst, auch als Hilfsmittel benutze.

Auch wenn ich weiß es ist alles in Ordnung und ich müsste jetzt nichts tun, auch wenn sich der Zwang noch gar nicht bemerkbar gemacht hat, kontrolliere ich trotzdem.
Als reine Vorsichtsmaßnahme bevor sich der Zwang überhaupt erst meldet, um dieses Gefühl erst gar nicht aufflammen zu lassen, sondern gleich schon aus dem Weg zu gehen.

Kennt Ihr das auch?
Wie geht Ihr damit um?
Ja, ich kenne das gut. Wie ich oben schon geschrieben habe, kontrolliere ich oft schon vor der Angst.
Wenn ich dann das Emotion Surfing durchführe, dann kommt erst die Angst durch. Danach wird aber die Angst und auch die vorherige Unruhe meist wirklich schwächer.

Im Optimalfall lasse ich also die Kontrollen komplett aus und mache dann, z. B. kurz vorm Verlassen der Wohnung das Emotion Surfing.

Schön ist, dass bei mir schon erste Zwänge bzw. Zwangsrituale fast komplett weggefallen sind. Und es sind nicht mal unbedingt die, die ich besonders stark geübt/konfrontiert habe.
Silvia hat geschrieben: Sa 23. Feb 2019, 08:57 Ich frage mich, ob ich in diesen Situationen dann nicht einfach Willensstärker sein und mich gegen meine Gewohnheiten wehren müsste.
Vielleicht würde sich ja dann der Zwang auch nach und nach schwerer tun?!
Der erste Schritt dürfte der sein, dass es dir überhaupt auffällt. Und das scheint ja nun schon der Fall zu sein.

"Willensstärker" ... das ist ein gemeiner Begriff. Vor meiner Behandlung habe ich auch schon im Internet recherchiert und dort einige Tipps gelesen. Ich habe mir Tag für Tag vorgenommen, dass ich abends nicht kontrollieren werde. Und es hat eigentlich nie geklappt.
Was dafür größer wurde, war der Frust, weil ich doch scheinbar nicht genug Willensstärke habe.

Klar, ein gewisser Wille gehört dazu, aber wenn es nicht klappt, würde ich es nicht komplett auf die mangelnde Willensstärke schieben. Das ist einfach unfair gegenüber einen selbst. Es ist nicht umsonst eine Krankheit und mit Willen alleine lässt sich das in den meisten Fällen nicht beheben.

Vielleicht hilft es eher, wenn man auf die Motivationsschiene aufsetzt. Z. B., dass du dir etwas gönnen wirst, was dir gut tut, wenn es klappt. Oder du probierst es, dich schrittweise voranzutasten.

Liebe Grüße, Michael
Benutzeravatar
michael_m
Beiträge: 613
Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: kontrollierte Gewohnheiten

Beitrag von michael_m »

Hallo Yorge,
Yorge hat geschrieben: Sa 23. Feb 2019, 11:44 Ich würde sagen, das sind Gewohnheiten, die mich nicht stören - ohne es zu tun, hätte ich ein ungutes Gefühl, für mich macht das auch Sinn und eine gewisse Sorgfalt will ich pflegen. Wenn ich das mal vergessen habe, erschrecke ich auch nicht - außer, wenn ich d'raufkomme, dass ich tatsächlich mal den Herd angelassen habe (was dann schon immer beim Essen oder Geschirrspülen auffällt)- da denke ich mir schon, da soll ich schon (mehr) darauf achten.

Es macht auch Sinn Gewohnheiten und Rituale zu haben, wenn sie (auch langfristig) mit einer erfüllten Lebensgestaltung vereinbar sind. Auch das auf der Hut vor Zwängen sein und die Angst vor (zu vielen) Gewohnheiten, kann vielleicht auch schon zur Obsession werden. Ich mache die Erfahrung, dass das vehemente Ankämpfen gegen die Zwänge auch einen Teil zum Gesundwerden ausmacht, aber das ist nicht alles - einiges darf sich auch mal von alleine auflösen und wird durch “Gutes“ ersetzt.
Für mich störende Zwänge sind unsinnig, ergeben sich durch Gefühle, die mir auch unsinnig erscheinen.
Allerdings ist da schon was d'ran, dass dazu auch gehören kann, dass man durch Vermeidung von Vornherein, vor etwas vermeintlich Übermächtigen ausweicht - das würde ich mir dann genauer anschauen, ob ich da nicht was daran ändern will und warum ich mich das nicht traue.
Ja, da steckt viel Wahres in deinem Beitrag.

Zu einer Zwangsstörungsdiagnose gehört auch das Leiden dazugehört. Wenn einem die Gewohnheiten/Rituale nicht stören, dann ist das auch zwangsmäßig kein Problem.
Aber wichtig ist eben die ehrliche Unterscheidung, was man ändern will/muss und was eigentlich "bleiben darf" :).

Beim Herd hadere ich da z. B. noch mit mir. An sich finde ich einmal kontrollieren in Ordnung und auch an sich sinnvoll bzw. nicht krankhaft. Aber ich sehe für mich da die Gefahr, dass es ein "Türöffner" ist und den Zwang ggf. langfristig antreibt. Das sind aber Entscheidungen, die jeder für sich selber fällen muss, welchen Weg er da gehen will.

Liebe Grüße, Michael
Benutzeravatar
Yorge
Beiträge: 333
Registriert: Fr 1. Jun 2018, 23:36

Re: Nicht hilfreiche Hilfsmittel

Beitrag von Yorge »

Ja, zur Diagnose einer Zwangsstörung gehört Leiden - und nämlich das Leiden des Betroffenen und nicht seines Umfelds. Somit kann man eigentlich die Diagnose nur (immer wieder) selbst stellen. Wobei es mir schon auch ein (wsl. manchmal zu) großes Bedürfnis ist, für die Menschen um mich, gut erträglich zu sein.

Wg. dem Herd würde ich sagen immer genau einmal kontrollieren kommt mir ziemlich zwanghaft vor. Meist 1x, manchmal 2x oder vielleicht auch 3x und dann mal wieder gar nicht, weil man eh heute nicht gekocht hat, ist das sinnvollere. Gar nicht zu kochen oder nicht hinaus zu gehen, das wäre eine Vermeidung, um erst gar nicht in die Nähe der zweifelhaften Situation zu kommen - und das würde ich nicht empfehlen. Aber nicht weil ich mich unbedingt dem Zwang aussetzten muss, nein - sondern weil ich mir gern was Gutes koche und sehr ungern immer drinnen bin.

Guten Appetit und genießt die Freiheit!
Das gute Leben .. ist eine Richtung, kein Ziel. [Carl Rogers]
Antworten