Partner mit Zwangserkrankung

Kathl36
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Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von Kathl36 »

Hallo,

ich bin Kathrin 36 Jahre, seit 8 Jahren mit meinem Partner zusammen und seit 3 Jahren begleitet uns auch seine Zwangserkrankung.
Ich habe es am Anfang schon bemerkt, dass er etwas komisch wird. Er musste auf einmal den Weg wieder zurücklegen, weil er "etwas verloren" hat usw. Geöffnet hat er sich erst vor knapp zwei Jahren mir ggü, aus Scham. Er hat mir erzählt das Zwangshandlungen auch schon vorher mal sein Leben bestimmt hatten, aber nie in dem Gewicht sein Leben bestimmen wie es aktuell ist. Er hatte einmal eine Zeit in dem er eben einen leichten Waschzwang nachgehen musste, aber das verging dann wieder. Die meiste Zeit seines Lebens ( 44 Jahre alt) konnte er ohne Zwang leben. Aktuell ist aber der Einfluss des Zwangs auf sein Leben so stark und lang wie noch nie. Zum Zwang selbst.. er hat den Zwang immer die gleichen Wege zu gehen, also der Tag hat immer den gleichen Ablauf. Den Weg den er gegangen ist, muss er auch zurückgehen. Bsp. Er geht täglich zur Arbeit und fährt mit der Tram 17, wenn die Tram 17 aber nicht fährt, kann er keine andere Tram oder kein anderes Verkehrsmittel nehmen, sondern muss wenn dann den Weg der Tram zu Fuss zurücklegen.
Weiteres Beispiel was wir vor 2 Wochen hatten. Wir kamen aus dem Urlaub zurück und wollten mit der S-Bahn Flughafen nach Hause, er muss die S Bahn nehmen mit der wir 2 Wochen davor auch zum Flughafen gefahren sind. Da diese 40 Min. Wartezeit hatte, und ich das nicht mitmachen wollte, nahm ich eine andere S-Bahn die gerade kam. 20 Min. später ruft er mich genervt ( er wird sehr impulsiv und wütend wenn etwas seine Routine kreuzt) weil die S-Bahn nicht so fuhr wie normal, Schienenersatzverkehr usw. er konnte ja keinen anderen Weg zurücklegen, keinen Ersatzbus nehmen, ansonsten hätte er ja die Strecke nochmal fahren müssen um den Ablauf einzuhalten. Er war also wirklich gezwungen wieder zurück zum Flughafen und eine Nacht dort im Hotel zu verbringen um am nächsten Tag wie gewohnt mit der S-Bahn wieder heim zu fahren.
Meine Erholung vom Urlaub war natürlich auch erstmal dahin....
Da natürlich jeder Weg zeitaufwendig ist und anstrengend für ihn, sind unsere gemeinsamen Aktivitäten sehr eingeschränkt. Ich weiß nicht wann wir das letzte mal zb im Kino waren. Im Urlaub bzw in einer neuen Umgebung sind die Zwänge zwar vorhanden aber sehr abgeschwächt. Da ich ein sehr aktiver, sozialer Mensch bin, ist es für mich teilweise sehr anstrengend und ermüdend alles alleine zu machen bzw eben nicht mit dem Partner zu unternehmen. Ich unternehme viel für mich um eben nicht mit in das Loch zu fallen, da auch alle Erledigungen usw. auf mich fallen, da auch einkaufen für ihn Anstrengung pur ist und er danach nur genervt und wütend auf alles heimkommen würde, übernehme ich das ganze. Er hat vor 1 Jahr eine Verhaltenstherapie begonnen, die nur mäßig bis gar nicht geholfen hat. Diese hat er dann abgebrochen, da er mit der Psychologin nicht mehr klar kam. Am 18.3. hat er jetzt einen Termin bei einem Psychologen der auch Hypnose anbietet. Ich bin gespannt, und hoffe natürlich wieder auf Erfolge. Medikamente lehnt er grundsätzlich ab. Die Zwangsstörungen resultieren aus einer Kindheitserfahrung heraus. Seine Mutter meinte das er auch als Kind schon immer etwas "anders" war.
Manchmal weiß ich einfach nicht ob ich es selbst noch so schaffe... Ich weiß, in unbeschwerten Momenten das wir so eine schöne Zeit haben, sie nur sehr selten sind und so belastet weil uns die Erkrankung immer im Wege steht. Unsere ganze Beziehung besteht fast innerhalb unserer 4 Wände, was für mich sehr einengend ist. Manchmal wünscht man sich einfach auch einen Partner, der einen selbst einmal halten kann, Sachen abnimmt, stark für einen ist. Ich glaube das Wort wonach ich mich sehen ist Unbeschwertheit... :-(
Bislang konnte ich auch noch keine Zwangserkrankung in Foren lesen, die wie bei meinem Freund in dieser Art ähnlich ist. Wege zurücklegen, immer die gleichen Wege gehen usw.
Woraus schöpft ihr eure Kraft in solchen "schwachen" Momenten?
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Yorge
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Registriert: Fr 1. Jun 2018, 23:36

Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von Yorge »

Danke für deine beeindruckende Darstellung deiner Sichtweise. Vielleicht hilft es dir, wenn ich dich in dem Bewusstsein bestärke, dass du deinem Partner tatsächlich langfristig nichts Gutes tust, wenn du ihn beim Zwängeln unterstützt. Du scheinst da eh bereits ganz gut auf dich/euch zu achten. Das finde ich wichtig und auch ich ermutige meine Angehörigen darin, mich gegen den Zwang zu unterstützen und nicht für ihn zu arbeiten (auch, wenn der Zwang in mir versucht sich dagegen zu sträuben).
Und, weil du von dem Sehnen nach Unbeschwertheit in schwachen Momenten schreibst - da sprichst du in mir auch was ganz Wesenstliches an. Ich versuche in letzter Zeit mich mehr zu trauen “schwach“ zu sein, einfach mal traurig zu sein und darauf zu vertrauen, dass auch so Heilung passiert. Ein Satz aus meiner Meditation fällt mir dazu ein: Dein Geist ist voller Energie indem er ganz still ist.
Wünsche dir Kraft und Liebe! Und auch das Vertrauen in Gelassenheit!
Das gute Leben .. ist eine Richtung, kein Ziel. [Carl Rogers]
Kathl36
Beiträge: 9
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Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von Kathl36 »

Danke für deine Worte!
Ich hab gestern hier auch eine Angehörige gelesen, die meinte manchmal ist es eben einfacher den Zwang mitzumachen und das kann ich gut nachvollziehen.
Manchmal hat man als Angehöriger keine Kraft NEIN zu sagen, weil man weiß was das in dem Menschen den man liebt auslöst, er kommt in eine Stresssituation, mein Partner wird dann eben sehr impulsiv und man benötigt dann erst wieder eine Zeit bis sich die Situation normalisiert. Das zerrt an den Kräften.
Man hat ja auch diesen automatischen Hilfereflex in sich, also ich zumindest.
Ich weiß ja genauso das es für euch Betroffene noch schwerer ist, ich weiß das mein Partner sich auch nach Unbeschwertheit, Gelassenheit und Freiheit sehnt und es zerreisst mir das Herz wenn ich sehe das er sich durch jeden Tag kämpft.
Schwer ist es für die Angehörigen natürlich auch das anderen Familienmitgliedern, Freunden zu erklären. Mein Partner hat meine Eltern schon lange nicht mehr gesehen, weil ihn einfach der Weg mit Zug und Auto zu meinen Eltern zu sehr stresst und das wäre dann auch kein angenehmer Besuch für mich. Aber klar, ich weiß das dies alles nebensächlich ist, nur in manchen Momenten kommt alles zusammen und man fragt sich wo man die Kraft herholen soll.
Ich war bereits in einer Selbsthilfegruppe für Angehörigen, obwohl ich das Wort Hilfe hier nicht gefunden habe, da alle meinten ich wäre noch jung und sollte die Flucht ergreifen so lange es geht. Sie sind alle altersbedingt mit ihren Partner noch zusammen, wegen Rente und weil es sich nicht mehr lohnt.
Silvia
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Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von Silvia »

Hallo Kathl36,

Dein Beitrag hat mich sehr ergriffen, vorallem die Stelle mit der Selbsthilfegruppe für Angehörige.

Ich kann mir gut vorstellen, wie schwierig es manchmal sein kann, den Partner nicht zu stressen, aber ich muss Yorge schon recht geben, auf Dauer, sollte man den Zwang nicht unterstützen.

Ich als Betroffene, habe schon oft darüber nachgedacht, ob es nicht vielleicht besser wäre, meine Familie, meine Kinder zu verlassen, um es für Alle leichter und erträglicher zu gestalten.
Mittlerweile bin ich aber auch der Meinung, dass gerade die nahestehenden Personen ein ganz großer Baustein in der Therapie sein können und einem extrem viel Kraft und Halt geben können.
Außerdem kann ich, aus eigener Erfahrung nur sagen, dass es vermutlich ohne meine Liebsten, mit den Zwängen noch viel schlimmer wäre.

Dennoch sollte natürlich Jeder für sich selbst entscheiden, was für einen gut und richtig ist im Leben und bis zu welcher Grenze, er den Zwang „mitmachen“ kann.

Ich wünsche Dir auf jeden Fall Durchhaltevermögen und ganz viel Kraft.

Alles Gute, Silvia
Nichts kann existieren ohne Ordnung,
nichts entstehen ohne Chaos.
Kathl36
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Registriert: Fr 8. Mär 2019, 20:22

Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von Kathl36 »

Hallo Silvia,

danke für deine Worte!! Ich glaube dir, dass man als Betroffener sich genauso viele Gedanken macht. Ich glaube auch das es meinem Partner auch oft unangenehm ist, weil er mir nicht die Unterstützung geben kann die er mir gerne geben möchte. Ich bewundere ihn manchmal, das er noch Spässe machen kann, obwohl ihm soviel auf den Schultern liegt und er nicht das Leben führen kann, wie es eigentlich wäre.
Ich glaube eben auch, dass ich sein Halt bin und er dadurch auch Hoffnung schöpft.
Es ist einfach manchmal nur schwer, ich weiß auch nicht ob ich alleine glücklicher wäre. Es wäre ja auch mit einem "gesunden" Partner nicht alles anders. Ich möchte ja auch wenn ich erkranke, dass ich einen Partner hätte der mir zur Seite steht. Zudem kenne ich ihn ja auch in anderen Zeiten, wie es ist und sein kann.
Ich schreibe auch gerade in einer Situation die eben für mich aktuell sehr belastend ist und da kommen diese Gedanken immer verstärkt.

Silvia, darf ich hier auch fragen an welcher Zwangserkrankung dich begleitet?

Danke, für die tollen Worte! Mir hilft es hier schon alles niederzuschreiben und auch Meinungen von Betroffenen zu hören.
Daher Danke dafür
Liebe Grüße
Kathrin
Silvia
Beiträge: 205
Registriert: Mo 13. Aug 2018, 17:12

Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von Silvia »

Hallo Kathrin,

ich leide an Ordnungs- und Kontrollzwängen.
Meine Familie ist in ihrem Tun zu Hause sehr eingeschränkt, es wurde aber dank der Therapie schon bedeutend besser.

Nicht vor die Tür gehen wollen/ können, kenne ich auch.
Manchmal fehlt einfach die nötige Kraft, für die alltäglichsten Dinge.

Liebe Grüße, Silvia
Nichts kann existieren ohne Ordnung,
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michael_m
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Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von michael_m »

Hallo Kathrin,
Kathl36 hat geschrieben: Fr 8. Mär 2019, 20:48 Bislang konnte ich auch noch keine Zwangserkrankung in Foren lesen, die wie bei meinem Freund in dieser Art ähnlich ist. Wege zurücklegen, immer die gleichen Wege gehen usw.
Also dieses Zwangsmuster an sich, habe ich bisher auch noch von keinem anderen gehört. Aber Zwänge können sehr individuell sein.
In meinen Augen gehen die Zwänge deines Freundes in Richtung des sogenannten "Magischen Denkens". "Klassiker" in dem Bereich ist z. B. das Meiden von Fugen/Ritzen. Betroffene achten hier darauf, dass sie beim Gehen immer auf die Pflastersteine/Fliesen treten und nicht die Fugen berühren. Würde das passieren, könnten laut Zwangsdenken schlimme Folgen eintreten, z. B. könnte einem nahen Angehörigen etwas passieren.

In der SHG (ich bin selbst Betroffener, allerdings ohne magischen Denken, sondern habe vor allem Kontrollzwänge) hatten wir mal jemanden, der Straßen bei gewissen Autokennzeichen nicht überqueren konnte. Er hatte da "schlechte" Zahlen, die ihm Probleme bereiteten, wenn sie eben z. B. auf einem Kennzeichen standen.

Die Ironie des Ganzen bei den Zwängen ist allerdings, dass die Betroffenen meist selber wissen, wie unlogisch diese Gedankengänge sind ...

Für Angehörige mag es oft nicht leicht sein. Letztendlich ist aber die Frage, wie bei anderen einschneidenden Krankheiten, inwieweit sich ein Partner darauf einlassen will und kann. Komplett auf die eigenen Bedürfnisse verzichten bzw. seine eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, ist wohl für keinen hilfreich. Letztendlich ist es wohl eine "Kosten/Nutzen-Abwägung", wie man sich entscheidet. Bzw. das ehrliche Gespräch mit dem Partner, bei dem man auch ggf. Alltagskompromisse finden kann.
Als Außenstehender redet man sich aber leicht - noch dazu, wenn man Alleinstehend ist.

Viele Grüße, Michael
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OCD-Marie
Beiträge: 262
Registriert: Di 17. Apr 2018, 19:44

Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Kathrin,
auch von mir noch ein "Willkommen im Forum" !

Deine Beiträge zu lesen tat mir richtig weh. Dein Leiden ist unmittelbar zu spüren.
Dass zu Zweifel hast, die Situation durchzustehen ist völlig in Ordnung. Das musst du auch nicht. Wenn du es nicht schaffst, ist das kein Versagen. Du würdest ihn deshalb auch nicht im Stich lassen. Denn zum einen bist du ja auch noch da - und hast Bedürfnisse. Zum anderen kann man sich ja auch als "Freunde" (ohne Beziehung) unterstützen.
Dein Freund verlangt dir schon verdammt viel ab !
Vielleicht magst du ja weiter berichten, wie es dir/euch so ergeht ?

Liebe Grüsse
Marie
Zuletzt geändert von OCD-Marie am Fr 15. Mär 2019, 19:35, insgesamt 1-mal geändert.
Kathl36
Beiträge: 9
Registriert: Fr 8. Mär 2019, 20:22

Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von Kathl36 »

Hallo Marie,

danke für deine Worte!
Ich möchte mich jetzt nicht entschuldigen oder meinen Freund rechtfertigen, aber ich hab in einen schweren Moment geschrieben, weil ich einfach mir es von der Seele schreiben musste in einem Umfeld, in dem es evtl vielen ähnlich geht bzw sich manche wieder erkennen.
Es gibt ja nicht nur die Beziehung mit Zwangsstörung, es gibt auch eine Beziehung in der man sich versteht, zusammen lacht, auch Nähe teilt!

Ich weiß und mir ist bewusst das ich ihn nicht im Stich lasse wenn ich gehe. Es ist ein Thema bei dem er sich selbst helfen muss.

Ich denke jede Person mit dieser Erkrankung und jeder Partner der diese Erkrankung miterlebt, hat Momente in dem man sich die Frage stellt " Wie wäre es ohne die Erkrankung?"" Wäre ich alleine glücklicher ?"
Ich denke auch jeder hat andere Gründe warum er bleibt.

Das die Situation oder eine Beziehung nicht immer einfach ist, auch unter "normalen" ( was ist normal) Umständen schon nicht, ist denk ich nachvollziehbar oder?

Gruß
Kathrin
Kathl36
Beiträge: 9
Registriert: Fr 8. Mär 2019, 20:22

Re: Partner mit Zwangserkrankung

Beitrag von Kathl36 »

Hallo Michael

In der SHG (ich bin selbst Betroffener, allerdings ohne magischen Denken, sondern habe vor allem Kontrollzwänge) hatten wir mal jemanden, der Straßen bei gewissen Autokennzeichen nicht überqueren konnte. Er hatte da "schlechte" Zahlen, die ihm Probleme bereiteten, wenn sie eben z. B. auf einem Kennzeichen standen.

Die Ironie des Ganzen bei den Zwängen ist allerdings, dass die Betroffenen meist selber wissen, wie unlogisch diese Gedankengänge sind ...

Das glaub ich ganz sicher, dass die Betroffenen wissen das die Gedankengänge unlogisch sind.
Ich glaube das ihm dieser immer der gleiche Weg, diese Routine enorme Sicherheit gibt, Kontrolle eben wie du schon sagtest.

Liebe Grüße
Kathrin
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