Jugendlicher - brauche Erfahrungsberichte zur Reha

Antworten
Tulpe
Beiträge: 3
Registriert: Fr 15. Mär 2019, 14:11

Jugendlicher - brauche Erfahrungsberichte zur Reha

Beitrag von Tulpe »

Guten Tag,

unser Sohn (14) leidet seit mehreren Jahren unter Zwangsstörungen (Wiederholungszwang, Fragezwang). Da sich sein Zustand trotz langjähriger Psychotherapie verschlechtert hat, bekommt er seit ca. 4 Wochen Psychopharmaka. Zur Unterstützung der Therapien empfiehlt nun sein Therapeut, eine Kur in einer Klinik für Psychosomatik zu beantragen.

Hat jemand Erfahrungen mit solchen Kliniken gemacht? Hat der Aufenthalt in einer Klinik etwas gebracht? Kann uns jemand einw besondere Klinik empfehlen?

Momentan sind wir völlig entmutigt, denn die Medikamente noch keine Erleichterung bringen und der Zustand unseres Sohnes sich sogar verschlechtert hat. Er ist natürlich extremst unglücklich und hoffnungslos, obwohl wir ihm Mut machen und immer wieder erklären, dass er diese Krankheit wohl besiegen kann.

Bitte geben Sie ihm, durch Ihre persönliche Erfahrung, etwas Hoffnung.

Danke
Miranda_L

Re: Jugendlicher - brauche Erfahrungsberichte zur Reha

Beitrag von Miranda_L »

Hallo Tulpe,

erstmal herzlich Willkommen im Forum.
Hier ist die Antwortgeschwindigkeit hin und wieder relativ langsam, deswegen schreibe ich erstmal ein paar generelle Dinge, obwohl ich bisher keine Klinikerfahrung habe.

Welche Art von Therapie macht dein Sohn denn?
Eher der verhaltenstherapeutische Ansatz? Oder eher tiefenpsychologisch? Oder ganz was anderes?

Wenn die bisherige Therapie nicht oder nicht so gut geholfen hat, kann es sinnvoll sein, den therapeutischen Ansatz zu wechseln.
Wird die Familie in die Therapie mit einbezogen?
Bei Zwängen und Ängsten gibt es genetische Risikofaktoren, die Menschen anfälliger für sowas machen. Das bedeutet aber nicht, dass sich eine Zwangserkrankung entwickeln muss, wenn diese Risikofaktoren vorhanden sind.
Das bedeutet, dass es sinnvoll ist, das Umfeld des Erkrankten unter die Lupe zu nehmen und zu schauen, ob es zuhause irgendwelche Umstände gibt, die eine Zwangs und Angsterkrankung begünstigen.

In frühen Kindheit ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder Zwangsverhalten entwickeln.
Da besteht das Kind beispielsweise darauf, dass beim Schlafengehen ein gewisses Ritual in einer gewissen Reihenfolge durchgezogen wird. Also beispielsweise erst ein Glas Milch, dann Schlafanzug an, dann Zähneputzen, dann Gute Nacht Geschichte.
Dieses Zwangsverhalten dient vor allem dazu, eine gewisse Sicherheit zu erlangen und verschwindet in der Regel mit der Zeit.
Wenn es nicht verschwindet, lont es sich zu schauen, warum.

Und genau deswegen würde ich sagen, dass ein Klinikaufenthalt bei anhaltenden Problemen eine gute Idee ist. Schon allein weil es ein Tapetenwechsel ist und deswegen ein Großteil der Stressfaktoren, die zuhause permanent vorhanden sind, an einem anderen Ort nicht mehr vorhanden sind.
Wie verhält es sich denn mit dem Zwang, wenn dein Sohn auf Klassenfahrt ist? Ist es dann besser oder schlechter?

Generell kann ich nur dazu raten, gerade in so jungen Jahren zu versuchen, alle Register zu ziehen um eine Besserung herbeizuführen.
Und gerade in der Schulzeit lässt sich ein mehrwöchiger Klinikaufenthalt noch ganz gut kompensieren. In der Ausbildung ist es dann nicht mehr so einfach.

Was mich ein wenig wundert ist, dass es eine Klinik für Psychosomatik ist.
Es gibt Kliniken, die sich gut mit Zwangserkrankungen auskennen. Da fallen mir z.B. die Schön Kliniken ein.
Psychosmatik hat ja eher mit Körperlichen Problemen aus psychischen Gründen zu tun.

Was ich auf jeden Fall empfehlen kann ist, Informationen zusammenzutragen wo es nur geht. Es gibt sehr viele gute Bücher über Zwänge und eine ganze Menge Youtube Videos, die Zwänge erklären und Tipps zum Umgang mit ihnen geben.
Auch bzw. vor allem die Webseite der deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen, zu der dieses Forum gehört, enthält viele wertvolle Informationen.
Im Forum für Betroffene findest du einen Thread über Youtube Videos und einen zu Büchern zu dem Thema.

Alles Gute und gute Besserung für deinen Sohn
Miranda

P.S.
Ich habe ganz vergessen zum Thema Hoffnung etwas zu schreiben :)
Zwangserkrankungen sind mittlerweile in der Psychologie gut bekannt und gut behandelbar.
Selbst wenn sie nicht ganz weg gehen sollten, kann man sie zumindest so weit unter Kontrolle bringen, dass die Lebensqualität nicht, oder nur wenig dadurch beeinträchtigt wird.
Also: Nur Mut! Ihr könnt das schaffen!
Ermutige am Besten auch deinen Sohn, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Je besser man das Problem kennt, desto besser kann man auch damit umgehen.
Zwangzwerg

Re: Jugendlicher - brauche Erfahrungsberichte zur Reha

Beitrag von Zwangzwerg »

Liebe Tulpe,

auch ich würde zu einem Klinikaufenthalt raten und zwar in einer Klinik, die auf Zwänge spezialisiert ist und Expositionsbehandlung anbietet. Danach würde ich explizit fragen! Ein Klinikaufenthalt kann generell schon gut tun, mir half das auf jeden Fall, aus dem zwangsbehafteten Umfeld auszubrechen, aber danach gingen die Erfolge leider ziemlich schnell flöten, zumal ich damals keinen ambulanten Therapeuten vor Ort hatte, mit dem ich die Erfolge hätte ausbauen können. Der Teil der Expositionen fehlte weitgehend und ich glaube, dass dieses (gute und erfolgreiche) Selbst-Erleben einen wichtigen Anteil beim Kampf gegen den Zwang ausmacht.
Viele Kliniken nennen sich meines Wissens psychosomatisch, aber das sollte ziemlich wurscht sein. Letztendlich ist alles auf irgendeine Art und Weise psychiatrisch, klingt nur netter oder beeinhaltet z.B. keine akuten Psychosen o.ä.. Und so eng gefasst, dass tatsächlich "nur" körperliche Beschwerden behandelt werden, ist das heutzutage meist nicht mehr. Oft greift da ja auch viel ineinander - wenn man einen Waschzwang hat und einem deshalb die Haut kaputt geht, wäre ja auch schon eine kleine körperliche Beeinträchtigung dabei.

Auch bei einem ambulanten Therapeuten würde ich auf jeden Fall darauf achten, an einen zu geraten, der sich auf Zwänge spezialisiert hat und dabei auch genau nachhaken (Behandelt er viele Patienten mit Zwängen? Macht er das gern? Hat er schon irgendwo gearbeitet, wo die Zwangsbehandlung besonders im Fokus stand?) Es scheint mir, als ob viele Therapeuten der Vollständigkeit halber eben auch "Zwang" in ihr Portfolio aufnehmen, aber da gibt es große Unterschiede in der Herangehensweise und sicher auch der Kompetenz. Mir hat die Therapeutenempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen z.B. sehr geholfen.

Alles Gute, auch und besonders für den Sohn!
Tulpe
Beiträge: 3
Registriert: Fr 15. Mär 2019, 14:11

Re: Jugendlicher - brauche Erfahrungsberichte zur Reha

Beitrag von Tulpe »

Vielen Dank für die netten Antworten!
Leider hat sich in den anderthalb Jahren nichts getan. :cry: Nach wie vor, weigert sich unser Sohn in die Klinik zu gehen.
Mittlerweile hält er den Druck in der Schule nicht mehr aus und seine Zwänge werden stressbedingt immer schlimmer. Die Energie, die er anwenden muss, um den Schulalltag einigermaßen zu "überstehen" ist kolossal. Er ist ständig erschöpft und entmutigt. In regelmäßigen Abständen besucht er den Jugendpsychiater, der immer wieder einen Klinikaufenthalt empfiehlt und Tabletten verschreibt.
Wir drehen uns im Kreis... Während zig Gesprächen haben wir versucht, unseren Sohn zu überzeugen, eine Therapie zu beginnen aber er will nicht weg von Zuhause und er hat den Eindruck , vor einem unüberwindbaren Berg zu stehen!: "Ich werde meine Zwänge nie mehr los!!! Niemand kann das Verstehen!"
Hat jemand eine Idee, wie man einem mittlerweile 16 Jährigen klar macht, dass er nicht alleine mit diesem Problem da steht und dass es Hoffnung auf Verbesserung bzw. auf Heilung gibt, wenn er es versucht".
Vielen Dank
Tulpe
Benutzeravatar
Antonia
Moderator
Beiträge: 173
Registriert: Di 20. Mär 2018, 21:40
Wohnort: Hamburg

Re: Jugendlicher - brauche Erfahrungsberichte zur Reha

Beitrag von Antonia »

Hallo Tulpe!

Ich kenn diese Sorgen und Ängste auch aus meiner Jugend.
Ich wollte nicht wahr haben, dass ich Hilfe brauche. Ich war sich, dass ich das alleine schaffen würde.
Habe ich nicht. Leider mußten fast 30 Jahre vergehen, bis ich die richtige Therapie und Hilfe bekommen habe.
Dank einer ambulanten Verhaltenstherapie, bin ich jetzt seit 20 Jahren sympthomfrei. Und ich bin froh und glücklich, dass ich mich zu dieser Therapie durch gerungen habe.
Der Unterschied zu heute ist aber, dass damals ende 1977 Zwänge kaum kannte, geschweige denn behandeln konnte.
Ihr habt alles versucht, schreibst Du.
Auch wenn es schwer wird, ihr solltet eure Hilfe für euren Sohn, immer mehr einstellen.
Denn so lange ihm immer noch jemand bei der Bewältigung der Zwänge hilft, wird er sich auch nicht behandeln lassen. Er kann es sich auch einfach nicht vorstellen, ohne Zwänge zu leben.
Ihr braucht Unterstützung. Vielleicht gibt es in eurer Region eine Selbsthilfegruppe für Angehörige, mit denen ihr euch austauschen könnt. Es gibt auch ein gutes Buch für Angehörige: Der Zwang in meiner Nähe, von Michael Rufer und Susanne Fricke. Sonst könnt ihr euch an eine Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) wenden, und um Hilfe bitten. Oder um einen Beratungstermin bei einem Verhaltenstherapeuten, der Zwänge behandelt, bitten. Wichtig ist, dass ihr eurem Sohn Mut macht, seinen Zwang zu besiegen. Konzentriert euch auf seine gesunden Anteile und macht Dinge zusammen, die euch gemeinsam gut tun.
Und zu guter Letzt, meldet euch bitte bei der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. damit wir euch unterstützen und beraten können. Mo-Fr. 10-12 Uhr, unter 040 689 13 700.
Liebe Grüße und alles Gute,
Antonia.
Ich bin nicht auf der Welt, um so zu sein, wie andere mich haben wollen. ;)
Benutzeravatar
SHG
Beiträge: 307
Registriert: Do 5. Dez 2019, 19:40
Wohnort: Linz

für Eltern

Beitrag von SHG »

Vielleicht sind da für Eltern ein paar interessante Anregungen dabei:
https://www.youtube.com/watch?v=y0thnB5Q7Os
(leider wieder nur auf Englisch, aber ziemlich kurz)

Und, wenn sich so lange nichts ändert, dann könnte der/die Angehörige ja tatsächlich auch mal als Vorbild wirken, indem sie/er, die Strategie ändert. Nicht ständig weitermachen, mit den selben unwirksamen Methoden versuchen zu "unterstützen". Klar, will jeder das Beste für sein Kind, aber vielleicht hilft mal die Einsicht, dass in dieser Konstellation das "Bisherige", zu einer recht schwierigen Herausforderung für die Familie geführt hat. Und die Lösung könnte darin liegen, sich von eingefahrenen Schleifen zu lösen - wie beim Zwang.
Tulpe
Beiträge: 3
Registriert: Fr 15. Mär 2019, 14:11

Re: Jugendlicher - brauche Erfahrungsberichte zur Reha

Beitrag von Tulpe »

Guten Tag und vielen Dank für Ihre Antwort.

Das vorgeschlagene Video war sehr interessant.
Mittlerweile ist unser Sohn Krankgeschrieben und ein neuer Termin beim Jugendpsychiater steht nächste Woche an. Bei der GEZ habe ich auch die Adresse eines Therapeuten erhalten.

Wir als Eltern haben entschieden, unseren Sohn für eine Zeit von der Schule zu nehmen, damit er wieder gesund wird. Der Schultress hat ihn körperlich an seinen Grenzen gebracht. Er konnte morgens nicht mehr aufstehen und kam jeden Tag zu spät in der Schule an. Im Unterricht hätte er eine Schreibblokade...

Da er in nächster Zeit die Schule nicht mehr besuchen wird und erst 16 ist (hat die Mittlere Reife), suchen wir Beschäftigungsmöglichkeiten, damit er während der Auszeit sich persönlich weiterentwickeln und Erfolgserlebnisse erfahren kann. Ich habe zwar bei der Caritas um Unterstützung gebeten, habe aber bislang keine Rückmeldung. Für ein FSJ ist es jetzt wahrscheinlich auch schon zu spät?

Kennt sich vielleicht jemand mit der Rechtslage in einem solchen Fall aus???

Wir sind für jeden Tipp dankbar.

LG Tulpe
Antworten