Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Revolte
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Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von Revolte »

Hallo an alle!

Ich bin auch der Meinung, dass der Zwang aus einem bestimmten Grund da ist. Er hat immer eine Funktion. Und ich glaube auch, dass wir alle sehr intelligente Menschen sind. Mein Therapeut meinte zu mir, intelligent sind sie ja schon, ihnen fällt immer was Neues ein.
Ich denke, dass Zwang oft aus Unsicherheit entsteht. Bei mir persönlich geht es um das Thema Beruf, Studium, Entscheidungen treffen. Ich habe schon sehr viel darüber nachgedacht, was ich eigentlich möchte, welchen Beruf ich ausüben möchte. Und ich bin da lange auf keinen Nenner gekommen. Was mich unzufrieden, vielleicht auch unglücklich gemacht hat. Ich weiß es immer noch nicht 100%, aber ich weiß was ich nicht will und das ist auch schon was wert.
In der Zeit, wo es mir schlecht ging und ich viel über die Sachen gegrübelt habe, ist auch der Zwang immer mehr geworden. Um mich zu beschäftigen und von den wirklich wichtigen Themen abzulenken. Er hatte also die Funktion übernommen, mich erst gar nicht entscheiden zu müssen, da ich ja genügend Zeit mit dem Zwang verbringen kann. Mein Psychiater meinte dazu, dass die Inhalte des Zwangs oft willkürlich sind und gar nicht so viel mit einem selber zu tun haben. Er also sehr unterschiedlich sein kann.
Ich denke, dass ihr auch eine Funktionalität in eurem Zwang finden könnt, oder diesen schon kennt.

Viele Grüße
Thomas
Oliver

Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von Oliver »

Hallo Marie,

ich möchte hier mal einen Gegenstandpunkt, zu dem was Du gesagt hast, vorbringen.

"Nun, ich denke der wichtigste Schritt in einer solchen Situation ist zu erkennen, dass man die Frage umformulieren muss.
Der Zwang ist kein eigenständiges Wesen. Nichts außerhalb von uns. Wir sind kein Opfer des Zwangs. Nein, wir sind es vielmehr selbst, die den Zwang erschaffen haben - und ihn weiter aufrecht erhalten.
"

Dem kann ich so nicht zustimmen. Ich glaube nicht, dass wir den Zwang im Sinne einer bewußten oder auch unbewussten Entscheidung selbst erschaffen haben. Und ich glaube auch nicht, daß wir bewusst oder unbewußt an den Zwängen festhalten. Zwänge sind auch kein "Schutzmechanismus", der uns vor etwas noch Schlimmerem bewahren soll. In meinen Augen sind Zwänge schlicht ein Systemfehler, eine Art überlasteter Schaltkreis, der aufgrund dieser Überlastung durchgebrannt ist und sich nun quasi in einer Art Endlosschleife aus Zwangsgedanken und Zwangshandlungen befindet. Das Gehirn ist aus dem Gleichgewicht geraten. Das bestätigen ja auch neurologische Untersuchungen von Zwänglergehirnen. Die Überlastung, welche das "Durchbrennen" bewirkt hat, dürfte bei den meisten ein komplexes Ursachengeflecht sein, eine Ansammlung verschiedenster Faktoren. Einige dieser Faktoren basieren vielleicht tatsächlich auf bewusst getroffenen Entscheidungen, die meisten jedoch nicht. Der Prozess, der zum Entstehen des Zwanges geführt hat, war niemandem im Vorfeld klar gewesen. Bestenfalls gelingt es uns im Nachhinein aufzudröseln, wie wir in diese Situation hineingeraten konnten und selbst daran scheitern die meisten. Auch darf man nicht vergessen, dass viele bereits in der Kindheit unter Zwängen gelitten haben, zu einem Zeitpunkt also, zu dem wir überhaupt nicht imstande sind, über uns selbst halbwegs objektiv reflektieren zu können. Und die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist eine obligatorische Voraussetzung dafür, dass wir verantwortlich für unsere Situation sein können. Also, ich denke, wir können uns durchaus als Opfer des Zwangs sehen. Natürlich kann diese Sicht destruktiv sein, wenn wir es uns in unserer Rolle als Opfer gemütlich machen und im Selbstmitleid versinken. Die andere Sichtweise kann aber ebenfalls destruktiv sein. Wenn wir für die Entstehung unseres Zwangs verantwortlich sind, dann haben wir ihn nämlich auch verdient. Wir sind ja selber dran schuld und haben uns quasi dafür entschieden, darunter zu leiden. Die Folge sind dann endlose Selbstvorwürfe, die einem auch nicht weiterhelfen.
An diesem Punkt ist wichtig, aufzuzeigen, dass man unbedingt differenzieren muss zwischen der Entstehung des Zwangs und dem Umgang mit dem Zwang. Für Ersteres sind wir - wie oben beschrieben - meiner Meinung nach NICHT verantwortlich. Für den Umgang mit dem Zwang im Hier und Jetzt aber durchaus. Den Weg der Heilung müssen wir selbst beschreiten. Das kann uns keiner abnehmen. Hier stimme ich Dir zu 100% zu und finde auch Deine Tipps sehr hilfreich.

LG
Oliver
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OCD-Marie
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Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Thomas,

du hast geschrieben:

Mein Psychiater meinte dazu, dass die Inhalte des Zwangs oft willkürlich sind und gar nicht so viel mit einem selber zu tun haben. Er also sehr unterschiedlich sein kann.


Sag deinem Psychiater nen Gruss; denn dem möchte ich widersprechen. Ich gebe ihm recht, wenn es z.B. um das Thema geht, dass jemand Angst vor Infektionen hat: ob das am Ende HIV, Hepatitis, Pilzsporen, Bandwürmer oder was auch immer ist - ja, das hat viel mit Zufall zu tun.

Etwas völlig anderes ist es jedoch, wenn es darum geht, ob jemand sexuelle Zwänge hat, ob jemand Angst hat sich selbst zu infizieren oder Angst, jemand anderem zu schaden, ob jemand kontrollieren muss... (usw.)
Die Art/die Ausgestaltung des Zwangs hat aus meiner Erfahrung heraus sehr viel mit der Person, mit den Hintergründen des Zwangs zu tun - ist also gerade nicht willkürlich. Die Art des Zwangs gibt vielmehr Hinweise auf die persönlichen "Schwachstellen / Problemfelder" und ist daher für die Therapie durchaus von Interesse.

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OCD-Marie
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Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von OCD-Marie »


Hallo Oliver,

du hattest ja auch noch geschrieben... :)

Nun, über Sichtweise kann man natürlich trefflich streiten. Und letztlich sind Sichtweisen auch bestimmt von den Erfahrungen des betreffenden Menschen. Besondere Vorsicht sollte man aus meiner Sicht immer dann walten lassen, wenn die Sichtweise (egal ob wir selbst oder jemand anderes sie äußert) eingeleitet wird mit den Worten "ich glaube" oder "ich glaube nicht...". Denn das ist lediglich eine andere Formulierung für "ich weiss es nicht". Wer etwas weiss, der muss es schließlich ja nicht mehr glauben. Wo Wissen ist, da bleibt kein Raum mehr für Zweifel.

Du schreibst von Forschungen und neurologischen Untersuchungen. Basierend auf der Arbeit von Psychologen und Forschern gibt es auch eine Theorie, die davon ausgeht, dass uns Zwänge sehr wohl "schützen". Nämlich davor, bestimmte unangenehme Emotionen (z.B. Trauer oder Wut) bewusst wahrzunehmen. Ganz einfach deshalb, weil der Betreffende noch nicht gelernt hat, auf "gesunde Weise" mit solchen Emotionen umzugehen. Das geht sogar soweit, dass man sich dieser Emotionen u.U. gar nicht bewusst ist. Weil man gelernt hat, sie nicht wahrzunehmen, sie zu verdrängen. Das sind anerkannte Mechanismen, die sich meist in unserer Kindheit entwickeln.
In dieser Hinsicht betrachtet man Zwänge auf einer Stufe mit den verschiedenen Formen von Süchten (Alkohol, Drogen, Internet usw.). Denn auch eine Sucht dient dazu, die (schmerzhafte) Realität auszublenden.
Meine eigenen Erfahrungen bestätigen im Übrigen diese Theorie. So kann man einen Zwang zu einem therapeutischen Hilfsmittel umfunktionieren: wenn die Zwangsimpulse plötzlich und überraschend stärker werden ohne das man sich das erklären kann - dann kann es sich lohnen, mal zu schauen, welche Situation/welches Erlebnis in den vergangenen Stunden unangenehm war und welche Gefühle im zusammenhang damit man bisher nicht ausreichend gewürdigt hat. Wenn man die entsprechende Situation identifiziert und sich die damit verbundenen Gefühle bewusst gemacht hat, kann man erleben, dass sich der Zwang augenblicklich beruhigt...
Das ist allerdings eher was für "Fortgeschrittene". Man braucht genügend Therapieerfahrung und muss sich selbst (bzw. die Mechanismen hinter dem Zwang) bereits ausreichend gut kennen..

Wenn du Zwänge als "Systemfehler" bezeichnest, klingt das sehr technisch rational. Menschen sind aber viel mehr "gefühlsgesteuert" als ihnen das lieb sein kann (warum glaubst du wohl dass z.B. Werbung funktioniert ?).
Bei deiner Sichtweise scheinst du davon auszugehen, dass es so etwas wie ein "Unterbewusstsein" nicht gibt. Damit würdest du dich gegen die Mehrheit der Fachleute stellen. Das Handeln von Menschen wird viel mehr durch unbewusste "Energien" (Wünsche, Bedürfnisse, Gefühle...) gesteuert, als durch den bewusten Verstand. Natürlich sind sie sich dessen nicht bewusst - sonst würde man ja nicht von "Unterbewusstsein" sprechen.

Ich weiss um das organische Ungleichgewicht im Gehirn. Das betrifft z.T. die Strukturen im Gehirn, aber vor allem den sog. Gehirnstoffwechsel.
Mit dem Ungleichgewicht ist es jedoch so ne Sache... Das mit unserem Gehirn funktioniert nämlich in beide Richtungen. Solche "organischen Ungleichgewichte" beeinflussen zweifellos unser Verhalten. Allerdings beeinflusst unser Verhalten auch wieder die organischen Strukturen des Gehirns (Du hast vielleicht auch schon davon gelesen, dass Meditation Gehirnstrukturen verändert). Und so steht man schnell vor dem "Henne-Ei-Problem". Was war früher da ? Die Henne ? Oder das Ei aus dem sie geschlüpft ist ? (Schließlich muss das Ei ja mal von einer Henne gelegt worden sein die aber ja selbst aus einem Ei geschlüpft ist...). Anders ausgedrückt: wenn der Zwang erst einmal da ist, dann kann man das organische Ungleichgewicht feststellen. Man kann aber nicht sagen, ob es ursächlich für den Zwang war oder ob nicht erst unser Verhalten (Denken) zu diesem Ungleichgewicht geführt hat...

Wenn ein Zwang also nur ein "Systemfehler" wäre, bräuchte man ja nur mit Medikamenten das Ungleichgewicht beseitigen und alles wäre gut. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass das oft nicht der Fall ist. Vielleicht hast du auch schon von Depressiven gehört/gelesen, die teilweise über Jahre Medikamente genommen haben und irgendwann dachten, sie seien "geheilt". Das Ungleichgewicht war also durch Medikamente beseitigt. Trotzdem wurden sie wenige Monate nach dem Absetzen der Medikamten wieder depressiv... (bei Zwänglern gibt es ähnliche Berichte)

Das Ungleichgewicht alleine - das liegt nahe - kann es also nicht sein... (ich weiss, die "Bequemen" unter uns würde das vielleicht zu dem Schluss verleiten "kann man nix machen - muss man halt den Rest des Lebens Pillen schlucken...").
Allerdings - um depressiv zu werden - muss man (die Welt / das Leben / sich selbst) auf eine bestimmte (negative) Weise wahrnehmen, sehen, denken... Und das kann man aber ändern. Nur deshalb gibt es Psychotherapie.

Womit ich persönlich absolut nichts anfangen kann ist folgene Aussage:
Wenn wir für die Entstehung unseres Zwangs verantwortlich sind, dann haben wir ihn nämlich auch verdient. Wir sind ja selber dran schuld und haben uns quasi dafür entschieden, darunter zu leiden.


Meinst du damit: Wer sich für einen Weg entschieden hat, der sich hinterher als "Sackgasse" herausstellt, der ist "so blöd", dass er es "verdient" hat ? Falls du so denkst, würde ich mir das an deiner Stelle als Thema für die Therapie ganz weit oben notieren. Denn jeder macht Fehler. Und nur weil man einen Fehler macht, hat man das Ergbnis nicht automatisch auch "verdient". Das ist eine sehr strafende, vorwurfsvolle, rigide Denkweise. Das ist nicht gesund. Wir können daher sehr wohl für unseren Zwang verantwortlich sein ohne ihn "verdient" zu haben.
Meinst du nicht auch ?

LG
Marie




mick
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Registriert: Sa 21. Apr 2018, 14:54

Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von mick »

Hallo Marie, Thomas,
hm, ich habe jetzt auch nochmal über die Aussage nachgedacht, inwieweit Zwangsinhalte willkürlich sind und so sehr von der Hand zu weisen finde ich die Aussage tatsächlich nicht. Klar lassen sich bestimmt einige Rückschlüsse des Zwangsinhaltes auf die Persönlichkeit des Betroffenen ziehen. So heisst es ja oft, dass zum Beispiel aggressive Zwangsgedanken eher harmoniebestrebte und konfliktscheue Persönlichkeiten treffen oder sexuelle Zwangsgedanken mit hohen moralischen Ansprüchen an sich selbst in Verbindung stehen, während Kontrollzwängler gerne einen übertriebenen Perfektionismus an den Tag legen. Wie gesagt, generell stimme ich dem zu, aber dennoch glaube ich dass die Thematik viel komplexer ist, und zwar immer dann, wenn verschiedene Zwangsformen die gleiche Funktion erfüllen und auch die Konsequenz die gleiche ist. So könnte zum Beispiel jemand, der Angst davor hat, seinen Kindern könnte etwas zustoßen, einen Zwang entwickeln diese aus Versehen mit Rattengift zu vergiften. Er könnte aber stattdessen auch einen Kontrollzwang in Verbindung mit magischem Denken entwickeln (Wenn ich nicht 30mal das Licht an und ausschalte, passiert meinen Kindern etwas). Andererseits könnte zum Beispiel jemand, der sich zwanghaft um sein Wohlbefinden kümmert, Angst davor haben er könnte sich mit HIV anstecken oder radioaktiv verseuchen. Er könnte aber auch zu selbstaggressiven Zwangsgedanken neigen (Ich könnte aus dem Fenster springen). Die Konsequenz wäre dich gleiche. Man stirbt. Von daher finde ich schon, dass es auch berechtigt ist von einer gewissen Willkür bei Zwangsinhalten zu sprechen.

LG,
Mick
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OCD-Marie
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Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von OCD-Marie »


Hallo Mick,

du hast schon recht, die Thematik ist komplexer. :-) Es ist nämlich nicht nur die Konsequenz, die zählt. Auch der Weg dorthin ist von Bedeutung.

Zu deinem Beispiel mit Mutter und Kind - Varianten:
a) die Mutter muss zwanghaft aufpassen, dass dem Kind "nichts passiert" / mit magischem Denken "Unheil" abwenden
b) die Mutter hat Angst, sie könnte ihr Kind aus Unachtsamkeit vergiften
c) die Mutter hat Angst, sie könnte ihr Kind mit einem Messer erstechen

  • Ergebnis 1: in allen drei Beispielen könnte das Kind sterben
  • Ergebnis 2: a) und b) sind sich ähnlich in der Weise, dass es mehr um die Abwehr einer Schädigung geht (nicht so bei c) )
  • Ergebnis 3: b) und c) sind sich auch ähnlich - in der Weise, dass hier das potentiell schädliche Tun von der Mutter ausgeht (nicht so bei a) )
  • Ergebnis 4: in allen drei Fällen geht es um die Abwehr von "Unglück"; die "Qualitäten" sind jedoch unterschiedlich: bei a) geht es mehr um allgemeine Gefahren, bei b) um ein Tun durch die Mutter - aber nicht in böser Absicht; und bei c) um ein aktiv agressives Verhalten der Mutter


Zu deinem Beispiel, dass sich jemand zwanghaft um sein Wohlbefinden kümmert:
Dass es hier rein um das Wohlbefinden geht, scheint nur auf den ersten Blick so zu sein. Du darfst dabei nicht vergessen, dass Zwangshandlungen Projektionen sind. Sozusagen eine Ersatzhandlung mit der eigentlich ein anderes "Problem" gelöst werden soll...

Beispiel 1: HIV / Radioaktivität
Hier kommt die "Gefahr" von außen. Es geht also um eine Abwehr. Das ist meist der Versuch, sich gegen sog. "übergriffiges Verhalten" zu wehren. Das kann langjähriges die persönlichen Grenzen des Betreffenden überschreitendes Verhalten durch die Eltern sein, aber z.B. auch eine (einmalige) Vergewaltigung.

Beispiel 2: Angst aus dem Fenster zu springen
Hier kommt die "Gefahr" von innen. Das hat oft mit einem erheblichen Mangel an Selbstvertrauen zu tun. Man vertraut sich selbst so wenig, dass man sogar ein solches eigenen Verhalten für möglich hält...

Bei genauer Betachtung sind die verschiedenen Varianten also doch nicht ganz so willkürlich gegeneinander austauschbar - auch wenn sich deren "Ergebnis" gleicht.

LG
Marie




Miranda_L

Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von Miranda_L »

Hallo alle,

Bei Zwängen spielen ja zusätzlich auch genetische Faktoren eine Rolle.
Bevor also eine Konditionierung auf Zwangsverhalten anfängt, kann bereits eine Veranlagung dafür vorliegen.
Dann können auch Probleme bei der Mutter-Kind-Bindung, beispielsweise wegen Wochenbettdepression oder Brutkasteraufenthalt dazu führen, dass ein Grundvertrauen in die Welt nicht, oder nur gering, aufgebaut wird.
Scheinbar ist bei uns auch ein recht sensibles Gewissen verbreitet. Wir übernehmen also Verantwortung für Dinge, die andere als 'shit happens' abtun.

Ich bin im Übrigen tatsächlich der Meinung, dass Zwangssymptome und Zwangsängste austauschbar sind.
Ich habe nach dem Abbau eines Zählzwang mit magischem Denken, einen Kontrollzwang entwickelt. Dieser hatte auch in den treibenden Angst nichts mit dem vorherigen Zwang zu tun.
Ich kenne auch das Gefühl des leeren Zwangs. Hier entsteht plötzlich das Gefühl als seie etwas falsch, aber ohne Bezug auf eine vorangegangene Tätigkeit, oder einen Gedanken.
Natürlich setzen sich Zwänge gerne auf ausgetretene Pfade. Aber meiner Meinung nach ist das keine Grundvoraussetzung.

Letztentlich gibt es für komplexe Probleme niemals den einen Schuldigen und auch niemals die eine Lösung.
Man kommt nunmal auf welchem Weg auch immer bei Punkt X an. Und von hier aus kann man nicht mehr an allen Schrauben drehen. So ärgerlich die Vergangenheit auch sein mag. Man kann sie nicht mehr ändern. Man kann nur versuchen aus der jetzigen Situation das Bestmögliche zu machen.
Und je nachdem, welche Kompetenzen man bis hierhin erworben hat, kann das natürlich schwieriger oder leichter sein.
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OCD-Marie
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Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von OCD-Marie »


Hallo Miranda,

naja, die genetischen Faktoren werden gerne mal überschätzt. Ich glaube, man sagt sie tragen zu etwa 2% zu den Zwängen bei. Eine genetische Disposition bedeutet ja nicht, dass man deshalb einen Zwang entwickelt. Man ist lediglich etwas "empfänglicher" dafür. Umgekehrt können auch Menschen ohne genetische Veranlagung einen Zwang entwickeln. D.h. die überwiegende Zahl von Zwängen ist die Folge von (Lern-)Erfahrungen...

Neuerdings wird auch der Zusammenhang von Zwang und Autismus erforscht. Nach den Zahlen die ich mal gesehen habe hätten rund 12% der Zwängler zudem eine mehr oder weniger starke autistische Ausprägung. Ob sich diese Zahl langfristig bestätigt, muss sich aber erst noch zeigen...

Muss es wirklich eine "Grundvoraussetzung" sein, dass sich ein Zwang auf "ausgetretene Pfade" setzt ? Ich meine, insgesamt geht es ja im Forum um die Frage, was kann helfen. Und ich finde, es kann sich immer lohnen, zu schauen, was mir der Zwang über mich sagen möchte. Gut, vielleicht endet im Einzelfall diese Suche ergebnislos. Meiner Meinung (und Erfahrung) nach kann es für viele jedoch einen Gewinn bedeuten. Den Zwang und sich selbst besser zu verstehen. Ich kann es nur empfehlen...

Ich weiss nicht... wenn du einem Physiker oder Mathematiker sagen würdest, dass es für ein komplexes Problem "niemals die eine Lösung" gibt, würden sie dir vermutlich deutlich widersprechen. Denn warum sollte es niemals "die eine" Lösung geben ? Für manche Probleme gibt es (bisher) keine Lösung, für andere gleich mehrere - und für manche Probleme eben auch "die eine".

Die Vergangenheit kann man nicht mehr ändern. Das ist richtig. Und wenn wir bereits alle nötigen Kompetenzen erworben hätten, um gesund zu leben, dann hätte sich der Zwang nicht entwickelt. Gleichzeitig können wir neue Fähigkeiten erlernen, solange wir am Leben sind. Doch auch wenn wir die Vergangenheit nicht mehr ändern können, wir können lernen, anders mit ihr umzugehen. Und wir können sie dazu nutzen, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Kompetenzen wir (im Rahmen der Therapie) noch entwickeln müssen. Damit es mit der Zeit immer leichter wird wieder gesund zu werden - und so das Beste aus der Situation zu machen.

LG
Marie






chonglee

Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von chonglee »

Hallo Forum,

ich habe folgende Strategien entwickelt:
1) Den Zwangsgedanken den Schrecken nehmen d.h. Ihn vom Negativen ins Positive zu drehen wenn er auftritt
2) Ablenkung und gutes Gefühl durch Sport (Kampfsport ist das non plus ultra) oder und sich einfach was gönnen (Moments Of Excellences)

Durch diese Methoden habe ich meine Zwangagedanken seit ca 10 Jahren „im Griff“ :-)
Vg,
Chong
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PeterAlleinzuhaus
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Registriert: Mi 2. Mai 2018, 20:36

Re: Warum lässt mich der Zwang nicht los?

Beitrag von PeterAlleinzuhaus »

Hallo Chonglee,
danke für Deinen Beitrag. Dazu hätte ich eine Frage:
Dass man dem Zwangsgedanken den Schrecken nehmen kann klingt verlockend. Wie schaffst Du es, ihn vom Negativen ins Positive zu drehen? Wie muss ich mir das vorstellen? Kannst Du ein Beispiel nennen?

Gruß Peter
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