Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

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Zwang1
Beiträge: 23
Registriert: Mo 4. Jan 2021, 12:49

Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

Beitrag von Zwang1 »

Hallo Ihr Lieben,
ich habe schon seit 25 Jahre eine Zwangserkrankung. Thematisch hat sich diese immer mal wieder verändert. Früher hatte ich sehr viel Angst krank zu werden. Dann kamen diese sexuellen Zwangsgedanken hinzu, dass ich immer denke, dass ich jemanden anfassen könnte. Zu Anfang generell, also auf keine spezielle Personengruppe. Meine Eltern sagten mir irgendwann, dass da schon mal jemand etwas gesagt hätte, wenn ich sowas wirklich machen würde und da der Zwang ja schlau ist, hat sich das dann auf Gruppen reduziert, die es eben nicht sagen könnten, wie Hunde oder generell Tiere, Kinder, behinderte Menschen etc. Das hat die Sache natürlich verschlimmert, weil ich so keine Bestätigung mehr bekommen konnte.

Wenn ich also in der Nähe von jemanden bin, achte ich auf jede Körperbewegung, die ich mache. Es fühlt sich auch alles unnatürlich an.
Kennt Ihr das??
Bei jeder Bewegung frage ich mich: Warum habe ich mich jetzt so bewegt? Wollte ich jemanden berühren usw.? Um so näher jemand ist, um so schwieriger wird das für mich. Als ich mal darüber gesprochen habe, fragte man mich, warum ich immer alles mit Schuld verbinde? Ich fühle mich ständig schuldig. Ich weiß auch nicht warum. Wenn zu diesen - ich nenne es mal konzentriertem Körperbewusstsein - dann noch ein Zwangsgedanke hinzugekommt, kann ich die Situation gar nicht mehr einordnen. Habe ich jetzt was gemacht oder ist das nur eine Kombination aus Gedanken und diesem auf mich selbst konzentrieren.

Seit 12 Jahren habe ich einen Hund. Mein ein und alles. Warum auch immer hatte ich da die Zwangsgedanken eigentlich gut im Griff. Ich war froh, dass ich wenigstens das im Leben mir erfüllen konnte. Andere Hunde oder o. g. Gruppen waren nach wie vor schwierig. Aber bei ihm war das zum größten Teil in Ordnung. Seit ein paar Wochen haben sich meine Zwangsgedanken auch auf ihn spezielisiert und ich weiß gar nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Ich bin dadurch jetzt immer in einer Dauerkonfrontation. Bei anderen konnte man sich mal einer Situation aussetzen und die war dann aber auch wieder vorbei. Ich weiß, dass weglaufen keine Lösung ist. Das kommt für mich auch nicht in Frage. Klar kann ich ihn auch mal für ein paar Stunden zu meinen Eltern geben, wenn ich eine Pause brauche, aber das ist ja keine Lösung.

Ich weiß nicht, warum mich das jetzt so erwischt. Das war doch vorher nicht so? Und wie kann ich mir diese Angst nehmen?
Zwang1
Beiträge: 23
Registriert: Mo 4. Jan 2021, 12:49

Re: Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

Beitrag von Zwang1 »

Da hast Du absolut recht. Ziemlich auf den Punkt gebracht!
Genau, dass sind meine Befürchtungen. Die Kontrolle verlieren. Ich habe auch so Angst davor und denke, wenn das passiert, was ich immer denke, dann bin ich irgendwie nichts mehr wert. Ich weiß, das hört sich schlimm an. Aber ich bin jetzt einfach mal ehrlich. Diese Gedanken habe ich immer im Nacken. Ich weiß, dass ich nochmal eine Therapie machen muss. Aber selbst da denke ich: Was wenn ich vorher die Kontrolle verliere? Dann brauch ich ja nicht zu einem Therapeuten mehr gehen, dann bin ich ein schlechter Mensch und habe nicht nur diese Gedanken. Das setzt mich so unter Druck. In allen Lebenslagen. Irgendwie ist es dieser Gedanke: Jeden Moment kann es vorbei sein, dann bist du schlecht.
Klingt schräg? Ich weiß :cry:

Deswegen ist auch diese Situation (Hund) für mich gerade so belastend. Weil ich nicht davor weglaufen kann und immer konfrontiert bin und jeden Moment Angst habe, dass es mein Leben negativ verändert.
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michael_m
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Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

Beitrag von michael_m »

Bist du auch ein schlechter Mensch, wenn du etwas machst, was du gar nicht wolltest? Klar gibt es vielleicht noch das Thema "Fahrlässigkeit", aber kannst du das wirklich komplett verhindern?

Meine Kontrollzwänge bzgl. Herd haben auch Gedanken bzgl. verschuldeter Tötung der Nachbarn aufgebracht. Oder aber auch die offenen Wasserhähne, die der Wohnung unter mir Schaden zufügen könnten. Nach der 2. Therapie ist das besser geworden. Das Leben besteht immer aus einem Restrisiko, wir werden nie alles verhindern können. Selbst wenn etwas passiert, ist man kein schlechter Mensch. Es ist die Frage, wie man mit dem Schaden danach umgeht.

Vielleicht hilft es dir, wenn du die Perspektive etwas umdrehst: Wie kannst du ein schlechter Mensch sein, wenn etwas passiert, was du gar nicht wolltest? Solltest du wirklich einmal die Kontrolle verlieren, inwiefern bist du dann moralisch dafür verantwortlich? Noch dazu, wo du ja dieses Außer-Kontrolle-Sein gar nicht bewusst herbeigeführt hast.
Aber ja, eine Therapie wäre bestimmt keine schlechte Idee, um da aus diesem Zwangsdenken zu kommen.
Ewigzwangskrank
Beiträge: 19
Registriert: Fr 25. Jan 2019, 10:13

Re: Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

Beitrag von Ewigzwangskrank »

Ich fühle mich ständig schuldig. Ich weiß auch nicht warum. Wenn zu diesen - ich nenne es mal konzentriertem Körperbewusstsein - dann noch ein Zwangsgedanke hinzugekommt, kann ich die Situation gar nicht mehr einordnen. Habe ich jetzt was gemacht oder ist das nur eine Kombination aus Gedanken und diesem auf mich selbst konzentrieren.

Das hab ich zu 100 Prozent auch , deshalb hab ich deine Zeilen kopiert . Es ist exakt was ich erleb. Und ab und zu erleb ich dazu noch eine Steigerung. Die ich nicht ausführe, um nicht zu triggern.

Und ich hab die Zwänge schon 35 Jahre.
😞Also was soll ich noch sagen.
LG von mir
Zwang1
Beiträge: 23
Registriert: Mo 4. Jan 2021, 12:49

Re: Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

Beitrag von Zwang1 »

Es ist gut zu wissen, dass man mit dem Problem nicht allein ist. Das ist schon ganz viel wert. Natürlich wünscht man das niemandem. :cry:
Zwang1
Beiträge: 23
Registriert: Mo 4. Jan 2021, 12:49

Re: Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

Beitrag von Zwang1 »

Hallo Michael_m,

Vielen Dank für deinen Beitrag. Der mich sehr ermutigt hat und mir geholfen hat. Manchmal muss man Worte erstmal sacken lassen.

Danke
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michael_m
Beiträge: 613
Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

Beitrag von michael_m »

Danke für die Rückmeldung! Es freut mich sehr, dass dir mein Beitrag geholfen hat. :)
JuliaMaria08
Beiträge: 13
Registriert: Fr 5. Jun 2020, 20:48
Wohnort: Berlin

Re: Dauerkonfrontation / konzentrierte Körperbewegung

Beitrag von JuliaMaria08 »

Hallo Zwang1,

deine Situation kann ich gut nachvollziehen, ich habe früher immer gedacht (als ich Fahranfängerin war), ich hätte jemanden überfahren. Jede kleinste Unebenheit in der Straße hat mich denken lassen, es könnte was passiert sein und ich hätte es nicht mitbekommen. Ich glaube der Fakt, dass ich Fahranfängerin war zeigt schon, dass es aus einer starken Unsicherheit und einem übergroßen Verantwortungsbewusstsein entstanden ist. Und natürlich auch einem sehr geringen Selbstbewusstsein.

Mittlerweile sind diese Art von Zwängen weg. Mir hilft es immer sehr nachzuvollziehen, warum es zu dieser Art von Zwang kommt. Was habe ich früher erlebt, was mir jetzt so große Angst an genau diesen Punkten im Leben bereitet. Ohne meine Therapeutin konnte ich immer nur erahnen, woran das liegt, innerhalb der Therapie hat es dann viel mehr Sinn ergeben.
Hast du schonmal eine Situation erlebt, in der dein Körper etwas getan hat, was du eigentlich nicht wolltest?
Und gab es Situationen, in denen dich jemand ungewollt sexuell bedrängt hat?
Vielleicht sind da Ursprünge dieser Angst zu finden. Mir hilft das zumindest, um meine Gedanken besser zu akzeptieren und zu verstehen.

Kannst du dir bewusst machen, dass du auf keinen Fall jemand bist, der anderen etwas böses antun will? Du liebst doch deinen Hund und das weißt du ja auch, vielleicht kannst du dir daran ja bewusst machen, dass du, auch wenn deine Gedanken was anderes sagen, dies nicht in Handlungen umsetzen wirst. Zwangsgedanken sind immer fies - manche glauben, sie könnten jemanden umbringen, obwohl das Herz natürlich ganz klar weiß, dass sie das nie tun würden. Es ist einfach diese große Unsicherheit, die Kontrolle zu verlieren, die dann zu Zwangshandlungen führt. Aber die Sicherheit kommt nicht durch Gegenhandlungen zu stande, sondern durch ein inneres Bewusstsein, wer man ist und was man kann.

Ich habe da auch noch einen langen Weg vor mir, kann aber sagen, dass Besserungen möglich sind. Ich leide "erst" seit ca. 9 Jahren an Zwangsgedanken und meine Arten von Themen, die der Zwang aufgreift, sind sehr verschieden und umfassend. Aber in meiner schlimmsten Phase (vor ca. einem Jahr), bin ich zum Glück raus. Wenn du magst, kannst du mir also gern auch mal privat schreiben.

Liebe Grüße

Julia
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