Zwangsgedanken - mein Widerstand dagegen bisher

fabian123
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Registriert: So 20. Okt 2019, 14:06

Re: Zwangsgedanken - mein Widerstand dagegen bisher

Beitrag von fabian123 »

Hi,
Termicas hat geschrieben: Mi 12. Okt 2022, 09:50 fühle gerade sehr mit dir.
Vielen Dank und Gleichfalls.

Diese Panik, Dinge aus der Vergangenheit heranzuziehen, um sich darüber Zwanghaft den Kopf zu zerbrechen würde ich bei mir wie ein Faß ohne Boden bezeichnen. Immer wieder taucht ein neues vermeidlich gefährliches Thema bei mir auf. Wenn man das bei mir wie einen Film-Plot beschreiben müsste, wäre es eigentlich immer das gleiche: „ich als Hauptdarsteller muss schauen, ob ich nicht jemanden durch mein handeln schaden zugefügt habe, oder schaden und Leid in unzähligen, und stellenweise absurden Varianten entstehen wird. Stellt der Hauptdarsteller im Film aber fest, das er nichts schlimmes getan hat, entspannt er sich nicht wirklich. Er sucht immer und immer weiter, bis er „irgendwas“ findet, was ihn bestätigt, und er seine absurde und überflüssige Suche in seinem Film fortsetzen kann“.

Sorry, das jetzt auch ein langer Text kommt, aber mir tut das gerade total gut hier meine Gedanken und Gefühle aufzuschreiben und zu teilen.

Jetzt gerade beim schreiben dieses Beitrages, kommen mir auch unzählige Zwangsgedanken in den Kopf: „Was ist wenn …“, „Was passiert falls doch …“, „hättest du nicht damals …“, „was wenn du gar keine Ahnung eigentlich hast von …. „, „vielleicht bin ich schuld falls …“ - Die Liste ist gefühlt noch sehr weit ausbaubar. Diese Zwangsgedanken pushen sich gegenseitig immer weiter hoch. Um so länger ich nichts tue, nichts prüfe oder durch eine Zwangshandlung kompensiere, werden sie immer fieser und aggressiver in ihrem gedachten Inhalten.

Wenn es ganz schlimm ist, spreche ich meine Befürchtungen auch ab und an wieder aus, und erzähle sie meiner Partnerin. Sie weiß von meiner Zwangserkrankung. Sie lächelt mich dann zu 100% an, und sagt mir, dass meine Befürchtungen natürlich Unsinn sind und verweist mich auf meine Zwangserkrankung. Dann bin ich einen kurzen Moment beruhigt, und dann geht es natürlich relativ schnell wieder los, z.B. mit einem Zwangsgedanken wie :„aber was wenn sie gar nicht bewerten kann, von was ich spreche?“.
Ich fühle mich eigentlich so, als müsste ich die gesamte Verantwortung der Welt alleine tragen müssen. Dabei spreche ich eigentlich allen Anderen Personen innerhalb meiner Zwangsgedanken das eigenverantwortliche Handeln ab. Wie würdest du das bei dir beschreiben? Ist das auch so bei dir oder ähnlich?

Bei mir hat diese Denkweise und das Gefühl der „Über-Verantwortung“, definitiv mit meiner Geschichte zu tun, wie ich groß wurde und meinen unzähligen Traumata etc.. Ich wurde viel zu jung, mit so krassen Dingen konfrontiert, die vermutlich bis heute nachhallen. Ich habe sehr viel Zeit in meiner letzten Therapie diesbezüglich aufgearbeitet. Auch da bin ich aktuell an einem Punkt, dass ich mir unfassbar schwer tue, all das Leid, die Angst welche ich über Jahrzehnte in mir anhäuft, anzunehmen, und auch Trauer zuzulassen.

Ich habe bei mir das Gefühl, dass ich eher in meine „erlernten Zwangsgedanken“ mich zurück ziehe, die mich absurderweise vor den Gefühlen schützen und dabei eine Distanz schaffen, zu was ich eigentlich Angst habe. Weil so komisch es klingt, ich hatte Jahrzehnte weder Zeit, noch Kapazität mich um mich zu kümmern.
Termicas hat geschrieben: Mi 12. Okt 2022, 09:50 Bei mir ist alles mit Kontrolle sowohl im Kopf als auch bei Handlungen verknüpft. In meiner Therapie bin ich ein paar Situationen durchgegangen und habe gemerkt das ich instinktiv nahezu alles kontrolliere (möchte). Auch dinge die nicht kontrollierbar sind.
Ja, ist bei mir auch so. Ein Beispiel von Gestern: Zuhause habe ich über Stunden absurde Zwangsgedanken über eine längt vergangene Tätigkeit von mir. Dann will ich einkaufen gehen. Ich überlege mir: Nehme ich das Auto oder gehe ich zu fuß. Beim Gedanke Auto, gehe ich automatisch das ausparken gedanklich vorab durch, und habe noch in der Wohnung das Bedürfnis mein Auto auf Schäden oder Indizien für einen Unfall zu untersuchen, bevor ich überhaupt auch nur einen Zentimeter gefahren bin.
Dann entschied ich mich zu laufen, aber das verhindern des Autofahren hat die Zwangsgedanken bei mir verstärkt. Bei der Wahl der Einkaufstüte hatte ich Zweifel ob die alle sauber sind, weil immer hin gehe ich einen Supermarkt, dachte ich mir, und da muss man aufpassen (?!?!?). Davon abgesehen das die Tüten immer sauber sind, und meine Wohnung sehr ordentlich ist, tat ich mir schwer. Ich prüfte die Tasche innen und außen auf ihre Sauberkeit. Angekommen beim abschließen der Haustür, schloß ich mehrmals ab, auf, ab, auf, ab … um mich zu überzeugen das die Tür wirklich zu ist. Ob die Tür zu ist, kontrollierte ich mit dem Türgriff 20 mal hintereinander. Dann aber noch einmal, weil 21 durch drei teilbar ist. Ich denke mir ja selbst dabei: wie absurd, was machst du da? Im Supermarkt laufe ich durch die Gänge, als würde ich auf einem Stahlseil, ungesichert über eine Schlucht balancieren. Ich habe Angst, Dinge zu berühren und aus versehen umzuwerfen. Angenommen kurz vor der Kasse, höre ich irgendein Geräusch, irgendwo her, welches ich nicht Einordner kann. Meine Zwangsgedanken signalisieren mir: Vielleicht ist dir was passiert, was du nicht weißt, und solltest daher noch mal deinen weg lieber abgehen, und schauen, ob alles ok ist. Das tue ich dann mittlerweile zum Glück nur noch sehr selten. Aber lange rede kurzer Sinn:
Ich leide aktuell definitiv unter einer Flut von Zwangsgedanken. Ich weiß das es Zwangsgedanken sind, aber die Angst und die Befürchtungen in mir, fühlen sich leider extrem echt an.

Aber heute morgen habe ich wieder gemerkt, sobald ich mit „neuem“ konfrontiert werde sind meine Gedanken eigentlich immer direkt weg. Wenn ich aber zum Beispiel ein "neues" Programm am Computer anschauen will, was mich interessiert, wird mein Rechner fast immer ein Trigger für einen Zwangsgedanken, wo es um Dinge geht, die am Rechner entstanden sind oder eine Mail die von ihm versendet wurde usw. So laufen meine Gedanken mittlerweile in Phasen in denen es mir schlecht geht, eigentlich fast alle immer auf einen Zwangsgedanken hinaus.

Ich hatte auch während meiner Therapie sehr viele Dinge erkannt die eigentlich Zwangshandlungen sind, aber für mich „Alltag“ waren oder noch sind.
Bei mir ist gerade den Tag über, das Verhältnis von: „Zwangsgedanken“ zu „ohne Zwangsgedanken“, fast bei 90/10. Eigentlich bin ich non-stop unter Stress durch Zwangsgedanken.

„Tyrannen im Kopf“ habe ich auch gelesen. Ich fand das auch stellenweise sehr gut dargestellt. Ich hab vor ein paar Tagen ein anderes Buch über Zwangsgedanken angefangen zu lesen. Aber das hat bei mir alles scheinbar noch verstärkt gemacht. Weil auch so absurd das klingen mag, triggert mich das Wort „Zwangsgedanke“ eigentlich bereits auch mit. Ich beschäftige mich seit langer Zeit natürlich intensiv mit meiner Krankheit.
Ich weiß ja, das mein Denk- und Verhaltensmuster, natürlich so konditioniert sind, das ich weiß, dass fast jedes Thema mich aktuell triggern kann.

Das absurde aber positive aktuell ist, ich habe überhaupt keine Lust mehr, und möchte eigentlich nicht akzeptieren das mein Alltag und mein Leben so massiv davon beeinflusst ist. Und „zack“ genau als ich das formulierte, also das ich frei davon sein möchte, kommt direkt wieder ein Zwangsgedanke mit einer Story, vor 2,5 Jahren, wo etwas in mir die frage formuliert: „ als du … gemacht hast, hast du da alles richtig gemacht, weil falls nicht dann: *... Worst-case Zwangsgedanken hier einsetzbar ...*!

Sorry für diesen echt langen Text. Aber mir hilft das gerade hier zu schrieben. Weil ich das Gefühl habe, dass ich mir dabei leichter tue meine Zwänge als Zwänge auch mehr für mich markieren zu können. Weil ich tue mir nach wie vor extrem schwer damit, sie als das zu sehen was sie bei mir mitunter sind: ein definitiv falscher Weg und Ort nach Sicherheit und Geborgenheit zu suchen.

Bin ich froh, wenn ich bald wieder meiner Therapie aufnehmen kann :)
Die nächsten Wochen muss ich irgendwie rum bringen, weil aktuell ist es echt anstrengend.Aber ich schaffe das.

Euch alles Gute.
Danke fürs lesen.

Fabian
Termicas
Beiträge: 56
Registriert: Do 15. Sep 2022, 20:34

Re: Zwangsgedanken - mein Widerstand dagegen bisher

Beitrag von Termicas »

Hallo Fabian

Habe deinen Beitrag eben erst gesehen. Wie gehts dir denn zwischenzeitlich damit?
fabian123
Beiträge: 137
Registriert: So 20. Okt 2019, 14:06

Re: Zwangsgedanken - mein Widerstand dagegen bisher

Beitrag von fabian123 »

Hey,
Es geht mir mal besser mal schlechter. Ich habe wieder regelmäßig Gesprächstherapie, dass hilft mir. Auch achte ich seit einigen Wochen darauf das ich einigermaßen regelmäßig schlafen gehe. Ich kann nicht steuern, dass ich gelegentlich Nachts mit Panik und Angst aufwache. Aber ich schlafe aktuell größtenteils durch. Diesen Effekt spüre ich positiv in meinem Alltag.
Aber heute ist es mal wieder echt mehr als anstrengend. Im End Effekt mach ich nichts besonderes heute, aber meine Zwangsgedanken hängen sich an alles möglich dran. Ich merke bei mir mittlerweile richtig wenn bei mir die Stimmung Richtung Zwänge kippt. Ich kann es nicht verhindern, aber ich merke mittlerweile wenn es beginnt und aufhört. Das macht es nicht umbedingt besser, aber ich kann es etwas besser einschätzen. Aber trotzdem tue ich mir noch immer sehr schwer damit, innerhalb eines Angst- und Zwangszustandes zu sehen das es sich um Zwangsgedanken handelt. Ich weiß natürlich das es Zwangsgedanken sind. Ich weiß das ich eine Angststörung habe, auch das ich unter Depressiven Episoden leide. Aber wie jetzt gerade einfach sagen zu können: Was auch immer die Inhalte der Zwangsgedanken sind, es sind halt einfach "nur" Zwangsgedanken. Fällt mir total schwer. Weil das damit verbundene Angstgefühl bei mir ja so stark ist, und die Menge an Befürchtungen, mich dann echt überfordert. Aber noch was positives: Mir fiel vor kurzem der simple Gedanke ein: Auch ich darf mal einen Fehler machen. Dieser Satz klingt für mich eigentlich ziemlich utopisch, aber ich fand das irgendwie gut, weil ich mir damit etwas Druck von mir genommen habe.

Alles Gute.
Fabian
ChristianOCD
Beiträge: 35
Registriert: Mo 27. Dez 2021, 17:34

Re: Zwangsgedanken - mein Widerstand dagegen bisher

Beitrag von ChristianOCD »

Hi Fabian,

dieser Thread ist fast ein Jahr alt, ich hoffe es geht Dir gut! Als ich den vorhin lass, konnte ich in den überwiegenden Punkten von Dir sagen "wie bei mir". Und dann dachte ich "ich bin nicht allein". Ich dachte mir, dass das bei dem ganzen schwierigen Thema gut tut zu denken und zu hören.

LG Christian
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